Demokratie – Hauptstadt-Brief #485
Samstag, 5. Juli 2025 – die Themen: Finanzkompetenzen; Fussball-EM; Lehrpersonenmangel; Könizer Wahlen; Kirchenfeld-Schulhaus; Askforce; Polizeizentrum, Thai-Festival.
In was für einer privilegierten Demokratie wir in der Stadt Bern leben! Das Volk wird sogar höflich gefragt, ob es seine eigenen demokratischen Rechte leicht abbauen wolle.
Das dachte ich, als ich eine Mitteilung der vorberatenden Finanzkommission des Stadtrats las. Die Mehrheit der Kommission spricht sich dafür aus, die Finanzkompetenz von Stadtregierung und Stadtrat zu erhöhen. Die konkrete Folge: Kreditgeschäfte kämen künftig erst dann automatisch zur Volksabstimmung, wenn sie den Betrag von 12 Millionen Franken überschreiten. Heute reichen dafür 7 Millionen Franken.
Eine wichtige Motivation für die vorgesehene Änderung ist die Flut an Abstimmungsvorlagen, mit der die Stimmberechtigten der Stadt Bern wegen der tiefen Schwelle der Finanzkompetenz behelligt werden. In keiner anderen Gemeinde der Schweiz sind die direktdemokratischen Instrumente ausgebauter: Nirgends wird so viel abgestimmt wie in Bern. In Extremfällen kommt es vor, dass an einem Abstimmungssonntag bis zu 12 städtische Vorlagen bewältigt werden müssen, obschon die meisten völlig unbestritten sind. Das belastet die Finanzen, erhöht den Papierverbrauch und befeuert nicht unbedingt die Disziplin, an die Urne zu gehen.
Die vorgesehene Neuerung würde dazu führen, dass über den Daumen gepeilt rund ein Zehntel der Abstimmungen wegfallen würde. Weil die Kommission hinter dem Vorschlag steht, wird ihn im August wohl auch der Stadtrat annehmen. Das letzte Wort hätten dann die Stimmberechtigten.
Hunderte Millionen von Menschen auf der Welt kämpfen um elementarste Mitbestimmungsrechte. In Bern hingegen dürfen wir über eine Feinjustierung befinden, weil uns die direktdemokratischen Instrumente zu viele Entscheide abfordern. Dieser Kontrast führt mir eines vor Augen: Wir sind nicht nur sehr, sondern unglaublich privilegiert. Aber das sollte nicht dazu führen, dass wir die Demokratie auf die leichte Schulter nehmen.
- Fussball-EM: Ich war am Donnerstag einer von 30’000 Menschen am Match Spanien gegen Portugal im Wankdorfstadion. Die Stimmung: friedlich und fröhlich wie an einem Open-Air. Die gleiche Leichtigkeit trafen meine Kolleg*innen Nicolai Morawitz, Daniel Bürgin und Jana Leu an, als sie sich vor und während des Spiels in der Stadt unter Fans und Public Viewer*innen mischten. Sinnbildlich für die verbindende Wirkung der Frauen EM ist für mich eine Begegnung, die sie in ihrer Reportage beschreiben: Aroa Ferreira war mit einer Spanien-Fahne und einem Portugal-Käppi unterwegs. A propos EM: Schon morgen Sonntag früh findest du den EM-Brief #2 in deinem Postfach, den wir in Kooperation mit dem Fussball-Blog «Zum Runden Leder» produzieren. Am Abend spielt dann die Schweiz gegen Island in Bern.
- Schule: Heute Samstag beginnen die langen Sommerferien, aber der bange Gedanke vielen Schul-Verantwortlicher geht schon zum Schulanfang im August: Werden alle Lehrer*innen-Stellen besetzt sein? Gestern Freitagabend waren auf dem kantonalen Portal noch 155 offene Stellen für Lehrpersonen ausgeschrieben. Die Pädagogische Hochschule PH Bern bietet auch dieses Jahr (7. bis 18. Juli) ein Sommercamp an für Personen, die ohne Lehrdiplom unterrichten. Vor einem Jahr beschrieb mein Kollege Nicolai Morawitz nach einem Besuch im Sommercamp, wie diese Massnahme gegen den Fachkräftemangel an Schulen genau funktioniert. Sein Fazit war: Mut zur Lücke hilft.
- Köniz: SP und Grüne sowie ihre Jungparteien gehen für die Gemeindewahlen vom 28. September eine Listenverbindung ein, wie sie mitteilen. Bereits früher eine Listenverbindung beschlossen haben FDP und SVP. Noch etwas volatil ist die Lage im politischen Zentrum: Die GLP strebt eine Listenverbindung mit der Mitte und der EVP an, die beiden Letzteren haben dazu aber noch keinen Entscheid gefällt.
- Kirchenfeld: 2016 segneten die Stadtberner Stimmberechtigten den Kredit für die Sanierung und Erweiterung des Schulhauses Kirchenfeld ab. Nächste Woche beginnen die Bauarbeiten, wie die Stadtregierung mitteilt. Einsprachen und Beschwerden hatten das Projekt jahrelang lahmgelegt. In dieser Zeit stiegen die mit 46 Millionen Franken budgetierten Baukosten an, weshalb der Gemeinderat den Kredit in eigener Kompetenz um 6,9 Millionen Franken erhöht hat. Bis zur voraussichtlichen Inbetriebnahme 2028/29 ziehen die Schüler*innen in ein Provisorium auf dem Gaswerkareal.
- Askforce: Wer schreibt, verdrängt die Frage gerne: Was passiert mit all den Wörtern, wenn sie gar nicht gelesen werden? Die unerschrockene Askforce hat eine Antwort gefunden, die nicht ungelesen bleiben sollte.
- Kantonspolizei: Am Freitag ist in Niederwangen der Grundstein für das neue Polizeizentrum des Kantons Bern gelegt worden. Zuletzt hatten die Aushubarbeiten wegen unerwartet hartem Gestein unterbrochen werden müssen. Das Problem sei nun behoben, der ursprüngliche Zeitplan bleibe unverändert, schreibt die Regierung. 2028 soll das Zentrum in Betrieb genommen werden. Die budgetierten Kosten betragen laut Kanton unverändert 343 Millionen Franken.
PS: Ab morgen Sonntag soll es deutlich kühler werden. Da könnte es ein guter Plan sein, den Körper mit scharfem Essen darauf vorzubereiten und durchzuputzen. Die Gelegenheit dafür ist erprobt und bewährt. Heute und morgen Sonntag findet bei der thailändischen Botschaft im Steinhölzli (Köniz) zum 26. Mal das alljährliche Thai-Festival statt. Farbig, fröhlich, friedlich – und ja, gut gewürzt.
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