Kirchner, Reusser, Stufenbau
News vom Dienstag – Hauptstadt-Brief #513
Mit dem hereinbrechenden Herbst entdeckte ich eine Garantin für gute Laune: die grandiose Kirchner-Ausstellung(bis 11.1.2026) im Berner Kunstmuseum.
Ich verstehe nicht viel von Kunstgeschichte. Dass der Deutsche Ernst Ludwig Kirchner (1880 bis 1938) zu den grossen Künstler*innen des 20. Jahrhunderts gehört, war mir knapp geläufig. Nun stand ich im Kunstmuseum Bern vor seinen Bildern. Und es war, als würden meine Augen von Magneten gelenkt. Ich kriegte sie kaum mehr weg von den rauschhaften Farben, mit denen Kirchner alpinwirtschaftliche Szenerien gemalt hatte.
Der Künstler, geächtet von den Nationalsozialisten, lebte in seiner letzten Schaffensphase in Davos. Er war depressiv, launisch, ruppig. Und genial. Unter dem Pseudonym Louis de Marsalle verfasste er Kritiken seiner eigenen Werke, um diese zu promoten. Als der Schwindel aufzufliegen drohte, liess er de Marsalle fiktiv sterben.
1933 kuratierte Kirchner in der Kunsthalle Bern eine Ausstellung seines eigenen Werks. Er eröffnete sie mit zwei riesigen Bildern aus dem bergbäuerlichen Leben. Eines davon hängt seither in Berlin. Nun, 92 Jahre später, ist es dem Kunstmuseum Bern gelungen, die beiden monumentalen Bilder erstmals wieder zusammenzuführen. Allein dafür lohnt sich der Ausstellungsbesuch.
So faszinierend wie seine Kunst finde ich die Beziehungen, die Kirchner mit Bern verbinden. Der Berner Kunstsammler Eberhard W. Kornfeld, 2024 verstorben, war ein grosser Kirchner-Kenner. Ebenso sein deutscher Berufskollege Roman Norbert Ketterer. Dessen Sohn, Günther Ketterer, lebte in Bümpliz und war bis zu seinem Tod 2024 Präsident der Stiftung des Kirchner-Museums in Davos.
In Bern gehörte der Kunstförderer und Treuhänder Günther Ketterer zu den prägenden Figuren. Er engagierte sich etwa im Vorstand der Genossenschaft Kukuz (Brasserie Lorraine) oder im Stiftungsrat des Progr. Mit seiner Frau Carola Ertle baute er die gemeinsame Sammlung zeitgenössischer Kunst auf und befruchtete Leben und Kunst in Bümpliz.
Ketterers Leben war so intensiv wie Kirchners Kunst. Hervorragend angeleitet vom Audioguide des Kunstmuseums versank ich für schöne Augenblicke in Kirchners gemalter Welt. Mein Lieblingsbild heisst «Sertigtal im Herbst». Keine graue, regnerische Traurigkeit, sondern Farben, die schreien vor Leben. Was für eine Wohltat!
Das möchte ich dir in den Tag mitgeben:
- Stufenbau: Er ist nicht nur ein Architektur-Denkmal, sondern auch ein Denkmal des Berner Nachtlebens: Meine Kollegin Andrea von Däniken hat die Geschichte des legendären Stufenbaus in Ittigen aufgearbeitet. Was sie herausgefunden hat, rührt mein Herz: Heute besuchen Menschen Partys im Stufenbau auch darum, weil sie sich an durchgetanzte Nächte ihrer Jugend erinnern möchten.
- Klima: Der Sommer ist vorbei. Aber unser Klima-Rückblick zeigt, was man gerne schnell vergisst: Der August 2025 war in der Region Bern deutlich wärmer als im langjährigen Durchschnitt. Er bestätigt damit den Trend zu mehr Hitze.
- Marlen Reusser: «I’m full of love», sagt die Berner Radrennfahrerin Marlen Reusser in diesem denkwürdigen Siegerinnen-Interview. Am Sonntag wurde sie in Kigali (Ruanda) erstmals Weltmeisterin im Zeitfahren. Seit Jahren gilt sie als Favoritin, doch bisher scheiterte sie stets. Jetzt, da sie es endlich geschafft hat, quelle ihr Herz über vor Freude, für sich, aber vor allem «für all die Menschen, die um mich sind».
- Fussball: Die YB Frauen gewannen am Wochenende zum ersten Mal in der laufenden Saison – mit 2:0 gegen Aarau. Ebenfalls gegen Aarau spielten die Männer von YB – sie kassierten eine peinliche 0:1-Niederlage. Aarau spielt eine Liga tiefer als YB und warf die Berner mit dem Sieg aus dem Schweizer Cup. Ein wenig beginnt damit der Stuhl von Trainer Giorgio Contini zu wackeln. Fast schlimmer als die Niederlage ist das Verhalten einiger YB-Fans. Sie feuerten Pyros ab, wobei sich sieben Personen verletzten. Später kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. YB distanziert sich von der Vorfällen.
- Kita-Subventionierung: Die Berner Kantonsregierung hat laut einer Mitteilung die Verordnung revidiert, in der die Vergabe von Betreuungsgutscheinen für Kita-Plätze geregelt wird. Es gelten sozialere Eckwerte. Ab 1. August 2026 werden Familien mit tieferen Einkommen stärker entlastet und erhalten bis zu einem Einkommen von 49’000 Franken (bisher: 43’000 Franken) die maximale Vergünstigung. Zudem wird die Obergrenze für den Bezug von Betreuungsgutscheinen angehoben: Erziehungsberechtigte haben bis zu einem Einkommen von 170’000 Franken (bisher: 160’000 Franken) ein Anrecht darauf. Die Änderungen angeregt hat die grüne Grossrätin Seraina Patzen, deren Motion der Grosse Rat überwies.
- Lernende: Die Berner Delegation an den Berufsmeisterschaften Swiss Skills, die übers Wochenende auf dem Bernexpo-Areal stattfanden, legte eine starke Leistung hin. In 92 Disziplinen wurden Wettkämpfe ausgetragen, die Berner*innen gewannen 74 Medaillen, wie die kantonale Bildungsdirektion schreibt.
PS: Übermorgen Donnerstag (18 bis 21 Uhr) findet im Generationenhaus ein besonderer Kurs statt: Schreibe deinen eigenen Nachruf! Schreibcoach Elena Ibello lädt ein, mitten im Leben über seine eigene Geschichte nachzudenken – und darüber, was darin noch Platz haben soll. Noch wenige Tickets (ab 10 Franken) sind erhältlich.
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