Fusion und Friedhof – Stadtrat-Brief #9

Sitzung vom 1. Juni 2023 – die Themen: Fusion mit Ostermundigen; Kokain-Abgabe; Quartierorganisationen; Agglomerationsbericht; Milch.

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Manchmal geht es in Parlamentsdebatten eher um Symbole denn um Paragrafen. So gestern Abend im Stadtrat in der Debatte um die Fusion mit Ostermundigen. Das Parlament konnte nicht über die Details der ausgehandelten Fusionsverträge befinden, sondern sie nur annehmen oder ablehnen. Da wurde plötzlich der Friedhof Bümpliz zu einem zentralen Argument, sowohl für als auch gegen die Fusion. 

SVP-Stadtrat Thomas Fuchs sagte an die Ostermundiger*innen auf der Tribüne gerichtet, sie müssten sich bewusst sein, dass sie in ein linkes Biotop kommen würden. Bümpliz werde laufend von anderen Quartieren überstimmt. Und 2021 habe die Stadt sogar versucht, den Bümplizer Friedhof zu schliessen. Als Stadtberner werde er zwar Ja stimmen zur Fusion. Er hoffe aber, dass Ostermundigen die Fusion ablehne, sagte Fuchs.

Der Bümplizer SP-Stadtrat Timur Akçasayar sah hingegen die Entwicklung von Bümpliz als Argument für die Fusion. Der Stadtteil habe trotz Eingemeindung vor über hundert Jahren eine eigene Identität bewahren können. Bümpliz habe zum Beispiel noch immer ein starkes Vereinsleben, zu dem man Sorge trage. Und der Erhalt des Bümplizer Friedhofs sei ein gutes Beispiel dafür, dass man sich auch als Stadtteil erfolgreich wehren könne. «Nehmt die Chance der Fusion wahr», sagte Akçasayar an die Tribüne gerichtet, «so schlimm ist es in der Stadt nicht, das sage ich als Bümplizer.»

Weiter gab es in der Debatte von links und rechts Kritik am Fusionsprozess. Dieser sei zu wenig partizipativ abgelaufen, sagte das Grüne Bündnis. Die Fusion habe zu wenig Synergien ausgelotet, war aus der FDP zu hören. Und in vielen Voten war vom fehlenden Feuer für die Fusion die Rede. 

Das liess Stadtpräsident Alec von Graffenried nicht auf sich sitzen. «Ich bin das Feu Sacré. Ich übernehme das für euch», sagte er und setzte zu einer flammenden Rede für die Fusion an. Die Stadt habe die Bedürfnisse von Ostermundigen aufgenommen, man habe sehr intensiv für einen guten Fusionsvertrag gearbeitet. Nun könne man sagen: «Bewältigen wir die Herausforderungen doch künftig lieber gemeinsam.»

Viel Zustimmung erhielt die Fusion aus den Reihen der SP/JUSO-Fraktion. «Damit können wir eine zukunftsfähige Hauptstadtregion gestalten», sagte Diego Bigger. Und Barbara Nyffeler rief dazu auf, den Blick in die Zukunft zu richten, statt kleinkrämerisch kurzfristige Probleme zu betonen. 

Die Friedhofs-Debatte konnte Nyffeler nicht nachvollziehen. Denn nach dem Tod lägen Ostermundiger*innen und Stadtberner*innen schon heute Seite an Seite auf dem Berner Friedhof Schosshalde. Auf einen eigenen Friedhof habe Ostermundigen schon vor Jahren verzichtet.

Trotz der vielen kritischen Voten stimmte der Stadtrat am Ende mit 45 zu 7 Stimmen bei 9 Enthaltungen klar für die Fusion mit Ostermundigen. Das Stadtberner Stimmvolk wird voraussichtlich am 22. Oktober über den Fusionsvertrag befinden.

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Ratsmitglied der Woche: Eva Chen

Die Szenografin Eva Chen sitzt seit 2021 für die Alternative Linke (AL) im Stadtrat. Die 30-Jährige absolvierte in den vergangenen Jahren ein Studium in Art Education.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Weil ich es als grosses Privileg empfinde, die AL und unsere Wähler*innen im Rat zu vertreten. 

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Hoffentlich in erster Linie für meine zuverlässige Arbeit. Darüber hinaus wünschenswerterweise auch als offene Gesprächspartnerin, die alle Perspektiven nachzuvollziehen versucht, aber auch mal hartnäckig bleibt. Insbesondere, wenn es um Kunst, Kultur oder um soziale Ungleichheit geht. 

