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(Bild: Silja Elsener)

«Das ist die Spitze des Eisbergs»

Als Reaktion auf den Tod eines Asylsuchenden hat eine Solidaritätsgruppe vor der Kollektivunterkunft Gurnigelbad protestiert. Und deren Schliessung gefordert.

Vor einer Woche ist in der Asylunterkunft Gurnigelbad ein 50-jähriger Mann an einem Herzinfarkt gestorben. Gestern fand anlässlich seines Todes eine Kundgebung vor der Unterkunft an der Bergstrasse zum Gurnigelpass statt. 

Die ländliche Ruhe passt nicht ganz zu dem Anlass, für den viele Teilnehmer*innen einen weiten Weg auf sich genommen haben. Ein gerahmtes Bild des Verstorbenen ist in der Nähe des Eingangs zur Unterkunft aufgestellt worden, davor Kerzen und Rosen. Weiter hinten gestaltet eine Gruppe ein Transparent:«Asylsystem tötet». 

Zugegen sind etwa 50 Personen, darunter die sogenannte «Solidaritätsgruppe Gurnigelbad», welche die Kundgebung gemeinsam mit ROTA, einer migrantischen Selbstorganisation, initiiert hat, zudem das «Migrant Solidarity Network» und Bewohner*innen der Kollektivunterkunft. Mitglieder der Solidaritätsgruppe sowie Bewohner*innen halten vor den hochgehaltenen Transparenten Reden. Die Anwesenden hören aufmerksam zu.

Nicht nur ein Schicksalsschlag

Der erfolgte Todesfall sei «die Spitze des Eisbergs», kritisiert eine der Organisator*innen. Man habe versucht, die Leitung der Kollektivunterkunft und die zuständigen Behörden auf die Missstände aufmerksam zu machen, die auch die Gesundheitsversorgung betreffen.

Der Kanton hat die Kollektivunterkunft Gurnigelbad im Januar 2023 eröffnet. Mit dem Betrieb hat er das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) beauftragt. Besitzer des Hotel- und Restaurantkomplexes Gurnigelbad ist der Investor und frühere CS-Banker Hans-Ueli Müller, der in der früheren Kartonfabrik Deisswil (Stettlen) den Wohn- und Innovationsstandort Bernapark realisiert. Müller übernahm das leerstehende Gurnigelbad 2021 und wollte es «aus dem Dornröschenschlaf wecken». Laut der Gemeinde Riggisberg ist ein Betrieb als Kollektivunterkunft für «vier bis fünf Jahre» vorgesehen. 

Bereits im Juli 2023 hatte die Solidaritätsgruppe, basierend auf Gesprächen mit Bewohner*innen der Unterkunft, ein Schreiben an das SRK, das Staatssekretariat für Migration und die zuständige Behörde des Kantons eingereicht. Darin fordert die Gruppe unter anderem einen besseren Zugang zu medizinischer Versorgung: Der Weg zum Spital sei weit, ein Arzt komme nur alle zwei Wochen vorbei und Klagen über physische oder psychische Beschwerden der Bewohner*innen würden nicht ernst genommen.

Der Tod des 50-jährigen Bewohners wird von der Solidaritätsgruppe wie von Bewohnenden des Zentrums deshalb nicht nur als Schicksalsschlag gesehen, sondern auch als Folge von fehlender Verantwortung durch die Leitung der Unterkunft sowie der zuständigen Behörden. Dies drücken sie in ihren Reden aus.

Fehlender Schutz für Vulnerable

Die Redner*innen kritisieren dabei aber nicht nur die fehlende medizinische Versorgung. Der Schutz von besonders vulnerablen Menschen –   Frauen, Kindern oder queere Personen – werde nicht gewährleistet. Diese seien potentieller Gewalt ausgesetzt und hätten keinen Rückzugsort. Ausserdem müssten Kinder und Schwangere Putzarbeiten verrichten. 

Thema ist auch der abgelegene Standort der Kollektivunterkunft: Das erschwere eine Teilnahme am öffentlichen Leben und etwa den Besuch von Freund*innen.

Tatsächlich ist die Kollektivunterkunft Gurnigelbad nicht einfach zu erreichen: Eine Fahrt mit dem ÖV von der Unterkunft nach Bern dauert eine Stunde. Der letzte Bus fährt um 18:25 von Riggisberg nach Gurnigelbad, von da geht der letzte Bus um 18:40. Aus diesem Grund stand die Kollektivunterkunft, in der bis zu 220 Menschen Platz finden sollen, schon seit ihrer Öffnung in der Kritik.

«Keine Abschottung, keine Bunker»

Einen Vorteil der Kollektivunterkunft im ehemaligen Kurhotel: Sie ist nicht unterirdisch, wie die geplante Asylunterkunft, die das Staatsekretariat für Migration an der Mingerstrasse in der Stadt Bern eröffnet. Auch darauf weisen die Sprecher*innen an der Kundgebung hin. «Wir wollen keine Abschottung und keine Bunker», fordern sie. Und verlangen die Schliessung der Unterkunft im Gurnigelbad.

«Es ist gut, dass Menschen hier sind, damit dem Todesfall Aufmerksamkeit geschenkt wird», meldet sich ein Bewohner der Unterkunft zu Wort. Nicht alle von ihnen hätten Beziehungen zu Personen in der Schweiz. Geschichten migrantischer Menschen, die niemanden in der Schweiz kennen und deren Leben sich an abgelegenen Orten abspiele, würden sehr selten erzählt.

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