Einmal Deutsch lernen pauschal
Wer finanziert den Deutschkurs? Wie setzt der Kanton die 3'000 Franken ein, die er vom Bund pro geflüchtete Person aus der Ukraine erhält? Und, ganz generell: Was erhalten Geflüchtete eigentlich vom Staat? Ein kleiner Ausflug in die Asylsozialhilfe.
Der Krieg in der Ukraine hat unzählige Auswirkungen. Die meisten sind furchtbar. Andere können, wie das in jeder Krise vorkommt, auch Chancen sein. Eine davon: In der Schweiz etabliert sich die Praxis, dass Privatpersonen Geflüchtete bei sich aufnehmen. Das bedeutet unter anderem, dass sich Menschen plötzlich mit Themen auseinandersetzen, die ihnen zuvor mangels persönlicher Berührungspunkte kaum je zu denken gegeben haben. Zum Beispiel, wie ein WG-Leben funktioniert. Oder die ukrainische Sprache. Oder eben: die Asylsozialhilfe.
Wie erhalten meine Gäste den monatlichen Grundbedarf? Wo können sie Deutsch lernen? Wer bezahlt den Kurs? Wie landet das Geld, das der Kanton erhält, um Sprachförderung zu finanzieren, bei den Menschen, für die es gedacht ist?
Solche und ähnliche Fragen werden seit dem Kriegsausbruch breiter diskutiert. Viele Gastfamilien merken, was vorher meist nur Personen bewusst war, die selbst ein Asylverfahren durchliefen: Es ist kompliziert. Zeit, einigen Fragen auf den Grund zu gehen.
Vom SEM bis in die Migros Klubschule
Im April gab der Bundesrat bekannt, dass der Bund den Kantonen künftig eine einmalige Pauschale von 3'000 Franken pro geflüchtete Person aus der Ukraine bezahlt. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) hatte diesen Betrag vorgeschlagen. Er soll insbesondere der Sprachförderung dienen. Im Fall von Bern: Deutsch- oder Französischkursen, je nach Kantonsteil.
Was passiert genau mit diesem Geld?
«Rund die Hälfte davon geht direkt an die Bildungs- und Kulturdirektion», erklärt Manuel Haas am Telefon. Er ist im Amt für Integration und Soziales zuständig für die Asylsozialhilfe im Kanton Bern.
Die Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) subventioniert Sprachkurse, die auch für Personen im Asylbereich zugänglich sind. Für ukrainische Personen mit Schutzstatus S sind die Angebote nun kostenfrei, egal, ob sie Sozialhilfe beziehen oder nicht.
Das Problem: Diese Kurse sind an vielen Orten auf längere Zeit ausgebucht. «In den letzten vier Monaten sind ungefähr so viele geflüchtete Menschen in der Schweiz angekommen wie zuvor in vier Jahren», sagt Gundekar Giebel, Mediensprecher der kantonalen Gesundheits-, Sozial- und Integrationsdirektion. Das stelle die Behörden in vielen Belangen vor völlig neue Herausforderungen.
Die Kurse der BKD, in die also etwa die Hälfte der 3'000 Franken fliesst, sind aber nicht die einzige Möglichkeit für ukrainische Geflüchtete, im Kanton Bern die deutsche oder französische Sprache zu lernen.
«Auch die regionalen Partner erhalten einen Teil des Betrages. Sie können ergänzende Angebote finanzieren», erklärt Manuel Haas weiter.
Die regionalen Partner, das sind jene Organisationen, die für die Unterbringung, Betreuung, Fallführung, Integrationsförderung und Sozialhilfe im Asylbereich zuständig sind. In Bern und Umgebung ist das die Stadt Bern, im Berner Jura, Mittel- und Seeland das Schweizerische Rote Kreuz, im Berner Oberland die Organisation Asyl Berner Oberland und im Emmental-Oberaargau die ORS Service AG.
Diese sind einerseits angehalten, eigene Sprachkurse anzubieten, etwa direkt in Kollektivunterkünften. Andererseits müssen sie mit Personen im Asylbereich individuelle Lösungen finden. Gibt es also beispielsweise im ländlichen Saanenland keine andere Möglichkeit, einen Deutschkurs zu besuchen, dann können regionale Partner auch einen Besuch der Migros Klubschule für dort angesiedelte Geflüchtete finanzieren.
Rund 13 Prozent der 3'000-Franken-Pauschale gehen an die regionalen Partner für administrative Belange, wie eben die Beratung bei der Suche nach individuellen Lösungen. Weitere Beiträge sollen ermöglichen, dass die Partner bestimmte Kurs-Anbieter*innen direkt subventionieren, sodass ukrainische Personen die Kurse dort ebenfalls kostenlos besuchen können. Das können etwa Kurse durch Gemeinden oder Vereine sein.
Die Angebote, die über die regionalen Partner laufen, sind jedoch nur für Personen mit Schutzstatus S zugänglich, die auch Sozialhilfe beziehen. Das heisst: Wer den Schutzstatus S hat und Sozialhilfe bezieht, sollte die Möglichkeit für kostenlosen Deutschunterricht haben. Auch, wenn die Kurse der BKD ausgebucht sind.
