«Es geht ganz, ganz langsam vorwärts»
Seit drei Jahren lebt die Bernerin Monika Grossen mit Long Covid. Ihren steinigen Weg zurück in die Normalität dokumentierte sie mit Fotografien, die nun in einer Ausstellung zu sehen sind.
Am Anfang steht eine Blume. Sie wächst auf einer Baustelle, aus einem Spalt im Beton. Monika Grossen sieht sie, als sie auf dem Weg in die Physiotherapie ist. «Die hat es auch nicht leicht», denkt sie, «sie kämpft aber.»
Das ist im Sommer 2022. Die Bernerin Monika Grossen ist zu diesem Zeitpunkt seit mehreren Monaten von Long Covid betroffen. Spontan fotografiert sie die kleine und starke Steinbrecher-Blume. Sie gibt ihr Hoffnung. Und die Fotografie wird für Monika Grossen bald ein Weg, ihren Genesungsprozess zu dokumentieren. «Ich merkte, dass Long Covid und die Fotografie viel gemeinsam haben: Bei beiden muss man im Moment sein», sagt die 44-Jährige.
Nun lässt sie die Öffentlichkeit mit einer Fotoausstellung unter dem Titel «LoCo Kosmos» im Restaurant Dock 8 im Holligerhof daran teilhaben. LoCo steht dabei für Long Covid.
Pacing hilft im Alltag
Monika Grossen geht es heute, drei Jahre nach ihrer Erstinfizierung mit Covid, viel besser. Und doch ist ihr Alltag nicht derselbe wie vorher. So musste sich die Bernerin am Tag vor dem Interview mit der «Hauptstadt» extra viel Ruhezeit einplanen. Auch beim Aufstehen hat sie nichts dem Zufall überlassen. Sie muss ihre Kräfte dosieren. Genau einteilen, wie sie mit ihrer Energie haushaltet.
Pacing nennt sich das in der Fachsprache. Den Tag einteilen, strukturieren und planen, um nicht über die Energiegrenzen zu gehen. Das Pacing dient ihr als Grundlage, um mit dem Long-Covid-Syndrom zurechtzukommen.
Stationen des Heilungsprozesses
Jetzt sitzt Monika Grossen entspannt in ihrem Fotoatelier beim Eigerplatz und lacht freundlich. An den Wänden hängen viele Fotos, die sie in den letzten Jahren gemacht hat. Bilder, die künstlerisch die Stationen ihres Heilungsprozesses illustrieren. Da gibt es etwa ein halbes Porträtbild, weil sie sich eben energietechnisch begrenzt fühlt, Aufnahmen von Gebäuden, die so nah herangehen, dass man das Bauwerk als solches nicht mehr erkennt, und viele Naturbilder. Bald eröffnet ihre Ausstellung.
«Ein innerer Impuls signalisierte mir, meinen Genesungsprozess auf kreative Art und Weise zu dokumentieren und dadurch Betroffenen eine Stimme zu verleihen», sagt sie. Auch wenn sie jetzt, kurz vor der Vernissage, Bammel hat. Vieles muss noch entschieden und angepackt werden – und sich selbst darf sie dabei nicht überanstrengen.
Chronische Müdigkeit
Long Covid sieht man der studierten Sozialarbeiterin nicht an. Monika Grossen ist von einer motorischen und kognitiven Fatigue betroffen, also einer chronischen Müdigkeit. Es ist ein Erschöpfungszustand, eine der verbreiteten Auswirkungen von Long Covid. Es gibt Betroffene, die es fast oder gar nicht mehr aus dem Bett schaffen. Und es ist von aussen, für Nichtbetroffene, schwer nachvollziehbar, wie sich das anfühlt. Das macht die Erkrankten hilflos.
