Bern West Spezial

Bümpliz-Bethlehem live

Der Blick auf Bern West ist oft verstellt von dessen schlechtem Image. Doch, täuscht der Eindruck? Die «Hauptstadt» schaut hin - und verlegt ihre Redaktion für eine Woche ins Quartierzentrum Tscharnergut.

Impressionen aus Buempliz fotografiert am 23.01.2023 in Bern. (Manuel Lopez)
Ab Montag nimmt die «Hauptstadt» den Stadtteil VI unter die Lupe. (Bild: Manuel Lopez)

Berns Westen beginnt, vom Berner Stadtzentrum aus gesehen, gleich nach dem Europaplatz. Die legendäre Betonrampe, die seit 2010 vom Tram befahren wird, führt direkt hinein in Berns Stadtteil VI, der sich unbernisch anfühlt. Und sich auch selber ein wenig so versteht.

An der Ausfallstrasse in Bümpliz Süd Richtung Niederwangen reihen sich Spenglereien, Carrosserien und Reifenhändler aneinander, abends nach Feierabend brennt vielerorts noch Licht, es wird weitergeschraubt an den Autos. Und wer an Bern West denkt, dem kommen natürlich sofort die grossen Wohnüberbauungen in Bethlehem in den Sinn: Tscharnergut, Bethlehemacker, Gäbelbach, Schwabgut.

Impressionen aus Buempliz fotografiert am 23.01.2023 in Bern. (Manuel Lopez)
Bümpliz-Bethlehem war einst das Dorf in der Stadt, nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es zum Labor für Grossüberbauungen. (Bild: Manuel Lopez)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Bümpliz und Bethlehem zum national beachteten städtischen Labor. Es entstanden die ersten Grossüberbauungen der Schweiz. Landbesitzer*innen stiessen händereibend Boden ab, was Grossinvestor*innen und Wohnbau­genossenschaften anzog. «Es starb ein Dorf», resümierte der Bümplizer Autor Carl Albert Loosli schon 1945.

Über 60 Jahre später rappte der albanischstämmige Musiker Lulzim Axhami, der im Tscharnergut aufgewachsen war: «Warum si Bärn-West als Ghetto hei bezeichnet, di Frag hani mir immer widr gsteut, aber nie än Antwort becho.»

Prägender TV-Moment

Der Moment, als das Image von Bümpliz und Bethlehem zu leiden begann, lässt sich genau datieren, wie der Bümplizer Dorfhistoriker Max Werren erzählt: Es war Mitte Dezember 1971, der TV-Moderator Werner Vetterli, später SVP-Nationalrat, begrüsste zur besten Sendezeit zu «Heute abend in...» live aus dem Tscharnergut. Er benutzte angesichts der ersten Hochhaussiedlung des Landes Wörter wie «Satellitenstadt», «Betonbunker» und «Kaninchenställe». Die Leute, die im Tscharnergut wohnten, empfanden das zwar überhaupt nicht so. Aber Bümpliz, das Ghetto von Bern: Der Begriff war plötzlich da, setzte sich fest. Und auch die Einwohner*innen von Bümpliz und Bethlehem brauchten lange, sich wieder davon zu befreien.

Doch was macht eigentlich den Stadtteil VI, der seit 1919 zur Stadt Bern gehört, wirklich aus? Zahlen zeigen es. 

Impressionen aus Buempliz fotografiert am 23.01.2023 in Bern. (Manuel Lopez)
Wir arbeiten, wo unsere Fahne ist: Das «Hauptstadt»-Domizil der nächsten Woche im Quartierzentrum Tscharnergut. (Bild: Manuel Lopez)

Zum einen ist es der günstige Wohnraum. In keinem anderen Stadtteil sind die Mieten tiefer als im Westen der Stadt. Mit 1’049 Franken liegt die durchschnittliche Monatsmiete sogar unter dem städtischen Schnitt von 1’240 Franken monatlich. Zahlen Mieter*innen einer 4-Zimmerwohnung in der Länggasse im Schnitt 1’731 Franken pro Monat, sind es in Bümpliz 1’221 Franken. 

Der Stadtteil VI, zu dem neben Bümpliz und Bethlehem auch die ländlichen Gebiete Oberbottigen, Riedbach, Matzenried und Chäs u Brot gehören, ist zudem geprägt durch seine Multikulturalität. Der Ausländer*innenanteil liegt bei rund 40 Prozent - Spitzenwert im städtischen Vergleich.

Hochburg der SVP

Und auch politisch tickt der Westen Berns etwas anders. Zwar schnitt die SP mit 25 Prozent Wähler*innenanteil bei den letzten Wahlen vor gut zwei Jahren am besten ab, die SVP liegt mit 24 Prozent aber nur knapp dahinter. Gesamtstädtisch hat die SVP einen Wähler*innenanteil von 9 Prozent. Das Regierungsbündnis Rot-Grün-Mitte schafft es in Bümpliz auf 45 Prozent der Wähler*innenstimmen. Zum Vergleich: In der Länggasse kommt RGM auf 66 Prozent. Diese unterschiedliche politische Ausrichtung zeigt sich auch regelmässig in Abstimmungen. So etwa 2010. Damals stimmte Bümpliz-Bethlehem als einziger Stadtteil der Schliessung der Reitschule zu.

Doch neben den tiefen Mieten, den vielen Ausländer*innen und der abweichenden politischen Gesinnung hat Bümpliz-Bethlehem vor allem eines: Einen schlechten Ruf.