Pro-Kopf-Beitrag, aber nicht fürs eigene Portemonnaie
Und was passiert mit dem Rest des Geldes? Was, wenn eine ukrainische Geflüchtete gar keine Sprachkurse besucht? Oder weder einen BKD-Kurs besuchen kann noch Sozialhilfe bezieht und deshalb ihren Deutschunterricht selbst bezahlt? Kann dann nicht ein Teil dieser 3'000 Franken anderweitig verwendet werden – etwa für die Miete? Kann man dieses Geld irgendwo beantragen?
«Nein», sagt Manuel Haas. Diese Beiträge seien zwar Pro-Kopf-Pauschalen, doch seien sie zweckgebunden nicht als persönliche Zustüpfe gedacht. «Das Geld kommt in einen Topf, mit dem der Kanton verschiedene Angebote finanziert», erklärt Haas.
Welche Angebote genau damit finanziert werden dürfen, ist vom SEM vorgegeben. Primär betreffen sie die Sprachförderung. Allerdings können damit beispielsweise auch die Arbeitsmarktintegration oder der Kita-Zugang gefördert werden. Den Bedarf einzelfallgerecht zu ermitteln und die Finanzierung umzusetzen, ist primär Aufgabe der regionalen Partner. Der Kanton muss jeweils abklären, ob die geplante Verwendung des Geldes mit den Vorgaben des SEM übereinstimmt.
Rückkehr versus Integration
Es drängt sich eine letzte Frage auf: Wie ist dieser Betrag von 3'000 Franken für ukrainische Geflüchtete im Lichte des gesamten Asylsystems zu betrachten? Wie funktioniert die Sprachförderung für Personen aus anderen Herkunftsstaaten, die keinen Zugang zum Schutzstatus S haben?
«Dieser Vergleich ist sehr schwierig zu ziehen», sagt Gundekar Giebel. Denn im Gegensatz zu einer vorläufigen Aufnahme oder einem anerkannten Flüchtlingsstatus sei der Schutzstatus S klar rückkehrorientiert. «Dieser Status wurde eingeführt, um kurzfristig ein hohes Flüchtlingsaufkommen möglichst gut bewältigen zu können», erklärt Giebel. Er sei aber nicht auf einen längerfristigen Aufenthalt in der Schweiz ausgerichtet – und damit auch nicht auf eine vollständige Integration.
Im Gegensatz dazu ist der Kanton für Asylsuchende aus anderen Staaten, die eine vorläufige Aufnahme (Status F) oder den Flüchtlingsstatus erhalten, für mindestens fünf bis sieben Jahre zuständig. In diesen Fällen erhält der Kanton vom Bund eine einmalige Integrationspauschale von 18'000 Franken pro Person. Dieser Betrag dient der längerfristigen sprachlichen, beruflichen und sozialen Integration. Deshalb muss hier der regionale Partner mit jeder erwachsenen Person einen individuellen Integrationsplan erstellen.
Sprachkurse – bei der BKD oder anderswo – werden dann je nach Niveau und Dauer des Aufenthaltes individuell und zusätzlich zum Grundbedarf durch die regionalen Partner finanziert.
Im Vergleich zur Integrationspauschale von 18'000 Franken bei einer vorläufigen Aufnahme oder Flüchtlingsstatus mögen die 3'000 Franken für ukrainische Geflüchtete also nicht als besonders viel scheinen. Der Schutzstatus S ist aber auch nicht auf eine Integration in der Schweiz ausgerichtet.
Ausserdem: Menschen mit einer vorläufigen Aufnahme oder Flüchtlingsstatus haben bereits ein Asylverfahren durchlaufen. Während diesem gibt es höchstens durch freiwillige Angebote die Möglichkeit, Sprachkurse zu besuchen – weil ja noch unklar ist, ob sie in der Schweiz bleiben dürfen oder nicht. Eine Integrationspauschale wird erst bezahlt, wenn das Asylverfahren abgeschlossen ist und mit einer vorläufigen Aufnahme oder einer Anerkennung als Flüchtling geendet hat. Der Schutzstatus S hingegen kann von ukrainischen Geflüchteten beantragt werden, ohne dass ein Asylverfahren durchlaufen werden muss.
Wie gesagt: Es ist kompliziert. Und nicht in jedem Fall genau gleich für alle.
Wer im Asylverfahren ist, vorläufig aufgenommen (Status F), als schutzbedürftig (Status S) oder als Flüchtling (Status B) anerkannt wurde, hat ein Recht auf Unterstützung. Wie diese Unterstützung ausfällt und wer dafür zuständig ist, unterscheidet sich je nach Kanton und Aufenthaltsstatus. Ausgerichtet wird ein Grundbedarf, der Essen, Kleider, Haushalt, Körperpflege, Verkehr und Kommunikation decken soll. Miete, Krankenkasse und Gesundheitskosten werden separat übernommen.