Monika Grossen erinnert sich gut daran, dass sie vor ihrer Krankheit einen Fernsehbeitrag über eine Betroffene von Long Covid sah, die schon nach dem Schneiden eines Rüebli erschöpft war. «Ich dachte: Das ist unglaublich! Aber natürlich dachte ich nicht daran, dass es mir passieren könnte.»
Doch auch Monika Grossen konnte in den ersten Wochen nach der Corona-Infektion kaum aufstehen. Dazu kam der sogenannte Brainfog, ebenfalls ein häufiges Symptom bei Long Covid mit der Folge, dass sie nicht klar denken konnte. Arbeiten war so nicht möglich.
Im Mai 2022 folgte die Diagnose in der Long-Covid-Sprechstunde des Inselspitals. Sie wurde für mehrere Monate krankgeschrieben, absolvierte Therapien und Behandlungen. Ein erster beruflicher Wiederaufbau an ihrem angestammten Arbeitsplatz erfolgte. Sie erfuhr viel Unterstützung durch den damaligen Arbeitgeber. Wirtschaftlich bedingte Restrukturierungen führten jedoch zu einem Weggang.
Kräftezehrender Weg
Was danach folgte, ist wohl typisch für viele Betroffene einer chronischen, noch wenig erforschten Krankheit. Grossen landete beim regionalen Arbeitsvermittlungszentrum (RAV), ein Antrag auf Wiedereingliederungsmassnahmen durch die IV wurde abgelehnt, auch die Einsprache war erfolglos. Erst eine Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht zeigte Wirkung: Es gab Monika Grossen Recht.
Seit Juni 2024 absolviert sie nun im Programm Firstep der UPD ein berufliches Aufbautraining, finanziert durch die IV. Das Ziel ist es, dass Monika Grossen ab April wieder schrittweise in den ersten Arbeitsmarkt einsteigt. Aktuell sucht sie eine 40-Prozent-Anstellung im sozialen Bereich, um das sogenannte Arbeitstraining zu absolvieren.
Bis zum positiven Entscheid war es ein steiniger und kräftezerrender Weg. Ohne Rechtsschutzversicherung, durch die sie eine juristische Unterstützung hatte, hätte sie wohl kaum eine Chance gehabt. Um so wichtiger sei die Unterstützung durch ihren Partner Jahn, durch ihre Familie und den Freundeskreis. «Mein Partner musste so viel übernehmen, so oft alleine an Anlässe gehen und dann immer all die Fragen aushalten: Wo ist sie? Wie geht es ihr?»
Hoffnung auf die Zukunft
Monika Grossen hat in den letzten Jahren viel gelernt. Zum Beispiel auch Achtsamkeit. Sie wurde ihr durch Long Covid quasi aufgezwungen. «Am Anfang crashte ich nach Aktivitäten regelmässig», sagt sie. Solche Crashes hat sie nicht mehr. Mit Hilfe des erlernten Pacings kann sie die vorhandene Energie besser einteilen und dadurch verhindern, das verfügbare Kräftekontingent zu überschreiten.
Und an welchem Punkt steht sie heute? «Das ist eine schwierige Frage», sagt Monika Grossen, «ich stelle sie mir auch immer wieder. Ich denke, ich bin bei 50 bis 60 Prozent meiner Ursprungskraft.» Das Wichtigste sei aber: «Es geht nicht mehr rückwärts. Stattdessen ganz, ganz langsam vorwärts.»
In Zukunft möchte Grossen wieder im sozialen Bereich arbeiten. «Ich habe die Hoffnung, dass ich das, was ich in den letzten drei Jahren gelernt habe, als Ressource beruflich anwenden kann.» Gleichzeitig will sie mit ihrer Ausstellung mit der ganz schwierigen Zeit abschliessen. Für Monika Grossen geht es weiter. «Aber die Betroffenen dürfen nicht vergessen werden.»
Die Ausstellung ist vom 15. März bis 9. April im Dock 8 im Holligerhof zu sehen und kostet keinen Eintritt.