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Emotionale Energiewende

Der bürgerliche Grosse Rat führt die bürgerliche Kantonsregierung nach harter Debatte vor: Sie muss ihre Konzessionsstrategie für die Wasserkraftwerke überarbeiten. Im Zentrum: das Kronjuwel Kraftwerke Oberhasli.

Archivbild Grimsel Gebiet - Kraftwerke Oberhasli KWO fotografiert am Mittwoch, 19. Juni 2013 in Innertkirchen. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Der Bodenschatz des Kantons Bern: Gestautes Wasser im Grimselgebiet. (Bild: Manuel Lopez, Archiv)

Im Oberhasli liegt der grösste Schatz des Kantons Bern. Für die Energiewende ist er unverzichtbar. Und deshalb ist am Dienstag im Grossen Rat hart um ihn diskutiert worden.

Der geplante Neubau eines Stausees unter dem Triftgletscher (Sustengebiet) sowie die Staumauererhöhungen am Oberaar- und Grimselsee sollen die Speicherkapazität erhöhen, damit der Zubau von Solarstrom überhaupt Sinn macht. Wenn Solarstrom fliesst, kann damit Wasser in die Speicherseeen gepumpt werden, das Strom produziert, wenn die Sonne nicht scheint. Das ist der Plan.

Die Anlagen im Oberhasli gehören der Kraftwerke Oberhasli AG (KWO), deren Verwaltungsrat präsidiert wird von Alt-Regierungsrätin Barbara Egger (SP). An der KWO zur Hälfte beteiligt ist der Energiekonzern BKW, der seinerseits zu 52 Prozent dem Kanton Bern gehört. So ist das Berner Kapital der Energiezukunft organisiert. Damit verbunden sind die Aussicht auf Millionenerträge, die Sorge um die Versorgungssicherheit, die Sicherung von Arbeitsplätzen in einer peripheren Region. Und unverdaute Gefühle gegenüber der einflussreichen BKW.

Machtkampf um KWO

All dies trat am Dienstag im Grossen Rat an die Oberfläche: Man könnte die ungewöhnlich intensive Debatte als Machtkampf um die KWO bezeichnen. Sie führte zu einem Entscheid, an dem weder die Regierung noch die BKW Freude haben. Der Regierungsrat muss seinen von der BKW unterstützten Plan überarbeiten, ob und wie die Aktionärsanteile an der KWO verändert werden sollen.

Die heftige Auseinandersetzung versteckte sich hinter einem harmlos klingenden Traktandum: «Konzessionsstrategie Wasserkraft. Bericht an den Grossen Rat». 

Der Hintergrund: Das Wasser gehört dem Kanton. Er vergibt langfristige Konzessionen an Unternehmen, die dieses zur Energiegewinnung nutzen, und wird dafür mit Wasserzinsen entschädigt. 2024 nahm der Kanton Bern auf diesem Weg 43 Millionen Franken ein.

In den nächsten Jahrzehnten laufen mehrere Konzessionen aus. Die mit Abstand wichtigste ist diejenige der KWO, die gut die Hälfte des im Kanton Bern aus Wasserkraft gewonnenen Stroms herstellt. Ihre Konzession endet im Jahr 2042.

Um unternehmerischer Unsicherheit vorzubeugen, legt die Kantonsregierung nun Jahrzehnte im voraus ihre Erneuerungsstrategie fest. Sie folgt zwei Grundprinzipien: Die für die Energiewende wichtigen Ausbauprojekte der Speicherseen – das sind Investitionen von 1,8 Milliarden Franken – sollen nicht gefährdet werden. Und: Der bernische Einfluss auf die Energieunternehmen soll weiter gestärkt werden.

SP für Regierungskurs

Für Letzteres schlägt der Regierungsrat eine leichte Umschichtung des Aktionariats der KWO vor. Aktuell ist rund ein Drittel der KWO-Aktien in ausserkantonalem Besitz, bei den Energieversorgern von Basel (IWB) und Zürich (EWZ). Diese sollen auf 20 Prozent reduziert werden. Dafür sollen der Anteil der BKW auf 60 Prozent, und derjenige des Stadtberner Energieversorgers EWB auf 20 Prozent steigen. Diese vorgeschlagene Änderung brachte die Gemüter in Wallung – und führte zu ungewöhnlichen Allianzen.

