Classes bilingues – Stadtrat-Brief #9/25

Sitzung vom 8. Mai 2025 – die Themen: Clabi; zweimal Tierpark; Strom; Demoverbot; Nachkredit Polizeiinspektorat.

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(Bild: Silja Elsener)

Es kommt selten vor, dass der Stadtrat eine Diskussion zu einem aktuellen Ereignis zulässt. Oft reicht die SVP solche Anträge ein, häufig drehen sie sich um die Reitschule, meistens werden sie abgelehnt. Anders am Donnerstagabend: Neben den bürgerlichen Parteien stimmten auch SP und Grünes Bündnis (GB) dafür, über die Beendigung des Schulversuchs der «classes bilingues» (Clabi) zu diskutieren. Die Diskussion wurde einerseits von der FDP, andererseits von der SVP beantragt.

Anfang Woche hatte die Bildungs- und Sozialdirektion (BSS) kommuniziert, dass der Versuch mit den zweisprachigen Klassen nach Sommer 2026 nicht verlängert werden soll. Die Kinder werden ab dann in ihrem Quartier zur Schule gehen müssen. Seither gehen die Wogen hoch.

Betroffen sind 91 von insgesamt 12’000 Stadtberner Schüler*innen. Einige von ihnen sowie Dutzende Eltern füllten die Zuschauertribüne im Ratssaal. Seit Bekanntwerden der Einstellung hatten sich fast ausschliesslich Kritiker*innen des Entscheids lautstark zu Wort gemeldet. Die Ratsdiskussion fiel nun deutlich differenzierter aus.

Klar bleibt: Die bürgerlichen Parteien kritisieren den Entscheid, den die neue BSS-Direktorin Ursina Anderegg (GB) verantwortet, unisono. «Ohne griffige Argumente wird ein Projekt beendet, das wichtig für Bern ist», sagte etwa Nik Eugster (FDP). «C’est un scandal!», rief Béatrice Wertli (Mitte), damit werde ein Bärendienst an der Zweisprachigkeit geleistet. «Wir stören uns sehr an der Vorgehensweise ohne vorgängige Konsultation», unterstrich Natalie Bertsch (GLP), selbst Mutter eines «Clabi»-Kinds.

GB-Votantin Franziska Geiser betonte, dass sie den Ärger der Betroffenen nachvollziehen könne. Aber: «Es ist politisch kein Skandal.» «Clabi» sei 2019 als Schulversuch gestartet. «Ein Pilotprojekt muss auch beendet werden können, sonst wäre es kein Versuch.» Und meinte dann an die bürgerliche Seite gerichtet: «Die Schule und das ganze Bildungssystem sind tatsächlich unter Druck. Ich wünschte mir, ihr würdet euch mit derselben Vehemenz für die gesamte Schule einsetzen und nicht nur für die Clabi.»

Auch Michael Ruefer (GFL) ordnete den Entscheid ein. «Clabi» sei gedacht gewesen als niederschwelliger Zugang für zweisprachigen Unterricht. «Aber es wird zum Teil sehr einseitig genutzt, das Kirchenfeld ist sehr stark überrepräsentiert, Bümpliz unterrepräsentiert», sagte er. Er warf die Frage auf: Was gehört zum Leistungsangebot der Stadt?

Und die mit Abstand grösste Stadtberner Partei? SP-Sprecher Szabolcs Mihalyi gab sich in seinem Votum unentschieden. Man bedauere, dass so spät informiert worden sei. «Wir können in dieser kurzen Zeit nicht zu einer Position kommen.» Man habe vor allem Fragen. Und betonte dann doch noch: Wichtig sei es, «gut ausgestattete Angebote zu haben, die allen Kindern offen stehen».

Schliesslich hatte die zuständige Gemeinderätin Ursina Anderegg das Wort. Sie wisse, dass dieser Entscheid einschneidend sei. «Es war uns auf der operativen Ebene sehr bewusst, welche Reaktionen wir provozieren würden.»

Der Schulversuch «Clabi» werde seit Beginn von einer Steuergruppe begleitet, in der etwa Vertreter*innen des Kantons und des städtischen Schulamts sitzen. Die Diskussionen, ob man ab Sommer 2026 beim Kanton eine Verlängerung beantragen solle, seien seit letztem Herbst gelaufen. «Zusammen mit der Steuergruppe kam ich zum Schluss, kein neues Gesuch einzureichen.»

Gründe seien etwa, dass andere obligatorische Fächer zu kurz gekommen seien, dass man zu wenig Schulraum gehabt habe, dass die zusätzlichen Klassen auch eine finanzielle Mehrbelastung gewesen seien.

