Mohnblumen – Gleis 49/#2

Ist das Verhältnis von Bern und Biel von Minderwertigkeitskomplexen geprägt? Vor dem Cupfinal zwischen dem FC Biel und dem FC Basel diskutieren Nicoletta Cimmino und Jürg Steiner eine heikle Frage.

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Biel-Bern, Cimmino-Steiner: Zwei Städte im Dialog. (Bild: Silja Elsener)

Nicoletta: Jürg, kennst du das: Man beneidet jemanden um etwas und macht ihn deshalb schlecht?

Jürg: Kenne ich persönlich gut, aber ich arbeite an mir. Und falls du darauf ansprichst, dass der FC Biel die Young Boys aus dem Fussball-Cup geworfen hat: Da bin ich entspannt. Wenn Biel am 1. Juni gegen den FC Basel den Cupfinal gewinnt, bin ich voll Bieler. Aber ich möchte Biels Minderwertigkeitskomplexe gerne verstehen. Wie zeigen sie sich?

Nicoletta: Wir würden natürlich nie zugeben, dass wir manchmal neidisch sind auf Bern. Lieber skandieren wir trotzig «Ici c’est Bienne», wenn man uns mal wieder eine gewisse Schrulligkeit vorwirft, oder wir merken, dass wir weniger «wichtig» sind als die Bundesstadt. Wir behaupten dann, Bern sei langweilig und bieder, Beamtenstadt halt, während wir natürlich ganz anders seien: rau und frei.

Gleis 49 – die Biel-Bern-Kolumne

Seit 2019 startet und hält der Zug IR 65 von und nach Biel am weit entfernten Perron 49 im Bahnhof Bern. Wir finden, die beiden wichtigsten Städte im Kanton Bern sollten sich näher kommen als die periphere Gleissituation suggeriert.

Deshalb unterhalten sich Nicoletta Cimmino (Publizistische Leiterin Gassmann Medien, Biel) und Jürg Steiner (Co-Redaktionsleiter «Hauptstadt», Bern) in dieser Kolumne einmal im Monat über Bieler und Berner Blickwinkel auf das Leben. Mit Humor und Lebenslust.

Jürg: Ob ihr in Biel frei seid oder wir in Bern bieder: Bei Städten wie Bern und Biel müsste man den emotionalen Minderwertigkeitskomplex auf die Seite legen können. In der Natur und überall spricht man davon, wie wichtig Biodiversität ist. In Bern könnten wir auch sagen: Wie grossartig, dass wir zwei so coole Städte auf 30 Kilometern Distanz haben.

Nicoletta: In Tat und Wahrheit gäbe es ja da noch Thun, das ungefähr gleich weit von Bern liegt. Wem fühlt sich Bern eigentlich näher? Biel oder Thun? Ich habe immer das Gefühl, Bern und Thun sind sich näher als Bern und Biel. Wenn man von Biodiversität spricht: in meinem Gefühl sind Bern und Thun Rosensträuche. Biel ist eine ungemähte Wiese mit Mohnblumen.

Jürg: Möchtest du, dass ich nach Biel umziehe? Auf die ungemähte Wiese? Hey, du begeisterst mich! Ich finde, Thun lassen wir Berner leider gerne links liegen, während wir uns von Biel herausfordern lassen. Was du nicht vergessen darfst: Der ewige Stempel der Beamtenstadt ist unser eigener Minderwertigkeitskomplex. Und der zwingt uns schon fast dazu, selbstbewusster aufzutreten als wir es sind. Sollten wir uns nicht zusammen stärker machen, als uns in unseren Komplexen zu suhlen?

Nicoletta: Voneinander lernen, meinst du? Das wäre sicher für beide Seiten von Vorteil. Ich wüsste auch schon, wo wir beginnen können: bei den zweisprachigen Schulklassen. Die Stadt Bern will damit ja aufhören, in Biel sind wir da recht gut unterwegs.

Jürg: Da kommst du aber mit dem heissesten Eisen, Nicoletta! Bielerin halt. Aber klar, ich bin ready. Ich freue mich auf unser nächstes Treffen auf Gleis 49.

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