Kunst, Fussball, Behördenversagen
News vom Dienstag, Hauptstadt-Brief #492
Ich bin kein grosser Kunstkenner. Und doch ging ich vor ein paar Tagen ins Zentrum Paul Klee, um mir die Ausstellung der englischen Malerin Rose Wylie anzusehen, die noch bis zum 5. Oktober dauert. Ich wandelte eine knappe Stunde durch ihre teils riesigen Bilder, auf denen man oft erst über die nebenstehenden Erklärungen sicher erkennt, was dargestellt ist. Trotzdem verliess ich beflügelt das Museum. Noch selten hat mich Kunst, von der ich vorher kaum etwas wusste, so unmittelbar angesprochen.
Ich glaube, das hat viel damit zu tun, wie Rose Wylie arbeitet. Ihre Karriere als Künstlerin begann erst, nachdem sie drei Kinder grossgezogen hatte. Heute ist sie über 90-jährig und malt nach wie vor jeden Tag im Atelier ihres Hauses in Kent. Ihre Inspiration holt sie aus Quellen, die wir alle haben: Aus Zeitungen, dem Internet, Alltagsereignissen, aber auch Kindheitserinnerungen.
Wylie vertraut beim Malen bedingungslos dem, was bei ihr einen visuellen Reiz auslöst, weil es für sie nicht der Norm entspricht. Das kann ein schmales schwarzes Band auf dem Rücken der Schauspielerin Nicole Kidman sein, das bei einer Filmpremiere ihr extravagantes Kleid zusammenhält. Oder das Haarzöpfchen des früheren brasilianischen Fussballspielers Ronaldinho, das seine irrwitzigen Tricks wild schwingend begleitet.
Besonders beeindruckte mich ein Bild, in dem sich Wylie mit einem überdimensioniert gemalten Marschflugkörper an die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg erinnert. Wie alle Kinder in London wurde auch sie darin geschult, am Himmel feindliche Flugzeuge zu erkennen, um im Notfall rasch Schutz suchen zu können.
Beim Malen setzt Wylie konsequent um, was in ihrem Gedächtnis haften blieb. Sie macht keinen ständigen Gegencheck mit der vermeintlichen Realität. Sie kontrolliert nicht, ob etwas korrekt oder falsch ist. Sie trotzt in ihren Bildern der Welt ihre eigene Sicht ab – voller Vertrauen in die eigene Wahrnehmung, mit Selbstbewusstsein, aber ohne belehrenden Unterton.
Diese Leichtigkeit ist es, die ich in den Alltag mitgenommen habe.
Und das finde ich heute wichtig:
- Behördenversagen: Das städtische Amt für Erwachsenen- und Kindesschutz (EKS) ist unter anderem zuständig für Menschen, deren Finanzen von Beistandspersonen verwaltet werden, weil sie selber dazu nicht in der Lage sind. Doch es kommt immer wieder vor, dass das EKS die finanziellen Probleme dieser vulnerablen Menschen, die auf Unterstützung angewiesen wären, zusätzlich verschärft. Etwa, weil das Amt so kompliziert organisiert und überlastet ist, dass es einen korrekten Überblick über den finanziellen Spielraum der verbeiständeten Personen nicht zustande bringt. «Die Situation ist für Mitarbeitende und Betroffene unhaltbar», kritisiert die städtische Ombudsfrau Mirjam Graf im Text meiner Kollegin Jana Schmid. Die Hoffnung auf rasche Verbesserung ist allerdings nicht sehr gross.
- Designfreuden: Die «Hauptstadt» hat ihre sommerlichen Betriebsferien beendet und publiziert wieder im normalen Rhythmus. Mit neuem Elan, neuen Ideen, neuen Produkten. Noch im August starten wir mit dem zweiwöchentlich erscheinenden Gastro-Brief der Journalistin Claudia Salzmann. Hier kannst du ihn gratis abonnieren. Eine andere kreative Neuigkeit: Marc Brunner vom renommierten Berner Büro Destruct designte 2022 das «Hauptstadt»-H und entwarf die Illustrationen für den «Hauptstadt»-Brief auf der Website (Eule, Ei, Tasse). Nun hat Brunner sechs neue Illus für den «Hauptstadt»-Brief geschaffen, die ab sofort abwechslungsweise auf der Website zum Einsatz kommen. Mein persönlicher Favorit: der Bialetti-Espressokocher.
- Fussball: Zwei Spiele sind in der neuen Fussballmeisterschaft der Männer absolviert, und schon steigt die leise Befürchtung auf, dass die Young Boys auch in dieser Saison dazu neigen, schwächere Gegner stark zu machen. Nach dem 3:1-Startsieg gegen Servette folgte am Samstag gegen Winterthur ein eher trauriges 1:1. «Neue Saison, alte Probleme», bringt es der Fussball-Blog «Zum Runden Leder» auf den Punkt. Morgen Mittwoch tritt YB beim amtierenden Meister in Basel an. Ganz böse erwischte es den früheren YB-Kultspieler Thomas Häberli: Er wurde als Trainer von Servette bereits entlassen.
- Bern Pride: 12’000 Menschen nahmen laut den Veranstalter*innen am Samstag an der Bern Pride teil. Die queere Community zog als fröhliche Demo durch die Innenstadt und via Matte auf den Bundesplatz, wo ein Katalog von sieben Forderungen zur Verbesserung der Situation queerer Menschen in der Schweiz präsentiert wurde. Zu den Forderungen gehört etwa die Ausweitung der Antirassismus-Strafnorm auf trans und intergeschlechtliche Menschen. Unter anderen trat die Berner Gemeinderätin Ursina Anderegg (GB) als Rednerin auf.
- Steuern: Aktuell verschickt die Berner Steuerverwaltung rund eine halbe Million Rechnungen für die zweite Rate an die Steuerpflichtigen. Damit werden etwa 30 Prozent der Jahressteuer beglichen, Gemeinde- und Kantonssteuern zusammengezählt sind das laut einer Mitteilung der Finanzdirektion rund 2.4 Milliarden Franken. Bezahlt werden müssen die Rechnungen bis zum 19. September.
PS: Das Schloss Köniz befindet sich für eine Woche in Lateinamerika. Die Salsawoche der Berner Salsaschule muévete erfüllt den Schlosshof und den Rossstall noch bis Freitag durchgehend mit Latino-Vibe. Tagsüber gibts Tanzkurse, jeden Abend steigen Fiestas, zum Picken gibts Nachos und Chili. Vaaaaamosss!
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