Haferdrinks kosten mehr als Kuhmilch. Warum?
Wer seinen Cappuccino mit einer pflanzlichen Milchalternative bestellt, bezahlt oft einen Aufpreis. Ein Haferdrink-Produzent und ein Milchverarbeiter erklären die Gründe.
Mathias Bühler stellt einen Cappuccino auf die Bartheke im Adrianos. Der Schaum ist dicht und glänzt, ein weisses Herz hebt sich von der hellbraunen Fläche ab. Dass diese Tasse keinen Tropfen Kuhmilch enthält, offenbart sich erst beim ersten Schluck. Den Adrianos-Kund*innen mundet das Getränk offenbar: «Vor drei Jahren brauchten wir einen Liter Pflanzendrink in zwei Tagen. Heute sind es fünf Liter pro Tag», sagt Mathias Bühler. Er ist Head of Coffee bei Adrianos Bar und Café in Bern. Fast jede*r Vierte bestelle Kaffee mit einer Alternative zu Kuhmilch. Besonders gross sei die Nachfrage bei jüngeren und eher alternativ lebenden Menschen.
Bühlers Beobachtungen decken sich mit der Statistik des Bundes. In den letzten fünf Jahren hat die Nachfrage nach Milchersatzprodukten stark zugenommen. Der mit ihnen erzielte Umsatz stieg von 96 Millionen Franken (2017) auf 172 Millionen (2021). Ein Drittel des Gesamtumsatzes stammt aus Konsummilch-Ersatzprodukten, wobei der Haferdrink am beliebtesten ist.
Wer seinen Cappuccino öfter mit Haferdrink bestellt, weiss: Viele Cafés verlangen dafür einen Aufpreis. Und fragt sich wohl: Warum? So teuer mögen Hafer und Wasser doch nicht sein. Verdienen sich die Cafés und Haferdrink-Produzent*innen eine goldene Nase an den (Teilzeit-)Veganer*innen?
Das Adrianos schenkt nur eine einzige pflanzliche Milchalternative aus, den Haferdrink «Gutsch», den Bühler selbst mitentwickelt hat. Aus einem praktischen Grund: Bühler stellte fest, dass kein Produkt aus Schweizer Biohafer existiert, das sich gut aufschäumen lässt. Also füllte er zusammen mit seinem Kollegen Philipp Schallberger von den «Kaffeemacher:innen» aus Basel diese Leerstelle. «Wir probierten uns durch alle verfügbaren Haferdrinks, notierten, was uns schmeckt und schrieben drei Rezepte.» Davon liessen sie je einen Liter bei Soyana in Schlieren produzieren. Ein Rezept passte und wurde für die erste Grossproduktion verwendet.
Mittlerweile ist «Gutsch» eine Genossenschaft mit rund 120 Mitgliedern und produziert 14'000 Liter Haferdrink pro Monat. Verkaufen darf «Gutsch» nur, wer Genossenschafter*in ist und den Drink selbst ausschenkt – Migros und Coop sind also ausgeschlossen.
2.80 Franken bezahlt ein Café für einen Liter. Für Private kostet er zwischen 3.70 und 3.95 Franken. Zum Vergleich: Adrianos bezahlt für einen Liter Bio-Vollmilch 1.75 Franken. «Ich würde Gutsch gerne zum gleichen Preis wie Kuhmilch produzieren und verkaufen. Doch das ist unmöglich», sagt Mathias Bühler.
Die Rohstoffe – Hafer und Sonnenblumenöl – müssten dafür bedeutend günstiger werden. «Aber das wollen wir nicht, sonst würden die Bauern noch weniger verdienen.» Teuer sei auch die Produktion. Kuhmilch fliesst als fast fertiges Produkt aus dem Euter, wird nur noch pasteurisiert und homogenisiert. Der Haferdrink hingegen muss aus seinen Bestandteilen neu zusammengemischt werden.
Ist Kuhmilch zu günstig?
Um den Preis von Haferdrink dem von Kuhmilch anzugleichen, gibt es noch eine andere Möglichkeit, als den Haferdrink günstiger anzubieten – den Preis der Kuhmilch erhöhen. Diesen Weg möchte Adrian Liechti gehen. Er ist Mitglied der Geschäftsleitung von Biomilk in Worb. Direkt neben der S-Bahnhaltestelle Worbboden verarbeitet der Betrieb pro Jahr 1.3 Millionen Liter Kuhmilch und 100'000 Liter Schafmilch und beliefert schweizweit 800 Geschäfte. Die Milch liefern 14 Demeter-Betriebe, vier konventionelle und vier Bio-Schafmilchbetriebe.
