Glockenschlag – Stadtrat-Brief #24

Sitzung vom 15. Februar 2024 – die Themen: Kirchenglocken; Pausenplatz-Toiletten; Nexpo; Genderstern; Tierpark; Kinderhaus; Finanzkontrolle; Progr; Ratsmitglied der Woche: Yasmin Abdullahi (GLP).

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(Bild: Silja Elsener)

Eine alte Kirchentradition und eine sieben Jahre alte Motion sorgten gestern Abend im Stadtrat für eine emotionale Debatte. GFL-Stadtrat Marcel Wüthrich hatte 2017 gefordert, dass Kirchen- und andere Glocken von 22.01 Uhr abends bis 7.15 Uhr morgens zu schweigen hätten. Lärmimmissionen seien ein Gesundheitsrisiko, und gerade Menschen mit Schlafproblemen litten stark unter Glockengeläut, warb Wüthrich im Rat für seinen Vorstoss. Auch könnten potenzielle Investoren davon abgehalten werden, in Kirchennähe verdichtet zu bauen.

Gemeinderat Reto Nause (Mitte) und Verbotsgegner*innen hielten dagegen, dass seit dem Einreichen des Vorstosses viel geschehen sei. So haben mittlerweile zwei Berner Kirchen die Glocken in der Nacht abgestellt und andere verzichten auf den Viertelstundenschlag. «Das Polizeiinspektorat macht einen Top-Job», sagte Nause. Es suche bei Beschwerden den Dialog und finde Lösungen.

Das genüge aber nicht, fand Wüthrich. Für gesundheitlich angeschlagene oder sehr empfindliche Menschen sei auch der Stundenschlag noch immer eine starke Beeinträchtigung und ein wiederkehrender Eingriff in die Privatsphäre.

Oft fiel in der Debatte der Vergleich mit anderen nächtlichen Lärmquellen und die Warnung, dass mit mehr Lärmverboten auch das Nachtleben unter Druck komme. Man könne nicht jede Lärmquelle abstellen, sagte etwa Claude Grosjean (GLP). Sonst dürfe man bald nach 22 Uhr nicht mehr duschen. «Gewöhnt euch daran, es gibt Lärm», sagte er. 

Dieses Votum wiederum provozierte Mitte-Politikerin Sibyl Eigenmann zu einem anders als geplanten Abstimmungsverhalten. Sie habe eigentlich wegen der schon heute hohen Regulierungsdichte die Motion zusammen mit ihrer Partei ablehnen wollen. Nach mehreren wenig empathischen Voten wollte sie aber klarstellen, dass Lärm gesundheitliche Probleme verursache. Sie stimme nun für das Verbot, sagte sie. Sie selbst habe einen Tinnitus und sei lärmempfindlich. «Mir tut darum zum Beispiel Klatschen in den Ohren weh.»

Auch FDP-Stadtrat Nik Eugster berichtete von eigenen Erfahrungen, die ihn zum Befürworter eines Glockenverbots machten: «Ich hatte eine Phase mit gesundheitlichen Problemen und Schlafmangel und da hat der Glockenschlag nachts sehr gestört.» Anders sah es die Mehrheit der FDP-Fraktion, die das Verbot ablehnte. «Es gibt kein zwingendes Recht auf Schlafen bei offenem Fenster», sagte etwa Oliver Berger in der Debatte.

Am Ende behielten die Verbotsgegner*innen und damit auch der nächtliche Glockenschlag die Oberhand und die Motion wurde mit 36 Nein- zu 22 Ja-Stimmen bei 7 Enthaltungen abgelehnt.

Nichts genützt hatte auch ein Appell von GFL-Stadtrat Michael Ruefer an die Traditionalisten. Er berichtete von einem Tessiner Bergdorf, in dem die Katholik*innen den nächtlichen Glockenschlag schon vor zehn Jahren abgeschafft hätten und gut damit lebten. 

