Auf dem Elfenauhof geht eine Ära zu Ende
120 Jahre lang hat die Familie Weber in der Elfenau Landwirtschaft betrieben. Wenn 2025 neue Pächter*innen auf den städtischen Bauernhof ziehen, müssen Alfred, Elisabeth und ihr Sohn Hansueli den Hof verlassen.
Diese Szene könnte einem Heimatfilm entspringen: Alfred Weber, den hier alle nur «Fredi» rufen, läuft gemächlich die abfallende Wiese der Elfenau herunter. Sein Sohn Hansueli steuert nicht weit entfernt den Traktor.
Es ist Ende Juni, die Sonne steht schon tief und taucht Hügel, Gras und Wälder in ein Licht, das selbst harte Herzen erweichen lässt. Rührseligen Kitsch nennt dies nur, wer noch nie zu dieser Uhrzeit, zu dieser Jahreszeit, da gewesen ist. Dort im Osten Berns, unweit der Aare, wo die Gemeinde Muri nur einen kurzen Fussmarsch entfernt liegt.
Fredi trägt einen abgewetzten Strandhut, der ihn vor der Sonne schützt, und blickt auf das zu kleinen Haufen zusammengerechte Heu. Er ist 84 Jahre alt und kennt in der Elfenau wahrscheinlich jeden Grashalm. Er wurde auf dem Elfenauhof geboren. Auf dem Elfenauhof hat er seine ersten Schritte gemacht und 1962 den Hof in Pacht von seinem Grossvater übernommen. Da war Fredi erst 24 Jahre alt. «Überraschend» sei das damals gekommen, sagt er heute, 60 Jahre später.
Er hatte zwar schon eine landwirtschaftliche Ausbildung, aber dass er so früh Verantwortung übernehmen musste, lag auch daran, dass in der Generation vor ihm in der Familie niemand für eine Nachfolge in Frage kam.
Mit eigener Hände Arbeit
«Buuren» ist ein Mundart-Verb, für das es im Hochdeutschen keine Entsprechung gibt. Als Fredi 1962 «buurte» bedeutete das: Er kümmerte sich um 30 Kühe, melkte von Hand, denn eine Maschine dafür gab es erst später. Im Stall standen ausserdem zwölf Zuchtschweine. Hinzu kam der Anbau von Kartoffeln und Getreide. Das sei eine sehr intensive und körperlich fordernde Arbeit gewesen, erinnert er sich. Fredi war damit nie allein.
1963 heiratete er seine Frau Elisabeth, die den Hof mitführte. Sie bildete ausserdem Lehrlingstöchter im sogenannten «bäuerlichen Haushaltslehrjahr» aus. Fredi wiederum brachte Lehrlingen während Jahrzehnten die Kniffe der Landwirtschaft bei und bekam im Gegenzug von ihnen Unterstützung. Die jungen Menschen lebten auch immer mit der Familie auf dem Hof.
Die Webers haben vier Kinder, für die das Zusammenleben mit den Lehrlingen viele neue Eindrücke bedeutete. Tochter Sylvia erinnerte sich: «Bei uns sassen Auszubildende mit ganz verschiedenen Hintergründen am gemeinsamen Tisch – Tessinerinnen und Romands, Oberländer, die zum ersten Mal in die Stadt kamen.»
Teilweise kämen die ehemaligen Lehrlinge auch noch heute, Jahrzehnte später, auf den Hof zurück, so stark sei die Verbindung aus der Zeit, sagt die Tochter.
Die mühevolle körperliche Arbeit mit wenigen Maschinen, von denen Fredi berichtet, mutet heute altertümlich an, andere Schilderungen aus den 1960er Jahren scheinen dagegen moderne Nachhaltigkeitskriterien zu erfüllen: So lud der junge Bauer damals die erzeugten Kartoffeln auf den vom Ross gezogenen Anhänger, und transportierte sie umweltschonend direkt zu den Restaurants oder Spitälern der Innenstadt.
Gestern wie heute ist es eine besondere Herausforderung, Landwirtschaft in der Elfenau zu betreiben. Es kommen viele Interessen zusammen und es passiert viel auf vergleichsweise geringem Raum.
Der Sohn übernahm
Fredi achtete zum Beispiel früher darauf, dass er die Gülle nur an bestimmten Wochentagen auf die Felder ausbrachte, um die umliegenden Anwohner*innen nicht zu stören. Diese Zeiten sind vorbei. Gülle wird heute keine mehr ausgefahren. Der einzige landwirtschaftliche Ertrag ist Heu.
Und Fredi ist seit 1993 nicht mehr Pächter, sein Sohn Hansueli hat damals das Zepter übernommen. Einer, der die beiden gut kennt, sagt, dass es damals zu folgender Übereinkunft gekommen sein soll: Hansueli ist der neue Pächter, aber Fredi früh am Morgen der Erste im Kuhstall. Fredi war demnach weiterhin fester Bestandteil des Hoflebens – er lebt bis heute mit seiner Frau im oberen Geschoss des Wohnhauses.
