Wahlen 2023

Heikle Wahlkampfspende des TCS

FDP-Nationalratskandidatin Simone Richner erhält vom TCS 17’500 Franken. Da sie beim kantonalen Strassenverkehrsamt arbeitet, droht ein Interessenkonflikt.

Strassenverkehrsamt Bern, TCS Bern
Simone Richner
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FDP-Politikerin Simone Richner arbeitet in einer Kaderfunktion beim Strassenverkehrsamt, privat engagiert sie sich im Vorstand des TCS. (Bild: Danielle Liniger)

Wie Wahlkämpfe finanziert werden, blieb in der Schweiz in der Vergangenheit meist im Dunkeln. Dabei ist es für Wähler*innen wichtig zu wissen, welche Kandidierenden Geld von welchen Grosspender*innen und Organisationen annehmen. Denn das zeigt auf, wessen Interessen sie vertreten und wem sie sich verpflichtet fühlen. 

Ein Stück weit wird dieses Transparenzdefizit dieses Jahr gemindert. Für die aktuellen Nationalratswahlen gelten erstmals Deklarationsregeln für die Politikfinanzierung. Kandidierende müssen Budgets ab 50’000 Franken und Einzelspenden ab 15’000 Franken offenlegen. 

In der Datenbank der Finanzkontrolle werden derzeit laufend neue Dokumente der Kandidat*innen aufgeschaltet. So sind unter anderem die Deklarationen von Spenden des Touring Club Suisse (TCS) ersichtlich. Dieser zahlt im Kanton Bern an die Kampagne des amtierenden SVP-Nationalrats Lars Guggisberg 30’000 Franken und an jene der Stadtberner FDP-Kandidatin Simone Richner 17’500 Franken.

Besonders interessant ist die Spende an Richner, die für die FDP auch im Berner Stadtparlament sitzt. Dieses Beispiel zeigt auf, wie dicht in der Schweiz der Lobby-Filz ist und wie brennend das Thema Interessenkonflikt trotz der Offenlegungspflichten bleibt. 

Strassenverkehrsamt Bern, TCS Bern
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Der TCS darf für seine Mitglieder die periodische Fahrzeugprüfung durchführen. Dazu besteht ein Vertrag mit dem Strassenverkehrsamt. (Bild: Danielle Liniger)

Doch fragen wir zuerst beim Touring Club (TCS), warum er die beiden Politiker*innen überhaupt so stattlich unterstützt. Präsident des kantonalen TCS ist Christoph Erb, früherer FDP-Grossrat und Vorgänger von Lars Guggisberg als Geschäftsführer des Gewerbeverbands Berner KMU. Erb begründet die TCS-Wahlkampfspenden folgendermassen: «Die beiden Kandidierenden erhalten den Wahlkampfbeitrag, weil sie für den TCS arbeiten, mit uns in Kontakt stehen und offen für unsere Anliegen sind.» Beide Kandidierenden sitzen in Gremien des TCS. Guggisberg gleich in mehreren, Richner im Vorstand des TCS Bern-Mittelland.

Transparenter TCS

Die Wahlkampf-Spenden des TCS sind laut Christoph Erb, dem Präsidenten des TCS Bern, zusammengesetzt aus Beiträgen verschiedener regionaler Organe des TCS. Dennoch habe der TCS verlangt, dass die Kandidierenden die Gesamtspende gemäss den neuen Transparenzregeln ausweisen und nicht aufstückeln. «Wir erachten es nicht als zielführend, nach Umgehungsmöglichkeiten der nun geltenden Regeln zu suchen.» Ob alle Interessenverbände und Unternehmen so handeln, ist fraglich. Denn die neuen Transparenzregeln haben noch einige Schlupflöcher, wie die «Republik» in einem Artikel aufzeigt.

Erb erwartet also von Guggisberg wie Richner einen Einsatz für den TCS. Damit ist namentlich die Wahlkampfspende an FDP-Kandidatin Richner problematisch. Nicht für den TCS. Aber für Richner und ihre Arbeitgeberin. Denn Richner arbeitet beim kantonalen Strassenverkehrsamt – seit Juli als Abteilungsleiterin Administrative Verkehrssicherheit, davor als Leiterin Politik und Recht. 

