Die Chun Hee-Story
Wegen eines Streits um Aussenplätze schloss das Restaurant Chun Hee vor zwei Jahren. Nun eröffnet am gleichen Ort ein Vegi-Restaurant. Wie es zur Einigung im Gastro-Streit gekommen ist.
Im Berner Gastro-Angebot taucht eine alte Bekannte wieder auf. An der Münstergasse 39 eröffnet Anfang April ein Vegi-Restaurant. Die Adresse ist berühmt. Martin Mühlethaler und Eve Angst haben dort das koreanische Restaurant Chun Hee betrieben. Bis sie im Mai 2021 schliessen mussten – ihr Gesuch für Aussenplätze wurde wegen Lärmklagen damals nur eingeschränkt gutgeheissen. Laut den Betreiber*innen hätten sie mit den bewilligten Modalitäten den Betrieb nicht länger rentabel führen können.
Nach der Schliessung des Chun Hee stand das Lokal an der Münstergasse 39 leer. Ab und zu kam es zu Zwischennutzungen. Zum Beispiel mietete sich die «Hauptstadt» während des Crowdfundings im Herbst 2021 dort ein, später gab es einen Burger-Take-Away und eine Kunstausstellung.
Nun entsteht wieder ein permanentes Restaurant. Am 4. April eröffnet das «Zoe». Betrieben wird es von Sternekoch Fabian Raffeiner und Mark Hayoz, ehemaliger Geschäftsführer des Café Einstein und YB-Eventmanager.
Wie ist es möglich, dass im gleichen Lokal wieder ein Restaurant öffnet, ohne dass sich die Rechtslage geändert hat?
«Im Sommer sitzt niemand drinnen»
Besuch bei Martin Mühlethaler, Mitbesitzer der Liegenschaft. An seinem Küchentisch erinnert er sich an die Gründungszeit des Chun Hee vor sieben Jahren. «Von Anfang an wussten wir, dass die zwölf bewilligten Aussenplätze nicht reichen würden.» Um einen Betrieb das ganze Jahr über rentabel führen zu können, sei es nötig, draussen gleich viele Tische wie drinnen zu haben. «Im Sommer sitzt niemand drinnen.» Rund 45 Aussenplätze hätte das Chun Hee gebraucht.
Mühlethaler reichte ein entsprechendes Baugesuch ein. Während der Wartezeit auf den Entscheid durfte er provisorisch die ersuchte Zahl von Aussenplätzen betreiben. Drei Sommer lang ging das so, die Umsätze stimmten.
Im Januar 2021 dann traf der Entscheid des damaligen Regierungsstatthalters Christoph Lerch ein. Mühlethaler und Angst durften zusätzliche Aussenplätze betreiben, jedoch nur bis 19 Uhr. «Damit kann kein Restaurant überleben», so Mühlethaler.
Auslöser für den für das Chun Hee unbefriedigenden Ausgang war eine Lärmklage der Eigentümerin des Nachbarhauses. Seinen Entscheid stützte der Regierungsstatthalter schliesslich auf ein Lärmgutachten der kantonalen Fachstelle Lärmakustik.
Das Ende des Chun Hee sorgte für Wirbel in der Öffentlichkeit. Dem Aufruf zu einem «Protest-Picknick» des Kollektivs Gastrostreik Bern folgten rund 80 Personen. Diverse Stadträt*innen bedauerten in den Lokalmedien die Schliessung und forderten eine öffentliche Debatte über die städtischen Lärmvorschriften und das Leben in der unteren Altstadt. Und Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) äusserte sich im Bund (1. Juli 2021), dass das Regierungsstatthalteramt den Ermessensspielraum des Gesetzes wohl «ungenügend genützt» habe.
Die öffentlichen Solidaritätsbekundungen waren noch nicht abgeflacht, da erhielt Martin Mühlethaler einen Anruf von Regierungsstatthalter Christoph Lerch. «Er erzählte mir, dass täglich Leute angerufen hätten beim Amt, die bedauerten, dass das Chun Hee schliessen musste», so Mühlethaler. Lerch bot ein Gespräch an, um den Fall neu zu beurteilen.
So kam es im Herbst 2021 zu einem Gespräch zwischen: Martin Mühlethaler und Eve Angst (Inhaber*innen Restaurant Chun Hee), Christoph Lerch (Regierungsstatthalter), Marc Heeb (Polizeiinspektor), Alec von Graffenried (Stadtpräsident), Reto Wüthrich (Regierungsstatthalter-Stv.) und Klaus Bürgi (Anwalt des Klägers).
