Fremdeln – Gleis 49/#5
Weltoffenes Biel, sich selbst genügendes Bern? Nicoletta Cimmino und Jürg Steiner diskutieren darüber, ob und warum es in Biel einfacher ist, Anschluss zu finden als in Bern.
Nicoletta: Jürg, Bernern sagt man ja gerne nach, sie seien «gmögig». Ich behaupte: das Gegenteil ist der Fall.
Jürg: Hoppla, jetzt willst du es aber wissen. Aber gut: Ich bin fast ein bisschen froh, findest du mich als Stadtberner nicht einfach gmögig. Gmögig heisst für mich: Wahnsinnig gemütlich, aber auch ein bisschen bequem, harmlos und auf Zustimmung erpicht. Von aussen ständig so eingeschätzt zu werden, kann ziemlich auf die Nerven gehen.
Seit 2019 startet und hält der Zug IR 65 von und nach Biel am weit entfernten Perron 49 im Bahnhof Bern. Wir finden, die beiden wichtigsten Städte im Kanton Bern sollten sich näher kommen als die periphere Gleissituation suggeriert.
Deshalb unterhalten sich Nicoletta Cimmino (Publizistische Leiterin Gassmann Medien, Biel) und Jürg Steiner (Co-Redaktionsleiter «Hauptstadt», Bern) in dieser Kolumne einmal im Monat über Bieler und Berner Blickwinkel auf das Leben. Mit Humor und Lebenslust.
Nicoletta: Ich kann dich beruhigen, bequem und harmlos bist du überhaupt nicht. Mit gmögig meinte ich eher: nahbar und offen. Ich habe die Erfahrung gemacht - und das oft schon von anderen Auswärtigen gehört - dass es recht schwierig ist, in Bern Anschluss zu finden, wenn man nicht aus Bern stammt. Ich habe fast 20 Jahre in der Stadt Bern gearbeitet und hatte manchmal das Gefühl, die Berner kennen sich alle aus dem Kindergarten und bleiben dann zwar ewig befreundet, aber von aussen hat man keine Chance, dort einen Platz zu finden. Wie siehst du das?
Jürg: Genau gleich. Nur so als Beispiel: Wir hatten zweimal ein Jahr lang Austauschschüler*innen in unserem Haushalt, und beide hatten grosse Mühe, in Bern hineinzukommen. Ob das typisch stadtbernisch ist, ich weiss nicht: Als ich im Tessin wohnte, erlebte ich das selber: Man freundete sich am leichtesten mit anderen Zugewanderten an, die anderen hatten ja schon ihre Friends von früher. Es ist sicher einfacher, grosse Worte von Offenheit, Solidarität, Willkommenskultur zu schwingen als es dann wirklich zu tun. Ist das denn im zweisprachigen Biel ganz anders?
Nicoletta: Ich finde schon, ja. Schon rein geografisch: Der Jura im Rücken, das Mittelland und den Grossraum vor Augen, angrenzend an die Westschweiz und mit Ausläufen in den Kanton Solothurn. Je nach Sprache und Herkunft orientieren sich die Bielerinnen und Bieler Richtung Jura, Bern oder Westschweiz. Zudem: in Biel leben prozentual viel mehr Ausländerinnen und Ausländer als in Bern. Das alles führt dazu, dass die Stadt weniger in sich geschlossen und sich selber genügend ist. Viele Menschen in Biel sind gewissermassen entwurzelt - das macht durchlässiger. Meinst Du, diese gewisse Verschlossenheit Berns gegenüber Neuankömmlingen hat mit dem Patrizier-Erbe der Stadt zu tun?
Jürg: Das glaube ich nicht. Man kann als Berner nicht diese Vergangenheit, die ohnehin nur für eine kleine Minderheit gilt, für die ausgeprägte Innenorientierung verantwortlich machen. Ich finde eher, als Verwaltungsstadt mitten im Land ist Bern sehr weit weg von Grenze, Reibung und Austausch. Sehr verschont. Das verstärkt diese passiv-abwartende Zurückhaltung, die mich oft selber aufregt. Mau luege. Zum Glück gibt es zwischen Menschen auch zweite und dritte Momente, in denen die Offenheit auch bei Bernerinnen und Bernern plötzlich da ist. Glaubst du, man könnte etwas Bieler Geist nach Bern exportieren?
Nicoletta: Gute Frage! Lass uns das nächste Mal darüber reden.
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