Gerade verschiebt ein Mitarbeiter Kisten mit den unverkennbaren blauen Tetrapacks der «Worber Milch» aus dem drei Grad kühlen Lagerraum in einen Lieferwagen. Adrian Liechti beobachtet den Vorgang und sagt: «Drei Franken pro Liter wären angemessen.» Davon würde die Bäuerin 1.50 Franken erhalten, der Produzent – zum Beispiel Biomilk – einen Franken und der Endverkäufer 50 Rappen. Exakte Berechnungen würden dieser Preisidee nicht zugrunde liegen, «aber die Aussage ist fundierter als Stammtischgeplänkel».
Gemäss dem Marktbericht des Bundesamtes für Landwirtschaft erhielten 2021 die Bäuer*innen 64.31 Rappen pro Liter konventioneller Molkereimilch und 82.24 Rappen für Biomilch. Biomilk bezahlt ihren Bäuer*innen rund einen Franken pro Liter. Die Produktionskosten für einen Liter Milch im Talgebiet wurden für die Jahre von 2013 bis 2015 auf rund 97 Rappen geschätzt. Heute dürften sie deutlich höher liegen aufgrund der gestiegenen Kosten für Strom und Futter. Damit die Milchproduzent*innen kein Verlustgeschäft machen, springt der Staat ein: Rund 50 Rappen bezahlt er pro Liter.
Doch auch das ist zu wenig. Würden nebst den Herstellungs- auch die Folgekosten einberechnet, müsste konventionelle Milch 122 Prozent und Biomilch 69 Prozent mehr kosten als heute. Zu diesem Resultat kommt einer Studie der Universität Augsburg. «Für viele negative Klima-, Umwelt- und Gesundheitsfolgen, die sich aus der Produktion von Lebensmitteln ergeben, kommen aktuell weder die Landwirtschaft noch die Konsumenten auf», schreibt Studienautor Tobias Gaugler.
Die Folgekosten tierischer Produkte ergeben sich vor allem aus den Treibhausgasemissionen, die bei der Aufzucht der Tiere entstehen: Dem Anbau von Kraftfutter, bei dem oft Stickstoffdünger eingesetzt wird und dem Stoffwechsel der Tiere. Mindestens ein Drittel der globalen Treibhausgasemissionen geht auf das Konto unserer Ernährung. Besonders die Tierhaltung belastet die Umwelt stark. Ein Liter Vollmilch verursacht 1.63 Kilogramm CO2-Äquivalente. Ein Liter Haferdrink nur 0.76 Kilogramm.
Die Emissionen des Haferdrinks von «Gutsch» dürften noch etwas tiefer liegen, weil die Rohstoffe in der Schweiz wachsen und biozertifiziert sind. Den Hafer bezieht «Gutsch» bei fünf Bäuer*innen, die eigens für das Unternehmen produzieren. Kürzlich haben die Betriebe in Tägertschi, im Jura, im Seeland und im Zürcher Oberland 40 Tonnen Hafer für Gutsch geerntet. «Wir wissen, woher der Hafer kommt und sind nicht vom Markt abhängig», erklärt Mathias Bühler. Diese Strategie zahlt sich aktuell aus, da in Folge des Krieges in der Ukraine der Hafer knapp und teuer ist. Das Sonnenblumenöl bezieht «Gutsch» über den Grosshandel, sucht aber Bäuer*innen für eine Direktabnahme.
«Mich stört, wenn die Kuhmilch verteufelt wird»
Adrian Liechti von Biomilk verfolgt das Geschehen auf dem Markt der pflanzlichen Milchalternativen. Anbieter wie «Gutsch» oder «New Roots» nimmt er «scho chli» als Konkurrenz wahr. «Ihr Wachstum sehe ich als Anreiz, um zu hinterfragen, wie wir unsere Produkte nachhaltiger machen können.» Als Beispiele nennt er bessere Haltungsbedingungen der Kühe oder die alufreien Milchbeutel, die Biomilk seit fünf Jahren verwendet.