Am 7. März 2023 hatte Richner von ihrer beruflichen Mailadresse aus – mit der Signatur Leiterin Recht und Politik – ihre TCS-Vorstandskolleg*innen um eine Wahlkampfspende angefragt. Die Mail liegt der «Hauptstadt» vor. Richner ersuchte darin ihre Kolleg*innen «höflich um einen Unterstützungsbeitrag für die Nationalratswahlen 2023, um mich mit Lars Guggisberg zusammen für eine gute Verkehrsinfrastruktur einsetzen zu können».

Interessen der Automobilist*innen vertreten

Richners Ersuchen wurde positiv beantwortet. Das wirft mehrere Fragen zur Vermischung von politischem Engagement und Beruf auf. Denn mit der Anstellung beim Strassenverkehrsamt und dem Vorstandsmandat beim TCS besteht der Verdacht auf einen Interessenkonflikt. 

Für die Corporate-Governance-Expertin und emeritierte Professorin für Compliance an der Hochschule Luzern, Monika Roth, ist klar: «Den Einsitz im Vorstand des TCS Bern-Mittelland und die Wahlkampfspende an sie erachte ich als Interessenkonflikt und daher als unzulässig angesichts der beruflichen Funktion von Frau Richner.» Roths Begründung: Die FDP-Kandidatin soll als TCS-Vorständin die Interessen der Automobilist*innen vertreten, als Leiterin Recht beim Strassenverkehrsamt hingegen müsse sie in Automobilfragen eine objektive Haltung haben und den Kanton vertreten. Grundsätzlich reiche schon der Anschein eines Interessenkonfliktes, um ein solches Mandat beim Interessenverband TCS auszuschliessen, sagt Roth auf Anfrage der «Hauptstadt». Es spreche nicht für die Arbeitgeberin, so Roth, dass sie dieses Engagement im Vorstand des TCS toleriere.

Strassenverkehrsamt Bern, TCS Bern
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«Keine Dossiers mit relevanten Berührungspunkten zum TCS»: Das Strassenverkehrsamt bewilligte Richners TCS-Mandat. (Bild: Danielle Liniger)

Auch die Organisation Lobbywatch sieht Richners TCS-Mandat kritisch. «Es ist mir schleierhaft, weshalb der Kanton eine solche Interessensvermischung zulässt», sagt Lobbywatch-Co-Präsident und Journalist Otto Hostettler. Für den TCS als Autolobbyistin in den Wahlkampf zu ziehen, sei mit der beruflichen Tätigkeit als Kaderangestellte des Strassenverkehrsamt nicht vereinbar. Der Fall zeige, so Hostettler, wie unsensibel sogar staatliche Stellen mit dem Thema Lobbyismus umgehen würden.

Richner hat ihr Engagement beim TCS gemäss den kantonalen Regeln deklariert. Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt (SVSA), bei dem sie angestellt ist, bestätigt auf Anfrage der «Hauptstadt», dass Simone Richner ihre Miliz-Aktivitäten beim TCS sowie ihre politischen Mandate offengelegt habe. Das Amt bewilligte diese Engagements.

«Konkreter Interessenkonflikt nicht identifiziert»

Das SVSA erachtet das TCS-Mandat seiner Kadermitarbeiterin als unbedenklich. Amtsleiter Stephan Lanz schreibt in einer Stellungnahme: «Ein konkreter Interessenkonflikt zum TCS wurde bisher nicht identifiziert, da Frau Richner keine Dossiers mit relevanten Berührungspunkten zum TCS zu bearbeiten hatte.»

Lässt sich Richners berufliche Stellung und ihr TCS-Mandat wirklich trennen? Immerhin unterhält der Kanton eine vertragliche Beziehung zum TCS: Dem TCS ist es im Kanton Bern seit 1984 vertraglich erlaubt, periodische Fahrzeugprüfungen von Mitgliedern des TCS durchzuführen. Der Verband zahlt dabei eine Verarbeitungsgebühr an das SVSA. Eine Finanzierung des TCS durch das SVSA besteht laut dem Amt aber nicht.

