Freiheit belebt die Libido

Sie galten als ausgestorben, nun schwimmen sie wieder in der Aare: Fischotter. Was Ausreisser*innen aus dem Dählhölzli damit zu tun haben, schreibt unsere Kolumnistin.

Illustration Tierkolumne
(Bild: Natalie Neff)

Vor kurzem war Weltottertag. Auch Bern hat Grund mitzufeiern. Denn in der Aare rund um die Stadt schwimmen seit einigen Jahren wieder Fischotter. Daneben sind nur in zwei anderen grossen Fliessgewässern Vorkommen bekannt, im Inn und im Rhein aufwärts des Bodensees. 

Zahlreich sind die Fischotter nicht: Der Bestand zählt wohl kaum mehr als 15 Tiere. Bis 1989 galt die Art in der Schweiz als ausgestorben.

Nicht ganz unerheblich für das Revival der Otter in der Schweiz war das Hochwasser vom August 2005. Denn damals entwischte ein Fischotterpärchen aus dem Tierpark Dählhölzli. Erst anderthalb Jahre später konnten die Tiere wieder eingefangen werden.

Das Leben in Freiheit schien ihrer Libido gut getan zu haben, denn im Mai 2006 wurde in freier Wildbahn – beim Lorrainebad – das Fischotterweibchen mit Jungtieren gesichtet. Einer dieser Nachkömmlinge hielt sich über Jahre in der Region auf, unauffällig und unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit. 

Unerwarteter Nachwuchs

Fischotter werden nicht alt. Im Schnitt erreichen frei lebende Tiere ein Alter von gerade mal vier Jahren. Man rechnete daher mit einem allmählichen Verschwinden der Art aus der Aare. Umso grösser war die Überraschung, als sich die Otterpopulation um Bern im Jahr 2015 wie aus dem Nichts vervielfachte: Jungtiere! Seither haben sich die Tiere mehrmals fortgepflanzt und Territorien zwischen Thun und dem Wohlensee etabliert. 

Doch der Blick in die Zukunft ist nicht allzu rosig. Seit 2017 wird zweijährlich das Fischottervorkommen in den Kantonen Bern und Solothurn kartiert. Zwar kann man aufgrund der bisher drei durchgeführten Kartierungen noch keine abschliessenden Aussagen machen, doch deutet der Vergleich der Daten auf eine klare Abnahme des Bestandes hin. Positiver ist der Trend im Osten der Schweiz. Dort wandern immer wieder einzelne Fischotter aus den wachsenden Beständen von Österreich ein.

Auch wenn es herumstrolchende Fischotter gibt: Die meisten Tiere verlassen ihre Heimat nur ungern. Streifgebiete von Fischottern sind gross und liegen durchschnittlich bei 10 Kilometern Bachlauf für Weibchen. Die Territorien der Männchen sind in der Regel doppelt so gross. 

Gefährliche Brücken

Das Territorium wird gegenüber gleichgeschlechtlichen Artgenoss*innen vehement verteidigt. Der Grund dafür ist Futterneid: Fischotter haben einen hohen Stoffwechsel und dadurch auch einen Mordshunger. Dabei fressen sie vorwiegend Fische. Knapp 15 Prozent seines Gewichts benötigt ein Tier pro Tag, um zu überleben. Weibchen sind durchschnittlich 6 kg schwer, Männchen etwa 9 kg. Da läppert sich einiges zusammen. Wo die Nahrung knapp wird, ist der Hungertod nicht weit.

Etwas unbekannter ist die menschengemachte Mortalität. In Mitteleuropa gilt der Strassenverkehr als Todesursache Nr. 1 für Fischotter. In der Schweiz wird das nicht anders sein. Wir sind ein Land des Wassers, der Strassen und der Brücken: 65’000 Kilometer Flusslänge und ein noch längeres Strassennetz.

Territorial wie Fischotter sind, markieren sie gerne unter Brücken mit höhlenartigem Charakter. Doch wo ein Uferstreifen fehlt, bevorzugen sie den Weg über die Strasse, statt untendurch zu schwimmen. Wenn nur schon eine einzige solche Brücke im Territorium eines Fischotters liegt, kann das tödlich enden.

Um für Fischotter gefährliche Brücken frühzeitig zu identifizieren, läuft derzeit ein schweizweites Citizen-Science-Projekt der Stiftung Pro Lutra. Mitmachen können alle. Und so dazu beitragen, den Lebensraum für den Fischotter sicherer zu gestalten und unseren noch sehr kleinen Otterbestand in der Schweiz zu schützen.

Zur Person

Die Bernerin Irene Weinberger ist als Biologin spezialisiert auf einheimische Wildtiere und das Konfliktmanagement zwischen Natur und Mensch.

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