Auch als Konsument beschäftigt sich Adrian Liechti mit Milchalternativen: Sein Müesli isst er ab und zu mit Haferdrink. «Beides muss Platz haben auf dem Markt», sagt er. «Mich stört, wenn die Kuhmilch verteufelt wird. Gerade die Demeter-Produzenten gewichten das Tierwohl sehr stark.»
Mathias Bühler stellt eine weitere Tasse auf die Theke, einen Espresso. Wenn er einen Cappuccino trinkt, dann am liebsten mit Kuhmilch. Natürlich auch ab und zu mit «Gutsch», schliesslich muss er sein eigenes Produkt kennen. Doch seine Motivation, den Haferdrink zu produzieren, speist sich aus der gleichen Quelle wie jene, Kaffee zu verkaufen: «Ich bin leidenschaftlicher Sensoriker und finde alles cool, was mit Lebensmitteln zu tun hat.»
Während des Besuches der «Hauptstadt» im Adrianos an einem Dienstagnachmittag bestellt niemand einen Kaffee mit Haferdrink. «Das liegt wohl an der Uhrzeit», meint Bühler. Dabei wäre der Hafer-Cappuccino im Adrianos besonders attraktiv: Am 8. Juli ist der Zuschlag auf Haferdrink nach vielen Jahren weggefallen. An diesem Tag hat das Café wegen den steigenden Rohstoffpreisen für Kaffee seine Preise erhöht und im gleichen Zug den Haferzuschlag abgeschafft. «Wir wollen nicht jene bestrafen, die eine Alternative zu Kuhmilch trinken wollen», sagt Mathias Bühler.
Ähnlich tönt es von der Rösterei, die wie das Adrianos «Gutsch» ausschenkt: «Wir verlangen keinen Aufpreis, da wir Allergiker und Veganer gleich behandeln wollen wie alle anderen Gäste», schreibt Michaela Garrafa von der Rösterei auf Anfrage der «Hauptstadt». Auch das Café Drip Roasters verzichtet auf einen Aufpreis: «Wir tragen die Mehrkosten, um den Konsum von Milchalternativen zu fördern. Wir finden es falsch, dass Milch billiger ist als Milchalternativen und wünschen uns, dass nachhaltiges Handeln finanziell belohnt statt bestraft wird», so Co-Geschäftsführer Fabian Schmid.
Die von der «Hauptstadt» angefragten Berner Cafés Sattler, Noy, Jusq’a und Einstein verlangen alle einen Aufpreis von 50 Rappen für Hafer- oder Sojadrink. Als Grund nennen sie den höheren Einkaufspreis der Milchalternative.
Ob ein Café die Mehrkosten an seine Kund*innen weitergibt, hängt von der Betriebsphilosophie ab, wie diese kleine Umfrage zeigt. Die Preissetzung enthält eine politische Note: Bäuer*innen sind für eine kostendeckende Milchproduktion auf staatliche Unterstützung angewiesen und die Kosten für die Auswirkungen auf die Umwelt von Milch sind ungedeckt. Nur unter diesen Bedingungen ist es möglich, dass Kuhmilch günstiger verkauft werden kann als Haferdrink.
Die Branche befindet sich in einem Wandel. Rund 50 Liter Milch trinkt ein Mensch in der Schweiz durchschnittlich pro Jahr – vor zehn Jahren waren es noch 80 Liter. Dieser Rückgang mit der gleichzeitigen Zunahme von pflanzlichen Alternativprodukten hat auch der Bund erkannt. Im Bericht über Milchersatzprodukte steht, dass «die steigende Nachfrage nach pflanzlichen Lebensmitteln der Schweizer Landwirtschaft Entwicklungsmöglichkeiten im Bereich Ackerkulturen» eröffne.
Die «Branche als Ganzes» müsse sich aber entwickeln, um von dieser Veränderung profitieren zu können. Adrian Liechti hat das erkannt. Biomilk füllt Cashew-Joghurts für «New Roots» ab. Mit den gleichen Maschinen, durch die kurz vorher Kuhmilch geflossen ist. «Natürlich werden sie vorher gründlich gereinigt und auf Rückstände geprüft.»
Mit dieser Mehrfachnutzung kann die Abfüllanlage ausgelastet werden, wovon die Produzent*innen von Milch- und Milchersatzprodukten profitieren. Vielleicht liegt gerade in dieser Zusammenarbeit ein Zukunftsmodell?