Seegras – Gleis 49/#4
Aareschwumm oder Bielerseebad? Nach dem verregneten Juli kommen Nicoletta Cimmino und Jürg Steiner bei der hochsommerlichen Biel-Bern-Streitfrage zu einem versöhnlichen Schluss.
Jürg: Nicoletta, ich starte gerne mit einer Laienfrage: Wie wichtig ist das Bad im Bielersee für dich als Bielerin?
Nicoletta: Ich schwimme gerne, aber das Bad im Bielersee ist mir nicht unglaublich wichtig, oder vielleicht einfach nicht wichtiger als das Bad in der Aare, das ich als Brügger Kind gut kenne, oder das Bad im Zürichsee, wo ich oft bin. Im Bielersee verdirbt mir zudem das viele Seegras die Freude, das haben sie in Zürich besser im Griff (das hört man in Biel nicht gern).
Jürg: Ist der See nur zum Schwimmen da? Vor ein paar Tagen war ich auf dem Chasseral und blickte hinunter aufs Seeland, auf den Bielersee, wie er sich lässig an den Juraabhang schmiegt. Ich finde, die Grosszügigkeit eines Sees hilft, den eigenen Geist aus der Enge zu befreien.
Nicoletta: Ja, das stimmt. Der See schenkt Weite, fast wie ein Meer. Wenn ich Fremden von meiner Heimat erzähle, bin ich immer sehr stolz auf den See, die Reben, die St. Petersinsel, die umwerfende Landschaft. Und muss ich den Kopf durchlüften, geht das am besten mit einem Spaziergang auf dem Steg im Bieler Hafen bis vorne ans Wasser. Du bist Berner - und ihr pflegt ja fast eine religiöse Verbindung zur Aare, gell?
Jürg: Das Wort religiös triggert mich ein wenig. Aber du hast schon Recht. Die Aare ist in Bern systemrelevant. Sobald sie die 20-Grad-Marke überschreitet, hat das Nachrichtenwert. Manchmal fremdle ich damit, wie viel sich Bern auf die Aare einbildet. Als wäre es ein Verdienst. Dabei sie ist ein Geschenk, für das wir nichts können. Am besten gefällt mir die Aare, wenn ich im Sommer mit dem Velo über die Monbijoubrücke fahre und unten im Fluss unzählige Köpfe gemächlich Richtung Marzili fliessen. Ein Ausdruck von kollektiver Gelassenheit. Den mag ich fast mehr als den Schwumm in der Aare selber.
Nicoletta: Der Aareschwumm schafft es ja sogar in internationale Medien und Abertausende Instagram-Posts! Aber jetzt mal ehrlich: Ist die Strecke am Marzili nicht fast Opfer ihres eigenen Erfolges?
Jürg: Klar, an ein paar heissen Tagen hat es sehr viele Leute und Horden von Booten. Der Insta-Hype kann einem auf den Senkel gehen. Aber Opfer? Was ich wichtiger finde: Die Aare gehört – im Unterschied zu vielen Seeufern – niemandem exklusiv. Alle dürfen sie schwimmend nutzen, sofern sie sich der Gefahren bewusst sind. Die Aare gehört nicht uns Berner*innen allein, alle können in ihr sehen, was sie wollen. So zu denken, finde ich schon fast bielerisch cool.
Nicoletta: Du hast recht, Jürg. Und im Gegensatz zum Bielersee, verfange ich mich in der Aare auch nicht im Seegras. In Sachen klares Wasser liegt Bern klar vor Biel. Mehr Energie gibts auch, wenn man nicht in einer Badewanne, sondern einem kühlen Fluss schwimmt. A propos kühl: Reden wir das nächste Mal darüber, wie schwierig es für Auswärtige ist, in Bern Anschluss zu finden?
Jürg: Oh ja! Da bin ich selber gespannt darauf.
Seit 2019 startet und hält der Zug IR 65 von und nach Biel am weit entfernten Perron 49 im Bahnhof Bern. Wir finden, die beiden wichtigsten Städte im Kanton Bern sollten sich näher kommen als die periphere Gleissituation suggeriert.
Deshalb unterhalten sich Nicoletta Cimmino (Publizistische Leiterin Gassmann Medien, Biel) und Jürg Steiner (Co-Redaktionsleiter «Hauptstadt», Bern) in dieser Kolumne einmal im Monat über Bieler und Berner Blickwinkel auf das Leben. Mit Humor und Lebenslust.
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