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Ganz trennen liess sich das TCS-Mandat und die Stellung beim Strassenverkehrsamt nicht: Simone Richner machte rechtliche Abklärungen zu den Fahrzeug-Kontrollen des TCS. (Bild: Danielle Liniger)

Auf Nachfrage präzisiert das Strassenverkehrsamt: «Frau Richner hat in ihrer Stellung als Leiterin Recht einmal in einem Dossier rechtliche Abklärungen getroffen zur Behandlung der Zuständigkeitsfrage von Beschwerden nach Fahrzeug-Kontrollen des TCS.»

Generell betont das SVSA in der Stellungnahme, dass persönliche Interessenkonflikte im Strassenverkehrsamt verhältnismässig oft entstehen könnten, da fast alle Bürger*innen des Kantons in irgendeiner Form behördliche Beziehungen zum SVSA hätten. «Entsprechend müssen sie konsequent offengelegt werden, sobald diese auftreten oder absehbar sind.» Dazu bestünden strukturierte Prozesse. Ausserdienstliche Tätigkeiten seien zudem für das Gemeinwohl von wesentlicher Bedeutung.

Wahlen 2023

Hier geht es zu den bisher publizierten Artikeln zu den nationalen Wahlen am 22. Oktober 2023.

Der Argumentation des SVSA kann Expertin Monika Roth nicht viel abgewinnen: «Richner könnte allenfalls ein einfaches Mitglied des TCS sein, doch als Mitglied eines Vorstandes hat sie eine Interessenwahrungspflicht für den TCS, und diese kann ihre Entscheidungen als Angestellte des Strassenverkehrsamtes potenziell beeinflussen.» 

Richner selbst sieht in ihrem TCS-Engagement und der Spende kein Problem: «Mein Engagement beim TCS habe ich immer transparent ausgewiesen und meinen Vorgesetzten gemeldet. Ich hatte weder als Bereichsleiterin noch in der jetzigen Anstellung als Abteilungsleiterin direkte Berührungspunkte mit dem TCS.» Das eine Mal, als es um den TCS gegangen sei, habe ihre Tätigkeit darin bestanden, auf den bestehenden Vertrag hinzuweisen.

Hauptsachen Talk fotografiert am 23.03.2023 im Progr Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Simone Richner ist nicht nur beim TCS, sondern auf beim Hauseigentümerverband im Vorstand. In dieser Funktion trat sie Anfang Jahr im Hauptsachen-Talk zum Thema Wohnen auf. (Bild: Simon Boschi)

Die FDP-Politikerin betont, sie sei im regionalen Vorstand des TCS tätig. Das Mandat beim TCS entspringe ihrem politischen Amt als Berner Stadträtin. «Als Stadtbernerin setzte ich mich für die Anliegen der Stadtbevölkerung beim TCS ein und vertrete die Interessen sämtlicher Verkehrsteilnehmer», sagt Richner. Bisher hätten die Ausstandsregeln des SVSA für ihre Nebenbeschäftigungen keine Anwendung gefunden.

In der Eile falsche Mailadresse verwendet

Einen Fehler sieht Richner einzig im Versenden der Spenden-Anfrage von der beruflichen Mail. «Das war ein Irrtum, denn ich bin sehr bemüht, die berufliche Stellung und mein privates politisches Engagement zu trennen.» Leider habe sie «in der Eile im März für die Anfrage um eine TCS-Spende die falsche Mailadresse verwendet». Da die TCS-Vorstandskolleg*innen ihre beruflichen Hintergrund kennen würden, könne sie aber in der mitgeschickten Signatur keinen Versuch erkennen, eine Entscheidung zu beeinflussen.

Das Strassenverkehrsamt schreibt zur verschickten Mail von der Amtsadresse lediglich: «Gemäss SVSA sind private und politische Aktivitäten von beruflichen Aktivitäten zu trennen.» Das Strassenverkehrs- und Schifffahrtsamt unterstütze Simone Richner im Wahlkampf nicht.

Das Wahlkampfbudget von Richner beträgt übrigens gemäss ihrer Offenlegung bei der Finanzkontrolle 30’000 Franken. Der TCS finanziert also mit der Spende von 17’500 Franken über die Hälfte von Richners Kampagne. Damit dürfte Richner nach wie vor offen sein für die Anliegen des TCS – selbstverständlich nur auf regionaler oder nationaler politischer Ebene.

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Diskussion

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Rolf Zurflüh
12. September 2023 um 05:24

Wieder mal ein Sturm im Wasserglas.