Impressionen aus Buempliz fotografiert am 23.01.2023 in Bern. (Manuel Lopez)
Nirgends ist der Anteil an Leerwohnungen so hoch wie im Westen Berns: Blick auf Brünnen. (Bild: Manuel Lopez)

Wohl auch darum verzeichnet Bümpliz-Bethlehem die meisten Leerwohnungen. Per Juni 2022 standen total 164 Bümplizer Wohnungen leer, wie Statistik Stadt Bern festhält. Damit führt der Westen die Tabelle an.

Den Eindruck des schlechten Image bestätigt auch Brigitte Schletti, Quartierarbeiterin im Bümplizer Kleefeld. «Von Bümpliz-Bethlehem hört und liest man in den Medien vor allem von Schiessereien, Vandalismus und hässlichen Hochhäusern», sagt die VBG-Mitarbeiterin. «Dabei ist der Stadtteil so viel mehr als das.»

Bern West Spezial

Der Blick auf Bern West ist oft verstellt von dessen schlechtem Image. Doch, täuscht der Eindruck? Die «Hauptstadt» schaut hin – und verlegt von 20. bis 25. Februar 2023 ihre Redaktion ins Quartierzentrum Tscharnergut und publiziert eine Reihe von Artikeln aus dem und über den Berner Stadtteil Bümpliz-Oberbottigen.

Seit 2018 arbeitet Schletti im Quartierbüro beim Chleehus. Sie ist von der Vereinigung Berner Gemeinwesenarbeit VBG angestellt, die über einen Leistungsvertrag mit der Stadt verfügt. Vom Büro im Kleefeld aus versucht sie, die Bevölkerung im Quartier zu vernetzen, für Projekte zu begeistern und Aktivitäten anzuregen. Daraus hat sich die Interessensgemeinschaft Kleefeld gebildet, die neu als Verein organisiert ist - und den zuvor fehlenden Quartierverein ersetzt. Die IG organisiert nun Quartierfeste, Fussballturniere oder Weihnachtsmärite.

Tücken der schweizerischen Bürokratie

Doch neben einem aktiven Quartierleben ist das Büro der VBG vor allem Anlaufstelle für soziale Fragen. «Die meisten Quartierbewohner*innen kommen bei uns vorbei, weil sie Unterstützung brauchen im Umgang mit Behörden und der schweizerischen Bürokratie», so Schletti.

Wohl auch darum sind rund die Hälfte aller Ressourcen der VBG in Bümpliz-Bethlehem vertreten. In den Bümplizer Quartieren ist sie nämlich an fünf Standorten mit insgesamt 8 Personen vertreten. In den übrigen Bezirken ist sie bloss mit je zwei Vertreter*innen pro Stadtteil anwesend, in der Innenstadt betreibt sie gar kein Büro.

Impressionen aus Buempliz fotografiert am 23.01.2023 in Bern. (Manuel Lopez)
In den Bümplizer Quartieren leben viele Menschen auf engem Raum. Das kann zur Herausforderung werden. (Bild: Manuel Lopez)

So gesteht Schletti ein, dass das Zusammenleben in Bümpliz-Bethlehem nicht immer einfach, manchmal sogar herausfordernd sei. Die Bevölkerung hier sei sehr durchmischt, es lebten viele Menschen auf engem Raum - klar, dass es zu Konflikten kommen könne. Und doch steht für die Quartierarbeiterin fest: «In Bümpliz spürt man das Leben in seiner ganzen Vielfalt», sagt Schletti.

Weitsichtige Betonwüste

Zwar sind es vor allem die grossen Nachkriegsüberbauungen in Bümpliz und Bethlehem, die dem Stadtteil von aussen ein tristes Bild anhängen. Doch bis heute erweisen sie sich als weitsichtig konzipiert. Und zwar nicht nur architektonisch. Sondern auch, weil man von Beginn weg Gemeinschaftsräume und soziale Treffpunkte einplante, die man heute in vielen später gebauten Siedlungen oft vergeblich sucht.

Und ja, schon bald schwappt eine grosse Erneurungswelle vom Europaplatz her übers Industrieareal Weyermannshaus Richtung Westen. Es wird in den nächsten 10 bis 20 Jahren neue Hochhäuser geben und Überbauungen. Und in der aktuellen Diskussion sehr interessant: Insgesamt werden im bereits überbauten Bümpliz-Bethlehem mehr zusätzliche Wohnungen entstehen als im Viererfeld auf der grünen Wiese.

Man könnte sagen: Über Bümpliz und Bethlehem wird vieles gesagt, was genau besehen wohl nicht stimmt. Was aber sicher zutrifft: Berns Westen ist und bleibt ein Ort der Zukunft. Genau dem will die «Hauptstadt» nächste Woche bei ihrem Auswärtsspiel im Quartierzentrum Tscharnergut auf den Grund gehen.

Am Donnerstag, 23. Februar lädt die «Hauptstadt» nach Bümpliz-Bethlehem ein: Ab 18 Uhr gibt es im Quartierzentrum Tscharni, wohin wir während einer Woche unsere Redaktion zügeln, Getränke. Um 19.15 Uhr folgt ein Auftritt der Styleacrobats.

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Diskussion

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Max Haldimann
19. Februar 2023 um 10:42

"Was, du zügelst aus der Länggasse nach Bern West, und dazu noch nach Bethlehem?", fragten einige Freunde und Bekannte entgeistert, als ich vor über 10 Jahren umzog. Grund: hier fanden wir guten bezahlbaren Wohnraum. Ich fühle mich hier wohl und engagiere mich im Quartier im Rahmen meiner Möglichkeiten als 72-Jähriger.