Aargauerstalden – Hauptstadt-Brief #462
Samstag, 10. Mai 2025 – die Themen: GP von Bern; Haag-Streit; Stadtrat; Bühnen Bern; Landi; Mittelhäusern; Notfallmedizin; Immobilienpreise; Bar Flüssig.
35’000 Menschen rennen heute Samstag den Grand Prix von Bern. So viele wie noch nie. Ich bin, wie stets in den letzten 30 Jahren, einer von ihnen.
Ich verstehe gut, dass man sich beim Anblick der Massen, die durch die Altstadt hecheln, die Sinnfrage stellen kann. Ich stelle sie mir ja auch jedes Jahr, während ich mich schweisstriefend an Menschen vorbeischleppe, die auf der Gasse gemütlich einen Apéro trinken. Jedoch hatte ich während meiner GP-Läufe der letzten Jahrzehnte auch stundenlang Zeit, mir eine Antwort auszudenken.
Hier ist meine Theorie: Selten ist das Wechselspiel von Euphorie und Panik so intensiv wie auf den 16 Kilometern durch Bern. Du stehst an der Startlinie mit der latenten Verzweiflung, doch wieder zu wenig trainiert zu haben. Dann läufst du los. Leichter als du es befürchtet hast, schwebst du vom Nordquartier in elegantem Bogen durch die Altstadt hinunter in die Matte.
Einen Moment lang fühlst du dich beflügelt als Teil der menschlichen Entwicklungsgeschichte. Die Fähigkeit, mit erhobenem Kopf ausdauernd zu laufen und Beutetiere in Enge zu treiben, war vor Millionen Jahren entscheidend dafür, dass der Mensch sich als führende Spezies auf der Erde durchsetzte.
Allerdings erfährst du auf den nächsten Kilometern am eigenen Leib, dass du mit deinem steifen, von Handykonsum und Sitzmarathons degenerierten Körper meilenweit vom federnden Laufstil des frühen Homo erectus entfernt bist. Zurück beim Bärengraben, zwei Kilometer vor dem Ziel, türmt sich der Aargauerstalden vor dir auf wie ein unüberwindbares Hindernis.
Panik! Nie mehr im Leben Laufschuhe schnüren!
Glücklicherweise hat dein Hirn den für vernünftige Gedanken verantwortlichen präfrontalen Kortex auf den zurückliegenden 14 Kilometern sukzessive auf stumm geschaltet. Du stellst dich dem Aargauerstalden also trotzdem. Es gibt keine Vergangenheit und keine Zukunft mehr. Sondern nur noch die Gegenwart, in der die Ziellinie Schritt für Schritt näherkommt. Und plötzlich einfach da ist.
Das ist die kleine hausgemachte Euphorie, die ich mir heute (hoffentlich) erlaufe.
- Stadtrat: Mit ihrem Entscheid, per Sommer 2026 den Schulversuch mit den «Classes bilingues» zu beenden, hat die Stadtberner Gemeinderätin Ursina Anderegg (Grünes Bündnis) einen Furor der Empörung ausgelöst. Ausnahmsweise führte deshalb der Stadtrat am Donnerstag eine aktuelle Debatte. Meine Kollegin Marina Bolzli erlebte eine Diskussion, die differenzierter war als die bisherige öffentliche Auseinandersetzung. In ihrem Stadtrat-Brief findest du die Sitzung des Stadtparlaments kompakt zusammengefasst.
- Könizer Wirtschaft: Die international tätige Medizintechnik-Unternehmung Haag-Streit, domiziliert im Liebefeld beim Bahnhof Köniz, gehört zu den heimlichen Stars der Berner Wirtschaft. Sie stellt Geräte für Augenärzte und Optiker her und mischt auf ihrem Gebiet an der Weltspitze mit. CEO Thomas Bernhard führte meinen Kollegen Joël Widmer durch die Produktionsräume und erzählte ihm, wie Haag-Streit mit der Handelspolitik von US-Präsident Donald Trump umgeht.