Im Kanton Bern beläuft sich dieser Grundbedarf bei als Flüchtlinge anerkannten Personen auf 977 Franken pro Monat. Der Grundbedarf für zwei Personen liegt bei 1’495 Franken, also bei 747.50 Franken pro Person, ein Ehepaar mit zwei Kindern hat Anspruch auf einen Grundbedarf von 2’090 Franken.
Dazu kommt die Miete, welche für eine Person, die älter als 25 Jahre ist, maximal 1’000 Franken betragen darf; einem Ehepaar werden bis zu 1’350 Franken, einer vierköpfigen Familie höchstens 1’750 Franken an die Nettomiete angerechnet. Dazu kommen die Nebenkosten, die in diesen Beträgen nicht mitgerechnet sind.
Diese Beträge für Personen mit Status B entsprechen der Sozialhilfe, die Schweizer*innen bei ausgewiesener Bedürftigkeit zusteht.
Auf den Status kommt es an
Niedriger sind die Beträge, die Personen im laufenden Asylverfahren, Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung – die Geflüchteten aus der Ukraine mit Status S – und vorläufig aufgenommene Ausländer*innen mit Status F erhalten. Diese Personengruppen erhalten die sogenannte Asylsozialhilfe, die per Gesetz unter dem Ansatz für die einheimische Bevölkerung liegt.
Mit dem Krieg in der Ukraine wurde die Privatunterbringung von Geflüchteten ein Thema; zugleich entstand dadurch ein neuer Konfliktpunkt in der aktuellen Asylpolitik: Ukrainer*innen mit Status S können sofort bei Gastfamilien oder selbstständig in Wohnungen wohnen, während Asylsuchende und vorläufig Aufgenommene aus anderen Ländern zunächst in Kollektivunterkünften untergebracht werden – und manchmal für Jahre dort bleiben. Wann diese Personen selbstständig in einer Wohnung wohnen dürfen und entsprechend unterstützt werden, hängt von verschiedenen Kriterien wie Aufenthaltsstatus und -dauer, Integrationsgrad und Familienkonstellation ab.
Der Grundbedarf in der Asylsozialhilfe für Personen in Kollektivunterkünften beträgt für eine Person 382 Franken, für zwei Personen 702 Franken (also 351 Franken pro Person) und für eine vierköpfige Familie 1’160 Franken pro Monat. Anstelle dieser Geldleistungen kann die Unterstützung auch durch die Abgabe von Nahrungsmittel, Kleidern und Hygieneartikeln erfolgen.
Abzug für Putzmittel und Serafe
Der Grundbedarf für selbständig wohnende Personen in der Asylsozialhilfe beträgt 696 Franken für eine Person, 1065 Franken für zwei Personen (533 Franken pro Person) und 1489 Franken im Monat für eine vierköpfige Familie. Dazu kommt der Mietzins, der im Kanton Bern den Beträgen entspricht, auf die Personen in der regulären Sozialhilfe Anspruch haben.
Menschen mit Schutzstatus S, welche bei Gastfamilien wohnen, erhalten von diesem Grundbedarf sieben Prozent weniger ausbezahlt, da sie nicht selbst für Fernsehgebühren und Putzmaterialen aufkommen müssen.
Personen, deren Asylgesuch rechtskräftig abgelehnt wurde, werden bis zu ihrer Ausreise in Rückkehrzentren untergebracht. Sie sind von der Sozialhilfe ausgeschlossen, erhalten Nothilfe von acht Franken pro Tag und sind vom Kanton krankenversichert.
«Unterschiede sind politisch motiviert»
Doch warum unterscheiden sich diese Beträge? Und weshalb gibt es je nach Aufenthaltsstatus in der Schweiz verschiedene Existenzminima?
Die «Hauptstadt» hat bei Claudia Hänzi, Leiterin Sozialamt der Stadt Bern, nachgefragt. Die Stadt Bern definiere kein Existenzminimum, schreibt Hänzi in ihrer Antwort. Sie orientiert sich bei den Beträgen an der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). Diese empfiehlt über ihre Richtlinien ein soziales Existenzminimum, welches die Teilhabe am wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Leben ermöglichen soll.
Die Ergänzungsleistungen, welche an Personen ausgerichtet werden, deren AHV- oder IV-Rente die minimalen Lebenskosten nicht deckt, definieren wiederum ein eigenes Existenzminimum, das etwas höher angesetzt ist als das in der Sozialhilfe. Ergänzungsleistungen sollen die Verarmung von Teilen der Bevölkerung verhindern.
Das Gesetz bzw. die verschiedenen Sozialversicherungsinstitutionen unterscheiden also verschiedene, unterschiedlich definierte Existenzminima. Der Grund dafür sei, «dass divergierende Zielsetzungen den verschiedenen Gesetzgebungen zugrunde liegen», schreibt Claudia Hänzi. «Die Unterschiede sind damit nicht unwesentlich politisch motiviert.»