Yasmin Abdullah
Ratsmitglied der Woche: Yasmin Abdullahi

Die 26-jährige VWL-Studentin Yasmin Abdullahi sitzt seit 2021 für die junge GLP im Stadtrat. Sie ist im Berner Quartier Fischermätteli aufgewachsen und wohnt nun gemäss ihrer Website in einer WG in Bümpliz. Ihre Freizeit verbringe sie mit Schwimmen, Yoga, «Aareböötle» oder Wandern.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Ich engagiere mich im Stadtrat, um die Anliegen junger Menschen in unserer Stadt zu vertreten. Mein Ziel ist es, eine Stadt zu gestalten, in der sich möglichst alle wohlfühlen. Bern ist meine Heimat, und ich schätze die Stadt sehr. Es ist mir ein Anliegen, dass sie weiterhin lebendig und lebenswert bleibt. Nicht nur für uns, sondern auch für kommende Generationen.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Für meine Gelassenheit. Es ist schwierig, mich aus der Ruhe zu bringen. Das kann sehr hilfreich sein, um über die Parteigrenzen hinaus Lösungen zu finden.

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Die Finanzpolitik. Insbesondere die Budgetdebatten waren in den letzten Jahren aus meiner Sicht nicht so erfolgreich.

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Einer meiner ersten Vorstösse, welchen ich mit anderen Stadträtinnen erarbeitet hatte, ist nun umgesetzt: «Bern schaut hin», ein Meldetool für Belästigungen im öffentlichen Raum. Ich höre oft, dass Freund*innen von mir dieses Tool nutzen und hilfreich finden. Es ist ermutigend zu sehen, dass wir tatsächlich positive Veränderungen bewirken können.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Momentan das Marziliquartier. Ich versuche, auch im Winter mindestens einmal pro Woche in die Aare zu gehen. Und im Sommer geniesse ich es auch einfach neben der Aare ein Buch zu lesen, Glace zu essen oder mit Freund*innen «sünnele».

Diese Themen waren ebenfalls wichtig:

