«Es braucht eine städtische Förderung der Clubkultur»
Die Clubs in der Stadt Bern leiden. An Corona-Nachwehen, den Pop-ups, der wählerischen Kundschaft. Ein Fall für Kultursubventionen? Am «Hauptsachen»-Talk im Progr ging es feurig zu und her.
Carlos Aguilar war on fire, so richtig, als er am Donnerstagabend in der wiedereröffneten Turnhalle ins Mikrofon sprach: «Clubkultur ist nicht nur in den Ausgang gehen, irgendwo hinsitzen, etwas trinken in einer Bar, und im Hintergrund legt ein DJ auf. Clubkultur ist mehr. Clubkultur basiert auf respektvollem Umgang mit Menschen, Musik, Umwelt. Der Club ist ein gemeinsamer sozialer Ort, an dem wir uns alle weiterentwickeln. Peace, Love, Respect.»
Das argumentative Feuer von Aguilar, Veranstalter der neuen freitäglichen Clubnacht in der Turnhalle im Progr, hatte längst die drei anderen Gäst*innen des «Hauptsachen»-Talks entflammt, den die «Hauptstadt» gemeinsam mit dem Progr organisiert.
«Wie steht es um die Berner Clubkultur?», lautete die Podiumsfrage, die einfacher tönt als sie ist. Sie wühlte auf. Nicht nur die Akteur*innen auf der Bühne, sondern auch das Publikum. Rund 100 Personen folgten der animierten Diskussion, die Moderatorin und «Hauptstadt»-Journalistin Marina Bolzli in konstruktive Bahnen lenkte.
Ernsthafte Awareness
Die lodernde Feurigkeit in allen Statements zeigte: Bei Nachtleben und Clubszene geht es nicht nur ums Abhängen und Konsumieren. Sondern um Kultur, Vielfalt, Gerechtigkeit. Um Business und Arbeitsplätze. Und ja, um Politik.
Dino Dragic-Dubois betreibt mit Diego Dahinden und Mahalia Aura Haberthuer seit Jahren den Club Kapitel am Bollwerk. Und Dragic verschwieg nicht, dass konsequent gelebte Clubkultur mit der Wirtschaftlichkeit in heftigen Konflikt geraten kann. Dragic-Dubois’ Beispiel: Awareness-Konzepte. «Irgendwo im Lokal ein Plakat aufzuhängen, wie das viele machen», sagt Dragic-Dubois, «ist das Letzte, was man tun sollte. Das nenne ich Pink-Washing.»
Wenn man hingegen Awareness – etwa bei den Themen Queerfeindlichkeit oder sexuelle Übergriffe – ernst meine, führe das dazu, dass man (finanzkräftigere) Kund*innen der Alterklasse Ü-35 verliere. Vereinfacht gesagt, so Dragic: «Die Boomer-Generation ist für diese Themen nicht sehr offen.»
Umstrittene Pop-ups
Kommt dazu, dass permanente Clubkultur-Betreiber*innen auch von flüchtigen Pop-ups konkurrenziert werden: «Klar, die Berner*innen wollen Pop-ups», räumte Dion Dragic-Dubois ein. «Aber sie sind ein grosses Problem.» Weil sie nur dann da seien – im Sommer und im Winter – wenn man verdienen könne. Weil sie keine permanenten Arbeitsplätze schafften – und deshalb nicht nachhaltig zum Stadtbild beitrügen. Abgesehen davon, dass die Behörden «ständig Ausnahmen für Pop-ups machen», kritisiert Dragic-Dubois: «Wir haben ungleiche Spiesse. Aus meiner Sicht muss die Stadt eingreifen, wenn der Markt nicht funktioniert.»
Was Dino Dragic-Dubois damit meint, ist hochpolitisch: «Wir brauchen eine städtische Förderung der Clubkultur, nach dem Vorbild der Stadt Basel.» Für Dragic-Dubois geht es nicht auf, dass «man in Bern Geld hat, um überall Regenbogenfahnen aufzuhängen», aber im Kulturbudget nicht Mittel für Clubs freigespielt würden, die genau diese Themen «inhaltlich hart erarbeiten». Aber wenn selbst Vertreter*innen der Bar- und Club Kommission (Buck), so wie es Dragic darstellte, im Stadtrat nicht für eine Erhöhung des Kulturbudgets stimmten, wisse Dragic-Dubois halt auch nicht.