SP-Fraktionssprecher David Stampfli stellte sich uneingeschränkt hinter die bürgerliche Regierung. «Wenn wir eine Chance haben, den Kanton zu stärken, sollten wir sie packen», sagte er. Den Bericht jetzt zurückzuweisen, bringe nur Unsicherheit und sei ein falsches Zeichen, das zu Verzögerungen bei den Ausbauprojekten führen könne: «Die Energiewende darf nicht verschoben werden», warnte Stampfli.

Im letzten Punkt war Jan Remund, Sprecher der Grünen, mit Stampfli einverstanden. Aber er zog eine andere Schlussfolgerung. Es seien diese «rein finanzpolitisch motivierten Aktienverschiebungen, welche die Ausbauziele gefährden», fand er. Die Grünen favorisierten den Rückweisungsantrag der vorberatenden Kommission, die an der bisherigen Aktienverteilung nichts verändert hätte.

Allerdings: Gegen die Stimmen von SP und EVP setzte sich ein Rückweisungsantrag von FDP, SVP, GLP und Mitte durch, der die Kantonsregierung beauftragt, bis zur Sommersession 2026 eine präzisierte Strategie vorzulegen. Insbesondere sollte dort zusätzlich verankert sein, dass die KWO ihre Eigenständigkeit und den Hauptsitz in Innertkirchen behält und eine Verzögerung der Ausbauprojekte ausgeschlossen wird.

Vorbehalte gegen BKW

Jedoch bezeichnete Carlos Reinhard (FDP) die Rückweisung als «ergebnisoffen». Gemeint ist damit, dass sich neben EWB weitere städtische Energieversorger überlegen könnten, sich an der KWO beteiligen und Strom zu Vorzugskonditionen zu beziehen. Energie Service Biel hat schon angekündigt, einen Einstieg bei KWO zu prüfen. Eine Kandidatin wäre auch die Energie Thun AG. Der Thuner Stadtpräsident Raphael Lanz (SVP) sitzt von Amtes wegen in deren Verwaltungsrat, am Dienstag im Grossen Rat engagierte er sich für eine Rückweisung der regierungsrätlichen Strategie.

Auffällig war, dass in verschiedenen Voten mindestens leise Vorbehalte gegenüber der BKW hörbar wurden. Die international verflochtene Unternehmensgruppe BKW ist mit 12’000 Angestellten ein Koloss in Bern, aber auch ein wirtschaftlicher Pfeiler, der Steuern und Millionengewinne in Form von Dividenden an die Kantonskasse abliefert. In der Ära von CEO Suzanne Thoma (2013 bis 2022) verfolgte die halbstaatliche BKW eine steile Wachstums- und Übernahmestrategie, die in Gewerbekreisen für bleibenden Unmut sorgt.

Obschon der aktuelle CEO Robert Itschner versucht, diese Wogen zu glätten, wirken sie nach. Aus grüner Sicht teilweise unverdaut ist das eher zögerliche Engagement der BKW bei der Vergütung von privat produziertem Solarstrom. Befürchtungen weckt auch die Tatsache, dass die US-Investmentgesellschaft BlackRock an der BKW beteiligt ist. Hat man bei der KWO plötzlich «mehr Bern, aber weniger Schweiz?», wie Casimir von Arx (GLP) fragte.

Regierungspräsident Christoph Neuhaus (SVP) verfolgte die Debatte einigermassen konsterniert. Die auch aus seiner Partei geforderte Rückweisung sei «weder nötig, noch hilfreich» und schüre Unsicherheit bei den Investoren, was für die von allen gewollten Ausbauprojekte ungünstig sei, sagte er. Ob die Regierung mit einer revidierten Strategie schon im Sommer 2026 bereit sei, wagte er zu bezweifeln.

Er fand kein Gehör. Neuhaus tritt nach den Wahlen im März als Regierungsrat ab. Die heikle Zukunftsfrage für die Energiewende werden die neue Regierung und das neue Parlament beantworten.

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