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Als links-aussen Fraktion hadern wir immer mal wieder mit überraschenden Entscheiden, die aus unserer Sicht mit einer linken Mehrheit keinen schweren Stand haben sollten. Kürzlich wurde eine Meldepflicht anstelle einer Bewilligungspflicht für politische Kundgebungen knapp abgelehnt. Das wäre ein wichtiger Schritt gewesen, damit wirklich alle ihr Grundrecht auf freie Meinungsäusserung praktizieren können.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Ich bin sehr stolz darauf, dass wir trotz wenigen Ressourcen so engagiert und motiviert im Rat mitwirken. Wir sind ja eine Fraktion von nur vier Personen.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Mein liebster Ort in der Stadt ist entlang und in der Aare. Es ist unglaublich wertvoll, ein badesicheres Gewässer inmitten der Stadt zu haben. Die Aare ist einer der wenigen nicht kommerzialisierten öffentlichen Räumen für alle. Schön an ihr ist auch, und damit zurück zur Frage, dass sie durch fast alle Stadtteile fliesst.

Diese Themen waren ebenfalls wichtig:

  • Kokain-Abgabe: Der Stadtrat will zur Liberalisierung der Drogenpolitik weiter Druck auf die nationale Politik ausüben. Er sagt deutlich Ja zu zwei Postulaten der Alternativen Linken (AL), die wissenschaftliche Pilotversuche für den kontrollierten Verkauf von Kokain und psychotroper Substanzen fordern. Solche sind derzeit gemäss nationaler Gesetzgebung nicht erlaubt. Sozialdirektorin Franziska Teuscher (GB) begrüsste die Vorstösse. Die Pilotprojekte für einen legalen Cannabis-Verkauf habe der Bund auch erst auf Druck der Städte ermöglicht, gab Teuscher zu bedenken. Die Stadt Bern werde aber in der Kokain-Frage – anders als beim Cannabis – keine federführende Rolle übernehmen. Sie nehme an, dass die Stadt Zürich beim Thema Kokain vorangehen werde.
  • Quartierorganisationen: Die fünf Stadtberner Quartierorganisationen erhalten künftig mehr Subventionen. Der Stadtrat hat am Donnerstag einer Erhöhung von 330'000 auf 400'000 Franken pro Jahr zugestimmt. So kann der Grundbeitrag pro Organisation von 14’000 auf 28’000 Franken erhöht werden. Gegen diese Aufstockung sprach die FDP/JF-Fraktion. Die Ratsmehrheit stimmte der Vorlage aber mit 47 zu 14 Stimmen zu. Seit längerem gibt es aus dem Parlament Forderungen nach einer Reform der Quartierorganisationen. Der Gemeinderat will eine solche nach der Abstimmung über die Fusion mit Ostermundigen an die Hand nehmen. 
  • Agglomerationsbericht: Bei der Debatte zum Agglomerationsbericht musste sich der Gemeinderat aus den Reihen von SP und Grünem Bündnis (GB) Kritik zu seiner befürwortenden Haltung zum Ausbau des Autobahn-Anschlusses Wankdorf anhören. Das Projekt sei eine Kapazitätserweiterung und daher abzulehnen. Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) verteidigte die Haltung des Gemeinderates und wählte dazu starke Worte. Der Schermenweg und die Bolligenstrasse seien «Sau-Strassen». Er meide diese mit dem Velo, die Verkehrssituation sei schrecklich. Daher müsse man diese Strassen nun zusammen mit dem Anschluss Wankdorf sanieren. Dem Agglomerationsbericht, der sonst nicht zu reden gab, stimmte der Rat mit 33 zu 17 Stimmen bei 6 Enthaltungen zu.
  • Milch: Der Auslöser für eine lebendige Parlamentsdiskussion über die Milch war ein älterer Vorstoss der AL zu Znüni-Boxen und einem Merkblatt der Milch-Lobbyorganisation Swissmilk. Diese wurden jahrelang an Berner Schulen verteilt. Doch über den von der AL im Jahr 2020 geforderten Stopp der Aktion musste der Rat gar nicht mehr befinden, da die Stadt die Werbe-Boxen ab dem Schuljahr 2021/2022 durch eigene Boxen und ein eigenes Merkblatt ersetzt hatte. Für einige SVP-Stadträte unverständlich. Sie priesen im Rat die Milch als gutes Schweizer Naturprodukt und sahen die Verbannung von Swissmilk aus den Schulen als Ausdruck einer Verbotskultur. Gemeinderätin Franziska Teuscher beruhigte die SVP-Herren, indem sie betonte, auch das neue städtische Merkblatt führe Milchprodukte unter den gesunden Nahrungsmitteln auf. Am Ende der Debatte überwies der Rat mit 35 zu 26 Stimmen die Forderung eines generellen Werbeverbots an Berner Schulen an den Gemeinderat.

PS: Die Fusion mit Ostermundigen ist Stadtpräsident Alec von Graffenried derart wichtig, dass er im Rat sogar sein Einkaufsverhalten offen legte. Er habe Ostermundigen nicht nur im Herzen, sondern auch an den Füssen, denn er trage heute gut gefederte Turnschuhe aus dem Sportgeschäft Friedrich in Ostermundigen. Erst die Abstimmung in Ostermundigen wird zeigen, ob dieser Einkaufstourismus des Stadtpräsidenten Wirkung erzielt hat.

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In einer ersten Artikel-Version wurde die AL als Alternative Liste bezeichnet, was falsch war. Die AL heisst ausgeschrieben Alternative Linke.

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