Auch wenn der Elfenauhof stadtnah ist und eingebettet liegt in eine mondäne Parkanlage, konnte er sich dem Wandel der Schweizer Landwirtschaft nicht entziehen. Der Umweltschutz spielte spätestens ab den 1990er Jahren eine immer stärkere Rolle. Das System der Direktzahlungen etablierte sich. Hansueli hat diesen Wandel mitgetragen. Auch wenn er sich dafür manches Mal vor seinem Vater habe rechtfertigen müssen, wie er heute sagt. Und Hansueli setzte von Beginn an nicht nur auf die Karte Landwirtschaft. Er fuhr mit wechselnden Pensen immer als Lastwagenchauffeur. «Ein Auftrag in Genf – das kam mir manchmal vor wie Ferien», sagt er. Fern vom Hof, alleine mit Gedanken.
Keine Kühe mehr
Unter Hansuelis Führung wandelte sich der Hof stückweise: 2019 trennte er sich von den 30 Milchkühen. Er sei zuvor mehrmals an seine Belastungsgrenzen gekommen, sagt Hansueli rückblickend. Als die Kühe auszogen, blieb der Stall jedoch nicht leer: Die Murifeld-Kita schuf dort und in weiteren Räumlichkeiten auf dem Hof einen Lernort für Kinder. Heute leben Geissen, Hühner und Esel auf dem Hof – als pädagogische Nutztiere.
Die Elfenau liegt zwischen dem Waldstück Elfenauhölzli und der Gemeindegrenze zu Muri im Südosten der Stadt Bern.
Auf der weitläufigen Parkanlage befinden sich historische Gebäude des ehemaligen Landguts und die Produktionsanlagen sowie die Gärtnerei von Stadtgrün Bern. In der Orangerie finden regelmässig Kulturanlässe statt.
Der Bauernhof der Elfenau ist im Besitz der Stadt. 2009 erwog die Stadt, den Hof zu verkaufen, wogegen sich Widerstand aus der Bevölkerung regte. Ende Mai 2023 hat die Stadt die Pacht für den Hof neu ausgeschrieben. Die landwirtschaftliche Nutzfläche des Bauernhofs beträgt rund 25 Hektar. Zum Vergleich: Im Durchschnitt umfassten die Schweizer Landwirtschaftsbetriebe 21,3 Hektaren (Quelle: Agrarbericht 2022).
Ein Ort für viele und vieles
Ende Mai 2023 hat die Stadt die Pacht für den Hof neu ausgeschrieben, weil sich der aktuelle Pachtinhaber Hansueli dem Pensionsalter nähert. Familienintern gab es keine Nachfolgerin oder Nachfolger.
Wer übernimmt ab 2025 das Ruder auf dem Elfenauhof?
Die Ausschreibung der Stadt macht auf jeden Fall deutlich, dass die Anforderungen vielfältig sind und wohl nur von einem Team erfüllt werden können:
Die neue Pächterschaft soll nach Bio-Kriterien und kostendeckend wirtschaften, heisst es in der Ausschreibung. Der Betrieb soll ausserdem einen Beitrag ans Stadtklima leisten und als sozialer Ort dienen, an dem die Landwirtschaftsproduktion vermittelt wird. Das Ganze soll sich möglichst harmonisch in die bestehende Parkanlage einfügen.
Kann der Hof selbsttragend sein?
Andreas Wyss ist Vorstandsmitglied der IG Elfenau und verfolgt die Entwicklung des Bauernhofs seit Jahrzehnten. In der Interessensgemeinschaft Elfenau organisieren sich Anwohner*innen für den Schutz des Ökosystems im Quartier. Die IG hat zusammen mit der Quartiervertretung Stadtteil IV bereits ein Betriebskonzept für den Elfenauhof entworfen.
Für ihn sei es bei dem vielfältigen Anforderungsprofil «eine Illusion», dass der Hof selbsttragend betrieben werden könne. Er schlägt deshalb vor, eine Stiftung zu gründen, an die der Hof übertragen wird, und die zugleich finanziell von Dritten unterstützt werden kann. Eine entsprechende Initiativgruppe zur Vorbereitung sei bereits gegründet, so Wyss.
Unterdessen läuft die Suche nach den neuen Pächter*innen, denn die Zeit drängt. Bis Ende 2024 soll das neue Team gefunden sein. Bei einem Medienanlass mit der IG Elfenau informierte die Stadt Ende Juni darüber, dass sich rund 110 Interessent*innen, die sich in 35 Teams organisieren, um die Pacht bewerben möchten.
Für Fredi, Elisabeth und Hansueli Weber sind damit die Tage auf dem Elfenauhof gezählt. «Noch ist nichts entschieden», sagt Fredi. Am liebsten wolle er mit seiner Frau zumindest im Quartier eine neue Behausung finden. Und Hansueli sagt: «Ich geniesse einfach die letzten zwei Jahre». Am Abend nach getaner Arbeit durch die Allee zu laufen – es macht ihn wehmütig, wenn er daran denkt, dass er das bald aufgeben muss. Aber er könne ja als Besucher wiederkommen. Und nicht als Bauer.