Plädoyer für Vielfalt
Es war ein Seitenhieb, den Dragic-Dubois an Corina Liebi austeilte, Buck-Geschäftsführerin und Stadträtin der Grünliberalen. Sie blieb sachlich und zeigte sich dialogbereit, über eine Förderung kuratierter Clubprogramme eine Diskussion aufzunehmen. Allerdings warnte sie vor übertriebenen Erwartungen. Das Verteilen städtischer Fördergelder sei ein komplexer politischer Aushandlungsprozess darüber, was als förderungswürdig gilt und was nicht – und die Buck vertritt nicht nur ambitionierte Clubs, sondern auch Bars und einen Teil der Pop-up-Betreiber*innen.
Pop-ups, findet Corina Liebi grundsätzlich positiv: «Es braucht die Vielfalt.» Sie würden Räume bespielen, die sonst leerstünden, und mit Innovationen Publikum anziehen. Davon könnten sich auch bestehende stationäre Clubs inspirieren lassen. Sie sehe deshalb keinen Grund, den Liberalisierungskurs in der Stadt zurückzufahren, obschon es stimme, dass der Pop-up-Boom punktuell überborde. Bezüglich Konkurrenzsituation hingegen setze sich die Buck bei den Behörden bei konkreten Vorfällen dafür ein, dass die schnelllebigen Pop-ups nicht bevorteilt würden.
Berner Nährboden
Szenekenner Pablo Sulzer, Co-Redaktionsleiter des Bewegungsmelders und Co-Autor des «Bärner Nachtläbe» der «Hauptstadt», formulierte, was sich die Akteur*innen in der Stadt Bern überlegen müssten: «Verstehen wir Clubkultur als Teil unserer Stadt, und wenn ja, wie wollen wir sie sichern? Um diese Frage geht es.»
Ist er selber im Nachtleben unterwegs, freue er sich natürlich, wenn neue Locations öffnen. «Das ist immer cool und macht Freude.» Und es sei spannend, als Gast die Challenge mitzuerleben, dem sich Menschen stellen, die eine Neueröffnung wagen.
Aber man müsse sich in einer kleinen Stadt wie Bern bewusst sein, dass das Gleichgewicht fragil sei. Wenn nicht alle Akteur*innen die gleichen Rahmenbedingungen hätten, sei es problematisch. Deshalb findet er das Thema der Clubkulturförderung durch die Stadt wichtig.
Clubkultur habe aus seiner Sicht in Bern ein Daseinsrecht, aber sie komme, weil abseits des Mainstreams, halt traditionell in der Prioritätenliste hinter der Hochkultur. Wobei man die mitunter nischige Clubszene eben auch als Nährboden sehen könne für populäre Bands wie Züri West oder Patent Ochsner. «Und ich wünsche mir, dass Bern das erkennt und wertschätzt. Und dass Bern ein Nährboden bleibt.»
Er wünsche sich, sagte Progr-Booker Carlos Aguilar zum Schluss der Diskussion, dass «wir alle unseren Kontakt pflegen und die Zusammenarbeit suchen. Dass wir weniger Kultur ohne Inhalt machen, als wäre sie bloss eine Plastikverpackung.» Das stellte niemand in Frage. Corina Liebi und Dino Dragic umarmten sich freundschaftlich, das friedliche Ende einer engagierten Debatte.
Nächster «Hauptsachen»-Talk: Montag, 29. April, 19.30 Uhr, Aula Progr. Thema: Seit dem brutalen Überfall der Hamas und dem Krieg in Gaza prallen Meinungen auch bei uns unversöhnlich aufeinander. Was ist Antisemitismus, was nicht? Wie kann man zurückfinden in einen konstruktiven Dialog? Mit Stefanie Mahrer, Professorin am historischen Institut der Universität Bern.