«Es ist keine Absage an die Zweisprachigkeit», betonte sie. «Knapp 100 Kinder hatten Zugang zu Clabi. Es ist auch eine finanzpolitische Priorisierung.» Man habe jetzt noch über ein Jahr Zeit, den Schulversuch gut begleitet zu beenden. «Und wir können gemeinsam diskutieren, wie wir die Zweisprachigkeit gemeinsam fördern können.»

Mehmet Oezdemir, SP fotografiert am Donnerstag, 13. Februar 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Ratsmitglied der Woche

Mehmet Özdemir sitzt seit Januar 2024 für die SP im Stadtrat. Der 37-Jährige ist in der Türkei geboren und im Breitenrain aufgewachsen. Er ist Physiker und beruflich bei der Armasuisse tätig.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Ich bin im Stadtrat, weil ich mich für eine gerechte und nachhaltige Stadtentwicklung einsetzen will. Es ist mir ein Anliegen, dass alle Menschen unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem sozialen Umfeld die gleichen Chancen haben, sich zu entfalten und ihr Potential abzurufen. Das ist ein vielschichtiges Anliegen, aber mein Fokus ist auf Zugang zu Bildung, Wohnungen und Mobilität.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Das hängt stark davon ab, mit wem man spricht. Manche sehen mich wohl als typischen linken Sozi-Migranten, der beim Bund arbeitet und sich stark für die Schwächsten in der Gesellschaft und eine nachhaltige Mobilität einsetzt. Andere nehmen mich als konservativen Pragmatiker wahr, schliesslich bin ich verheiratet, Vater, Offizier, fahre mit dem Auto zur Arbeit. Das macht es schwierig, mich in eine Schublade zu stecken. Ich versuche einfach die verschiedenen gesellschaftlichen Realitäten abzubilden und Realpolitik zu machen. 

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Ich finde es sehr bedauerlich, dass wir bei der Entwicklung des Gebiets im Osten von Bern nur einen Teil der nötigen Finanzierung gesichert haben. Der geplante Autobahn-Bypass im Osten bietet eine grosse Chance, die Stadt und ihre Quartiere miteinander zu verbinden und zu verbessern. Diese Gelegenheit sollten wir unbedingt nutzen. Es ist wichtig, dass der motorisierte Verkehr die Stadt nicht noch mehr belastet. Leider ist die Autobahn ein unvermeidbares Übel, um dieses Ziel zu erreichen.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Es erfüllt mich mit Stolz, wenn ich die Stimme der Personen sein kann, die in den politischen Prozessen nicht abgebildet werden, sei dies aufgrund des fehlenden Bürgerrechts oder weil ihnen schlicht die Zeit fehlt, sich auch noch gross mit politischen Geschäften auseinanderzusetzen. Dass die Beschlüsse von der Bevölkerung mitgetragen und an der Urne bestätigt werden, zeigt, dass wir das Richtige machen. 

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Obschon ich im Nordquartier aufgewachsen bin, ist der Osten meine neue Heimat. Ich gehe oft mit meiner Tochter zu den Spielplätzen in Wittigkofen oder in der Elfenau oder besuche mit ihr die Tiere auf den Bauernhöfen. Mit meiner Partnerin gehen wir gerne in der Orangerie und an der Aare spazieren. 

Und das wurde auch noch diskutiert:

  • Kinderzoo bleibt: Sagenhafte 50 Minuten debattierte der Rat über eine SVP-Motion zum Tierpark Bern. Sie forderte, dass der Streichelzoo und der Spielplatz an der Aare bleiben sollen. Der Vorstoss ist eine Reaktion auf die geplante Erneuerung des Tierparks, bei der auch der Kinderzoo umgestaltet wird. Die SVP stört sich insbesondere daran, dass Ziegen in Zukunft nicht mehr gestreichelt werden dürfen. «Der Hamster im Kinderzimmer lebt viel gefährlicher als Geissli im Kinderzoo», sagte Alexander Feuz. Auch Tobias Sennhauser (Tier im Fokus) sah seine Stunde gekommen. «Es ist das erste Mal seit Anfang Jahr, dass wir über Tiere sprechen», sagte er und betonte: «Begegnungen mit Tieren sollten immer auf Augenhöhe erfolgen.» Um dann seine Begegnungen mit «grossen und schönen Käfern» zu schildern. Schliesslich hielt der zuständige Gemeinderat Alec von Graffenried (GFL) eine Rede, die in ihren lyrischen Wiederholungen schon fast Poetry Slam war: «Bleibt der Kinderzoo? Ja… und Nein. Er bleibt, aber er wird auch erneuert. Nein, er bleibt nicht so, wie er ist, er wird erneuert.» Der Vorstoss wurde überaus deutlich abgelehnt. Nur die SVP sprach sich dafür aus. Übrigens: Zu diesem Thema hat die SVP eine Volksinitiative eingereicht. Deshalb wird der Stadtrat zu einem späteren Zeitpunkt dieselbe Debatte erneut führen. 
  • Tierpark zum Zweiten: «Überlegt euch, ob ihr die Stadt weiterbringt, wenn wir auch über diese Motion wieder 50 Minuten reden», mahnte Stadtratspräsident Tom Berger (FDP). Es ging bei der Debatte darum, dass die SVP in der Zeitung über Personalprobleme im Tierpark gelesen hatte und daraufhin eine «unabhängige anonyme Mitarbeiterbefragung» forderte. Seit 2021 wird der Tierpark von Friederike von Houwald geleitet. Aufgrund des Vorstosses führte SP-Stadträtin Judith Schenk gleich auf eigene Faust eine Mitarbeitendenbefragung durch. «Von den 13 Rückmeldungen hat sich eine Person sehr negativ geäussert, deren Aussage konntet ihr wiederholt in den lokalen Medien lesen», sagte Schenk. Woraufhin Gemeinderat Alec von Graffenried konstatierte, dass diese selbst gemachte Umfrage «eine Vermischung der Ebenen» sei. «Der Stadtrat arbeitet gerne operativ.» Er riet, die Motion abzulehnen. Was denn auch alle Parteien ausser der SVP taten.
  • Stromversorgung: Die Stromkosten sind stark gestiegen, was vor allem für arme Menschen ein Problem darstellen kann. Darum geht es in einer interfraktionellen Motion von SP/Juso, GB/JA!, AL/PdA, die fordert: «Niemand soll im Dunkeln sitzen.» Die Stadt solle einerseits auf den städtischen Energieversorger ewb einwirken, damit er den Strom nicht mehr abstelle, wenn Rechnungen nicht bezahlt sind. Andererseits soll sie sich beim Kanton dafür einsetzen, dass die Sozialhilfe höher ausfalle. «Wir bitten euch darauf hinzuarbeiten, dass alle Menschen sich Strom leisten können», betonte Barbara Keller (SP). Der dafür zuständige Gemeinderat Alec von Graffenried stimmte zu: «Es ist eine sozialpolitische Geschichte, lösen muss das Problem der Gemeinderat und weniger ewb. Wir wollen dasselbe wie ihr und wir sind auch dran.» Die Motion wurde als Richtlinie deutlich angenommen mit 39 zu 17 Stimmen bei 5 Enthaltungen.
  • Kein Demoverbot: Im November 2023 hatte der Gemeinderat kurzfristig per Medienmitteilung bekannt gegeben, dass bis zum Ende der Adventszeit keine Demos in der Innenstadt mehr möglich seien. Kurz zuvor hatte die Hamas Israel angegriffen. «Die Sicherheitslage wurde als Vorwand genutzt», sagte Dominic Nellen (SP). Faktisch sei die Versammlungsfreiheit ein Grundrecht. Er hatte in jener Zeit eine interfraktionelle Motion mitinitiiert. Sie verlangt, dass der Gemeinderat seinen Entscheid zum Demoverbot überdenkt. Nun liege der Vorfall einige Zeit zurück, er bitte aber trotzdem, die Motion anzunehmen: «Sie ist ein Schutz für die Zukunft.» Gemeinderat Alec von Graffenried gab sich demütig: «Überweisen Sie diese Motion, das ist Ihre Aufgabe. Auch der Gemeinderat hat seine Aufgabe, er muss mit der neuen Ausgangslage arbeiten und alle Grundrechte schützen.» Der Rat nahm die Motion als Richtlinie mit 41 zu 24 Stimmen an. RGM stimmte geschlossen dafür. 
  • Polizeiinspektorat: Ein Nachkredit von 1,5 Millionen Franken für das Polizeiinspektorat wurde einzig mit Gegenstimmen aus der SVP angenommen. Das eindeutige Ergebnis täuscht: Verschiedene Parlamentarier*innen äusserten ihren Unmut darüber, dass «1,5 Millionen in der Kasse fehlen, weil wir die Parkgebühren wegen Einsprachen nicht erhöhen können», wie es etwa Lukas Schnyder (SP) ausdrückte. Und dies, obwohl die Mehrheit des Stadtrats und der Bevölkerung der Erhöhung zugestimmt habe.

PS: «Ich weiss, es ist etwas spät, aber ihr habt auch lange gesprochen», meinte Stadtratspräsident Tom Berger in seinem Schlusswort. Die Sitzung wurde um etwa zehn Minuten überzogen. Schon zuvor hatte Gemeinderat Alec von Graffenried gemeint: «Merci und allen einen schönen Abend – für Nachfragen bin ich im ‹Volver› anzutreffen.»

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Ruedi Muggli
10. Mai 2025 um 08:08

Danke für den differenzierten Bericht zur Chlabi-Geschichte! Ist eigentlich alles ein Skandal, was ich nicht gut finde ..?