Heikle Festnahme in Bern

Bei einer Verhaftung schlägt ein Polizist einem am Boden liegenden Mann gegen den Kopf. Ein Experte taxiert die Szene als unverhältnismässig.

Polizei 2
(Bild: Pia Zibulski)

Die Szene im Video wirkt brutal. Mit Wucht haut der Polizist dem am Boden liegenden Mann gegen den Kopf. Zwei Kollegen in Zivil fixieren diesen derweil an Armen und Beinen. Der Mann schreit laut auf, während ihm der Polizist sein Knie gegen den Kopf drückt. Der Geschlagene ist ein Schwarzer Mann. Ein klarer Fall von Polizeigewalt? Nun: Es ist kompliziert.

Hinweis: Das nachfolgende Video enthält Gewaltszenen. Der Schlag gegen den Kopf ist ca. bei Minute 0:03 zu sehen. Die Gesichter der Involvierten wurden durch die «Hauptstadt» unkenntlich gemacht.

Gefilmt wurde die Szene in der Stadt Bern Anfang Dezember von einem Studenten. Er ist an diesem Tag per Zufall mit dem Velo unterwegs in Richtung Universität, als ihn auf der Lorrainebrücke ein Polizeiauto mit Blaulicht überholt. Weil das Auto direkt auf die Schützenmatte abbiegt und ein zweites Polizeiauto hinzu stösst, folgt er diesem und beginnt die bereits laufende Verhaftung zu filmen.

Drei Polizist*innen halten ihn dabei auf Distanz. Sie formen einen Halbkreis um den Mann am Boden. «Weg mit dem Telefon!», fordert eine Polizistin den Filmenden auf. Mehr nicht. Das Filmen von Polizeieinsätzen ist in der Schweiz zwar umstritten, aber grundsätzlich erlaubt.

Experte: «Schläge nicht erforderlich»

Doch wie ist es mit dem Faustschlag gegen den Kopf? Ist dieser auch erlaubt? Die «Hauptstadt» hat die Szene im Video von einem Experten bewerten lassen: Markus Mohler ist ehemaliger Kommandant der Kantonspolizei Basel-Stadt und spezialisiert auf Polizeirecht.

Mohler betont zunächst ausdrücklich, dass im Video nicht zu sehen ist, was vor Beginn der Aufnahme vorgefallen war. «Zu sehen ist hingegen, wie sich der kräftige Mann mittels seiner Beinarbeit auch dann noch gegen die Festnahme stemmte, als drei Polizeiangehörige ihn bereits an Armen und Beinen zu Boden drückten.»

Entscheidend sei jedoch, dass der Mann bereits zu Boden gedrückt wurde: «Die Schläge gegen den Kopf waren für die Festnahme nicht mehr erforderlich, daher erachte ich sie als unverhältnismässig», sagt Mohler.

Schweizweite Praxis

Grundsätzlich verboten sind solche Schläge gegen den Kopf nicht. Sie werden als «Ablenkungsschläge» bezeichnet und sind im Rahmen einer Festnahme erlaubt. Jedoch unter einer Bedingung: «Gegen den Kopf sind solche Schläge nur in einer akuten Notwehrsituation zulässig», sagt Mohler. Dies sei schweizweit Teil der Polizeiausbildung.

«Es lässt sich keine Notwehrsituation erkennen.»

Markus Mohler, Experte für Polizeirecht

Im Mai dieses Jahres äusserte sich auch der damalige Kommandant der Stadtpolizei Zürich zum Thema und bestätigte, dass Schläge gegen den Kopf nur noch zur Notwehr erlaubt seien. Die Zürcher Stadtpolizei stand zuvor in der Kritik, weil ein Polizist anlässlich einer unbewilligten Frauendemo mehrmals mit der Faust gegen den Kopf einer Teilnehmerin geschlagen hatte.

Doch wie ist die Ausgangslage bei der Schützenmatte-Verhaftung? Ist da die Bedingung der Notwehr erfüllt? «Nein, im Video lässt sich keine Notwehrsituation mehr erkennen», sagt Mohler. Eine solche könne aber zuvor bestanden haben.

Das sagt die Polizei

Die «Hauptstadt» hat auch der Kantonspolizei Bern das Video gezeigt – unverpixelt und mit Bitte um eine Stellungnahme.

«Einer zivilen Patrouille ist an diesem Vormittag auf der Schützenmatte ein Mann aufgefallen, der zu einer längeren Haftstrafe aus einem anderen Kanton ausgeschrieben war», schreibt Ramona Mock, Medienverantwortliche der Kantonspolizei. Anlässlich der Personenkontrolle habe der Mann aufbrausend reagiert und Widerstand geleistet, indem er sich geweigert habe, seine Hände aus Sicherheitsgründen aus den Taschen zu nehmen.

«Als seine Hände schliesslich aus den Taschen genommen werden konnten, wurde festgestellt, dass der Mann einen unbekannten Gegenstand in der Hand hielt», schreibt Mock weiter. «Der Aufforderung, seine Faust zu öffnen, kam er ebenfalls nicht nach.»

Also forderten die beiden Polizisten in Zivil gemäss der Medienverantwortlichen Verstärkung an. Kurze Zeit später wird der Student auf seinem Velo von einem Polizeiauto in Blaulicht überholt und beginnt zu filmen.

Polizei 1
Dass die Festnahme gefilmt wurde, passte der Polizei nicht. Trotzdem liess sie es geschehen. (Bild: Pia Zibulski)

Polizeisprecherin Mock beschreibt die Festnahme wie folgt: «Der Mann wehrte sich massiv und wollte sich der Anhaltung entziehen – auch dann noch, als man ihn zu Boden geführt hatte.» Ein Polizist habe ihm anschliessend «zur Ablenkung kurz an den Kopf geschlagen, um ihn unter Kontrolle zu bringen und seine immer noch geballte Hand zu lösen.»

Zum Vorwurf der unverhältnismässigen Gewaltanwendung äussert sich die Kantonspolizei Bern nicht direkt. «Wir klären nun intern die genauen Umstände des Einsatzes», schreibt Mock.

Viele offene Fragen

Ob der Faustschlag widerrechtliche Polizeigewalt ist, müsste die interne Untersuchung oder ein allfälliges juristisches Verfahren klären. Dabei wäre unter anderem zu klären, ob der Mann tatsächlich etwas in der Hand gehalten hat. Und falls ja: War damit die Voraussetzung der Notwehrsituation erfüllt? Oder konnte diese gar nicht erfüllt sein, da der Mann bereits von mehreren Personen auf den Boden gedrückt wurde – geschlossene Faust hin oder her?

Eine Statistik zu Fällen von unrechtmässiger Polizeigewalt gibt es im Kanton Bern nicht. «Entsprechend gross ist die Dunkelziffer», schreibt Augenauf Bern. Die Nichtregierungsorganisation berät Betroffene von Polizeigewalt und hilft unter anderem bei der Dokumentation und der Suche nach Anwält*innen. Oftmals seien die Vorfälle nur mündlich überliefert oder die Betroffenen würden sich nicht getrauen, dagegen vorzugehen. «Insbesondere People of Colour gehören zu den am meisten betroffenen Bevölkerungsgruppen», schreibt Augenauf Bern.

Ein Lösungsansatz könnte eine Ombudsstelle sein, an die sich Betroffene wenden können. In Bern lehnten in der Vergangenheit aber sowohl das Kantonsparlament wie auch die Regierung die Schaffung einer solchen Stelle ab. Andere Kantone wie Basel-Stadt, die Waadt oder Zürich verfügen bereits seit Jahren über eine solche Ombudsstelle.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren