Ganz nah an der Geschichte
Autor Andri Beyeler hat eine poetische Biografie über den Berner Drucker Fritz Jordi publiziert. Seit zehn Jahren beschäftigt er sich mit dem Nonkonformisten.
Andri Beyeler hat keinen Brotjob. Zumindest bezeichnet er ihn nicht so. «Ich finde das Konzept Arbeiter*innenkünstler*in interessanter», meint er beiläufig am Ende des Gesprächs. Die Unterscheidung ist ihm wichtig. Es gehe darum, ob man bei einer Tätigkeit auch den Anspruch habe, es gut zu machen.
Die Vermutung liegt nahe, dass Andri Beyeler nichts ohne diesen Anspruch macht. An zwei Tagen in der Woche arbeitet er als Dokumentalist im Archiv der Darstellenden Künste. Ansonsten schreibt er. Theaterstücke und Bücher. Eben ist sein neuestes Werk erschienen: «Sang von einem Drucker und Siedler» dreht sich um den Berner Kommunisten, Drucker und Nonkonformisten Fritz Jordi (1885–1938). Seit zehn Jahren beschäftigt sich Beyeler schon mit Fritz Jordi, ursprünglich, weil er für ein Tanztheaterstück über Aussteiger recherchierte.
Das nun entstandene Buch ist aber keine normale Biografie. Eine «biografische Ballade» nennt der Verlag das Werk. Und diese Bezeichnung passt sehr gut.
Es ist ein poetischer Text, gehalten in Versform und geschrieben im lautmalerischen Klettgauerisch, eine Unterart von Schaffhauserdeutsch. Im ersten Moment fällt es schwer, im fremden Dialekt den Rhythmus zu finden. Doch sobald man ein paar Sätze halblaut vor sich hingesagt hat, ist man schnell drin in diesem Text, der äusserst sorgfältig komponiert ist. Auch die Bilder helfen dabei. Es sind holzschnittartige Zeichnungen von Andri Beyeler, sie greifen Szenen aus dem Leben von Fritz Jordi auf.
Dan er en Kämpfer gsi seg,
schtoht au schpöter ide Büecher,
en hartnäckige Träumer,
wo sis ganz Läbe lang iiträte seg
für e besseri Gsellschaft.
Fritz Jordi hat einen Lebenslauf, der für die Zeit von vor 100 Jahren rebellisch wirkt. Aufgewachsen in der Berner Länggasse mit vier Brüdern und einer Schwester, zog er später mit der ganzen Familie nach Belp, wo der Vater eine Druckerei gründete. Auch Jordi selbst beschäftigte sich sein ganzes Leben lang mit dem Drucken. Er eröffnete Druckereien und Verlage, druckte revolutionäre Schriften, die meist nach einigen Ausgaben wieder eingestellt wurden. Als Kommunist fiel er den Behörden auf, es gab mehrere Prozesse gegen ihn, nicht zuletzt darum ist sein Leben so gut dokumentiert.
Ein Stehaufmännchen war dieser Fritz Jordi, dem Andri Beyeler nun ein Denkmal schafft.
Der Autor lächelt zurückhaltend. Als Treffpunkt hat Beyeler die Mittelstrasse in der Länggasse vorgeschlagen, dort, wo Fritz Jordi seine ersten 12 Lebensjahre verbrachte. In einem Haus, das längst nicht mehr steht.
Letztendlich sei es ein «glücklicher Zufall», dass er sich mit Fritz Jordi beschäftigt habe. Ursprünglich sei er in der Nationalbibliothek auf eine von ihm herausgegebene Zeitschrift gestossen, später dann im Bundesarchiv auf Unterlagen zu Militärjustizprozessen gegen ihn. «Die Mischung aus politischem Engagement, Handwerk und Zeitung interessierte mich», sagt der 47-Jährige. Da bündle sich viel. Und diese Gegenkultur, die Fritz Jordi vorlebte, sei auch auf das Heute transformierbar. «Fritz Jordi eckte an, aber er wollte etwas bewegen.»
Kommune im Tessin
Tatsächlich staunt man, was Fritz Jordi alles anpackte. Manchmal erfolgreich, meist aber nicht. Wie er später auswanderte ins Tessin, dort eine Kommune im Weiler Fontana Martina in der Nähe von Ascona gründete, wo kurz vor dem Zweiten Weltkrieg viele Künstler*innen ein und aus gingen, so zum Beispiel auch der spätere Regisseur Kurt Früh.
«Ich arbeitete faktenorientiert», sagt Beyeler. Eigentlich sei das Buch ein «Quellensampling». Dieses Wort passt wieder sehr gut. Denn auch wenn alle biografischen Details belegt sein mögen und zutreffen, ist das Resultat ein höchst künstlerisches. Gerade wegen der Sprache. «Ich bin im Dialekt genauer als auf Hochdeutsch», sagt Beyeler. «Damit es auf Mundart nicht blöd tönt, muss man sich mehr Mühe geben.» Im Dialekt klinge ein Satz schneller banal.
En Kommunischt zwor,
aber kän Bürgerschreck,
schtoht schpöter ide Büecher,
persönlich durchus z liide,
und dan en kän Mänsch uf de Wält
hett chöne organisiere,
aber gliich seg uf en z zelle gsi.
Aber warum diese Faszination für Fritz Jordi? «Es gäbe sicher auch andere spannende Leben aus dieser Zeit, aber die sind nicht so gut dokumentiert», sagt Beyeler. So wäre es vermutlich schwierig, eine so gut dokumentierte Frauenbiografie aus jener Zeit zu finden.
Bei Jordi finde er zudem eindrücklich: Er sei nah an den damaligen politischen Geschehnissen gewesen, so habe die Belper Druckerei etwa die Schriften Lenins gedruckt.
Und trotzdem war Jordi bisher selbst keine historische Figur. Andri Beyeler ändert das nun.
Andri Beyeler: Sang von einem Drucker und Siedler, Der gesunde Menschenversand, 76 S.
Lesung an den Solothurner Literaturtagen: Freitag, 10. Mai, 13 Uhr, Kreuzsaal.