- Bühnen Bern: Gestern gaben die Verantwortlichen von Bühnen Bern das Saisonprogramm 2025/26 bekannt. Weil die Institution weniger Subventionen erhält, hat sie Produktionen gestrichen: Es gibt im Stadttheater je eine Opern- und eine Schauspielproduktion weniger. Zudem spielt das BSO drei Konzerte weniger. Was einige Familien betrüben dürfte: In der nächsten Saison wird kein neues Weihnachtsmärli gezeigt. Bühnen Bern hat sich entschieden, stattdessen das sehr erfolgreiche Stück «Die unendliche Geschichte» der Saison 2023/24 noch einmal aufzunehmen. Im Jahr darauf soll es dann wieder eine neue Produktion geben. Auch interessant: Die neue Opernchefdirigentin Alevtina Ioffe. Sie hoffe, sagte die Russin, in Bern «ein neues Zuhause» zu finden. Ioffe wird das traditionelle Openair-Konzert auf dem Bundesplatz dirigieren und die musikalische Leitung der Eröffnungsoper «Manon Lescaut» von Giacomo Puccini übernehmen.
- Landi: Die Ladenkette der Agrargenossenschaft Fenaco, bis jetzt hauptsächlich auf dem Land tätig, stösst in die Stadt Bern vor. Wie Migros Aare mitteilt, übernimmt die Landi Bolligen per 1. Juli den Fachmarkt Do it & Garden der Migros im Wankdorf. Laut der Migros erhalten die bisherigen Mitarbeitenden einen Job bei der Landi.
- Energie: Die Gemeinde Köniz will eines ihrer Dörfer, Mittelhäusern, zu «einem Reallabor für eine erneuerbare Energieversorgung» machen. Das schreibt die Initiantin, die Emmentaler Wandu-Energie AG. Zusammen mit dem Kanton Bern finanziert Köniz nun eine Machbarkeitsstudie, deren Resultate im Sommer erwartet werden. Mittelhäusern soll zum ersten Dorf werden, das seinen Energiebedarf vollständig aus erneuerbaren Quellen deckt.
- Notfallmedizin: Die Christoffelapotheke zwischen Bahnhofplatz und Bundesgasse ist neu auch mit einem ärztlichen Notfalldienst auf dem Markt. Mark Kobel, Inhaber der Apotheke und FDP-Parlamentarier in Köniz, sieht angesichts des überlasteten Notfalls der Insel und der Tatsache, dass viele Menschen keinen Hausarzt mehr haben, eine Marktlücke. Angeboten wird der Dienst vom Start-up Aprioris, das mehrere Soforthilfepraxen in Zürich betreibt. Es ist laut einer Mitteilungder Apotheke von den Krankenkassen anerkannt.
- Immobilienpreise: Die Berner Kantonalbank (BEKB) gibt halbjährlich eine Einschätzung zur Entwicklung der Immobilienpreise ab. Sie rechnet damit, dass die Preise trotz der unwägbaren Weltlage weiter steigen, sie sieht weder eine heftige Rezession kommen noch einen Rückgang der Zuwanderung. Interessant sind die regionalen Unterschiede: Dasselbe Musterhaus, das in Biel oder Thun für eine Million Franken gehandelt wird, erreicht laut BEKB in Bern mittlerweile einen Preis von über zwei Millionen Franken.
PS: Heute Samstag soll sich die Sonne zurückmelden. (Und die Bise sollte sich abmelden). Zeit, Nachmittag und Abend draussen an einer lauschigen Pop-up-Bar zu verbringen. Ich habe einen besonders lauschigen Vorschlag: Gleich neben den Wellen des Zentrums Paul Klee nimmt die Bar Flüssig ihren Betrieb wieder auf – und bringt dich in Sommer-Vibe.