Der lange Weg zur Bewilligung
Das Resultat: Das Chun Hee darf 40 Aussenplätze von Montag bis Donnerstag bis 23 Uhr und Freitag und Samstag bis 24 Uhr bewirten. Der Kläger verzichtet bei einer erneuten Baubewilligung auf eine Einsprache. Man einigte sich, diese Abmachung in einem notariell beglaubigten Vertrag festzuhalten. Das neue Baugesuch sollte im Januar 2022 eingereicht werden können.
Es wurde November 2022, bis die Parteien den Vertrag beim Notar unterzeichneten. Darin ist festgehalten, dass Mühlethaler und Angst 300 Franken bezahlen müssen für jeden Tag, an dem die vereinbarten Betriebszeiten der Aussenplätze nicht eingehalten werden. Egal, ob sie selbst das Lokal betreiben oder es verpachten oder vermieten. Im Gegenzug verzichtet der Kläger auf eine Einsprache.
Auf Anfrage der «Hauptstadt» schreibt der Kläger: «Ich habe mich nie grundsätzlich gegen das Restaurant gewehrt, sondern einzig verbindliche und auch durchsetzbare Bedingungen verlangt.» Aus diesem Grund habe er sich auf auf das vom Regierungsstatthalteramt angeregte Gespräch eingelassen und «Hand für einen Kompromiss mit den Restauranteigentümern geboten». Den die Parteien nun gefunden haben. Im Januar 2023 reichte Mühlethaler das Baugesuch ein, Einsprachen gab es keine. Seit letzter Woche liegt die Baubewilligung vor.
Der Weg für eine Rückkehr des Chun Hee an die Münstergasse 39 wäre also frei. Doch Martin Mühlethaler und Eve Angst verzichten auf eine Wiedereröffnung ihres Restaurants. Angst leitet mittlerweile die Gastronomie beim Progr und Mühlethaler ist ausgelastet als selbständiger Videoproduzent. Nun vermieten sie ihr Lokal.
«Es gab viele Interessent*innen», erzählt Mühlethaler. Den Zuschlag erhalten haben Fabian Raffeiner und Mark Hayoz. «Ich kenne Tinu und Eve schon seit Jahren», sagt Hayoz, der als Geschäftsführer im vis-à-vis gelegenen Café Einstein tätig war.
Raffeiner und Hayoz planen ein «gehobenes Vegi-Restaurant» mit einem A-la-carte-Angebot und Fine Dining. «In unserer Karte wird nicht mehr viel Chun Hee drin stecken», so Hayoz. Sie wollen Einflüsse aus der ganzen Welt einfliessen lassen. Hayoz hofft aber, etwas vom populären «Geist» des Chun Hee zurückbringen zu können: «Wir wollen eine Wohlfühloase für alle sein, egal ob Banker*innen oder Student*innen.»
«Sehr zufriedenstellend» findet Martin Mühlethaler den Ausgang des Lärmstreits. Er bemängelt aber, dass die geltenden Lärmgesetze über 30 Jahre alt sind. «Die Gewohnheiten der Leute haben sich geändert, das Leben findet abends draussen statt. Die Politik muss dem nun Rechnung tragen.»
Er spricht damit ein aktuelles Thema an, das über den Einzelfall Chun Hee hinausgeht: Wie das Regionaljournal von SRF berichtete, mussten einige Gastrolokale in Bern viele ihrer Aussenplätze wegräumen. Dies, weil die Corona-Ausnahmeregelungen aufgehoben worden sind und bei Kontrollen Tische zum Vorschein kamen, die jahrelang ohne nötige Baubewilligung bedient wurden.
Die Stadtbehörden seien mit den betroffenen Betrieben im Gespräch und suchten nach Lösungen, so Stadtpräsident Alec von Graffenried. Viele Betriebe hätten bereits Baugesuche eingereicht. Die Vorschriften für die Aussenplätze sind im kantonalen Recht verankert. Die Stadt Bern werde sich aber «weiterhin für eine lebendige Altstadt einsetzen und wo möglich die Betroffenen unterstützen», verspricht von Graffenried.
Wobei unter lebendiger Altstadt selbstverständlich nicht alle das Gleiche verstehen.