  • Pausenplatz: Eigentlich stand gestern ein stolzer Baukredit über 65 Millionen Franken für Neubau und Sanierungen auf dem Schulareal Stöckacker zur Abstimmung. Debattiert wurde aber vor allem über fehlende Toiletten auf dem Pausenplatz. Der Grund: Die Fraktion GB/JA liess eine Motion zur «vielfältigen Nutzung von Pausenplätzen» zusammen mit dem Bauprojekt debattieren. Dies, um eine alte Forderung nach einer besseren Nutzung von Pausenplätzen zu beleben. Das noch immer fehlende Konzept für öffentliche WC-Anlagen auf Schularealen entschuldigte Gemeinderätin Franziska Teuscher (GB) mit fehlenden Ressourcen und anderen Prioritäten. Das stolze Bauvolumen von 65 Millionen Franken und die Einschränkungen bei Schulhaussanierungen durch Denkmalschutz blieben im Gegensatz zu den WCs in der Debatte fast unerwähnt. «Wenn eine Toilette am meisten zu reden gibt, ist es ein gutes Bauprojekt», resümierte Stadtpräsident Alec von Graffenried. Der Rat votierte sowohl für Toiletten als auch für den Schulhausbau.
  • NEXPO: Unübliche Allianzen gab es bei einem 209’000-Franken-Kredit für die Bewerbungsphase der NEXPO, einer Landesausstellung initiiert von Städten. GB/JA, Alternative Linke sowie SVP und Mitte kritisieren den Kredit. Das Projekt trete an Ort, drohe zur Totgeburt zu werden, und nach wie vor habe der Bund in Sachen Kostenbeteiligung nicht die Karten auf den Tisch gelegt. Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) zeigte sich genervt ob der aus seiner Sicht kleinlichen Kritik. «Die Schweiz muss sich immer wieder neu definieren», sagte er. Das Mittel dazu seien die Expos. Das seien keine simplen Ausstellungen, sondern  Erlebnisse, bei denen die Schweizer Bevölkerung immer wieder den gesellschaftlichen Konsens suche. An die Kritiker*innen gerichtet sagte von Graffenried: «Mit hängenden Schultern kann man nie was auf die Beine stellen.» Der Rat folgte der Argumentation des Stadtpräsidenten, aber nur mit 34 Ja- zu 22 Nein-Stimmen bei 8 Enthaltungen.
  • Tierpark: Weiter debattierte der Stadtrat gestern über die Gesamtplanung des Tierparks bis 2033. Diese setzt die Schwerpunkte fürs kommende Jahrzehnt beim Natur- und Artenschutz, bei Bildungsangeboten, dem barrierefreien Zugang, zeitgemässen Arbeitsplätzen und der Nachhaltigkeit. Das alles blieb im Stadtrat weitgehend unbestritten. Zu reden gab vor allem die geplante Schliessung des Kinderzoos. Die Tierpark-Leitung hält ihn für nicht mehr zeitgemäss. Es gebe keine Weiden für die Tiere, und im Sommer sei es sehr heiss. Anstelle des Kinderzoos soll ein neues Zentrum an der Aare das Verständnis für Tiere und Natur fördern. Gegen die drohende Schliessung wehrt sich seit Monaten die SVP. Die Beibehaltung eines tier- und kindergerechten «Streichelzoos» gehöre zum Auftrag des Tierparks, sagte Fraktionssprecher Alexander Feuz. Viele Familien mit Kleinkindern schätzten dieses Gratisangebot. Anträge, diesen Kinderzoo beizubehalten, scheiterten aber im Rat. Auch ein Kompromiss-Antrag der Mitte, wonach der Gemeinderat sich dafür einsetzen solle, an einem anderen Ort in der Stadt eine Art Kinderzoo zu ermöglichen, fand keine Mehrheit.
  • Kinderhaus: Aus dem Kirchgemeinde- und dem Pfarrhaus im Rossfeld wird ein sogenanntes Kinderhaus. So will es der Gemeinderat und hat es der Stadtrat nun diskussionslos genehmigt. Für 16,1 Millionen Franken sollen die Gebäude saniert und mit einem Neubau verbunden und erweitert werden. Unter dem Namen «Kinderhaus Rossfeld» sollen darin zukünftig eine Basisstufenklasse der Volksschule, eine Kita mit drei Kindergruppen sowie die Tagesbetreuung für die Schulkinder im Rossfeld untergebracht werden. Die Kirche, welche zur von der Stadt gekauften Gebäudegruppe gehört, wird zu einem späteren Zeitpunkt saniert und allenfalls umgenutzt.
  • Finanzkontrolle: Der Stadtrat hat gestern ein neues Reglement verabschiedet, das die Finanzkontrolle als selbständige Organisationseinheit definiert. Sie ist fachlich unabhängig, nicht weisungsgebunden und nur dem Gesetz verpflichtet. Die Finanzkontrolle unterstützt neu neben dem Gemeinderat auch den Stadtrat in seiner Oberaufsichtsfunktion. Zur Koordination wird nun ein Kontrollgremium mit Vertretern aus Stadt- und Gemeinderat gebildet.
  • Progr: Nach einer sehr kurzen Debatte verlängerte der Stadtrat fast einstimmig das Baurecht für den Progr vorzeitig um 50 Jahre bis 2089. Der Progr sei eine wichtige Institution für Bern, sagte Finanzdirektor Michael Aebersold. Zur Planungssicherheit bei Investitionen sei es gerechtfertigt, den Vertrag schon jetzt um 50 Jahre zu verlängern.

PS: Seit der gestrigen Sitzung sitzen die beiden EVP-Stadträt*innen nicht mehr in einer Fraktion mit der GFL. Diese hat eine gemeinsame Fraktion aufgekündigt. Als Grund nennt die GFL den Entscheid der EVP, bei den kommenden Gemeinderatswahlen ein Bündnis mit SVP, FDP, Mitte und GLP einzugehen. Damit habe die EVP eine «rote Linie» überschritten, schreibt die Partei in einer Mitteilung. Diese rote Linie scheint mit dem drohenden Machtverlust von RGM zu tun zu haben. So schreibt die GFL weiter: «Die sich zuspitzende Polarisierung des Wahlkampfs zwingt nun die GFL, sich klar zum RGM-Bündnis zu bekennen.» 

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Diskussion

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Christoph Kaufmann
17. Februar 2024 um 11:04

Wie privilegiert wohnen Leute, die nächtliche Glockenschläge überhaupt hören? Ich höre dauernd nur Auto- und Töffmotoren heulen.