Im Lift – Hauptstadt-Brief #476
Samstag, 14. Juni 2025 – die Themen: sexualisierte und häusliche Gewalt; Stadtrat; Dampfzentrale; Regionalgefängnisse; Wohnungen; Köniz; Beschwerden gegen Kirchenbeschlüsse; Pop-up.
Neulich an der Familienfeier erzählte ein Verwandter, dass er sich gezwungen sah, die Treppe in den dritten Stock zu nehmen, statt den Lift zu benutzen. Er wäre ansonsten mit einer jungen Frau alleine im Fahrstuhl gewesen. «Die könnte danach erzählen, was sie will und mich verklagen», sagte er.
Es floss Alkohol an der Feier, da sitzt die Zunge etwas lockerer. Auf den Mund sitzen konnte ich aber nicht. Denn seine Aussage kehrt Opfer- und Täterrolle um. Sie stellt die Frau als böswillig und mächtig und den Mann als Opfer dar.
Dabei zeigen Studien, dass Frauen wenig Chancen haben, falls sie Sexualdelikte anzeigen. Oft fehlen Beweise, weil es Vier-Augen-Delikte sind und es steht Aussage gegen Aussage. Im Zweifel wird für den Angeklagten entschieden. Und laut der GFS-Umfrage von 2019 zeigen gerade mal acht Prozent der Betroffenen den Täter überhaupt an.
Die Tatsache, dass Frauen viel öfter von sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt betroffen sind als Männer, sollte ich eigentlich nicht erwähnen müssen. Das zeigt auch der Artikel meiner Kollegin Jana Schmid eindrücklich. Sie hat mit zwei Frauen geredet, die eine Gruppe gegründet haben, in der sich Betroffene von häuslicher Gewalt gegenseitig unterstützen.
Die Befürchtung meines Verwandten ist unbegründet. Es ist nicht so easy, einen Mann für eine vermeintliche Belästigung anzuklagen, nur um Geld zu kassieren. Viel einfacher ist es immer noch für einen Mann, sich im unbeobachteten Lift an jemandem zu vergehen.
Auch deshalb gehe ich am 14. Juni, am Tag des feministischen Streiks, auf die Strasse.
- Stadtrat-Brief: Der Stadtrat hat am Donnerstagabend unter anderem über Kinderbetreuung debattiert. Er kam zum Schluss, dass die städtischen Kitas vorerst in der Stadtverwaltung bleiben sollen. Und er beauftragte den Gemeinderat, den Bedarf und mögliche Lösungsansätze für eine Kinderbetreuung zu Randzeiten zu analysieren. Mein Kollege Joël Widmer hat einmal mehr die Beschlüsse des Stadtparlaments kompakt zusammengefasst.
- Dampfzentrale: Die Stadt Bern schreibt den Leistungsvertrag für die Dampfzentrale neu aus. Der Verein der Berner Tanzschaffenden Beta zieht in Erwägung, sich für den neuen Leistungsvertrag zu bewerben, wie Recherchen meiner Kollegin Marina Bolzli zeigen.
- Volle Gefängnisse: Die Regionalgefängnisse im Kanton Bern sind seit Monaten überbelegt. Mehrere parlamentarische Vorstösse zielen auf eine Entlastung der Einrichtungen ab. Der Regierungsrat hat die Vorstösse noch nicht beraten. Die kantonale Sicherheitsdirektion unter Regierungsrat Philippe Müller (FDP) bewertete in einer Medienmitteilung am Freitag drei Vorstösse bereits. Eine Motion bringt eine Containerlösung – allerdings mit weniger Plätzen – wieder ins Spiel. Das könne zu einer rascheren Entlastung führen, befindet die Sicherheitsdirektion. Laut Mitteilung ist ein andere Vorstoss, der eine kantonale Amnestie für Ersatzfreiheitsstrafen fordert, nicht möglich. Die Motion, die gemeinnützige Arbeit als Ersatzfreiheitsstrafe vorschlägt, sei «prüfenswert».
- Weyermannshaus West: Das alte Loeblager, das die Stadt Bern Kleingewerbler*innen, Kunst- und Kulturschaffenden zu günstigen Konditionen zur Verfügung stellt, soll abgebrochen und durch ein Wohngebäude ersetzt werden. Das schreiben Bund/BZ (Print). Nun wehrt sich die Interessengemeinschaft altes Loeblager (IG ALL) dagegen. Die Stadt Bern teilte am Donnerstag mit sie wolle das Areal im Weyermannshaus West zu einem «nutzungsdurchmischten und dichten Quartier» mit 1’200 neuen Wohnungen entwickeln. Stadtberner*innen stimmen voraussichtlich im November darüber ab.
- Städtische Wohnungen: Die Stadt Bern hat zwei Liegenschaften im Stöckackerquartier für 2,42 Millionen Franken gekauft. Das teilte sie am Freitag mit. Die bestehenden Mietverträge werden übernommen. Bei Mietwechseln sollen die Wohnungen im Segment günstiger Wohnraum vermietet werden. Beide Liegenschaften wurden der Stadt durch eine private Eigentümerschaft zum Kauf angeboten.
- Köniz: Die Gemeinde will ihr Personalrecht revidieren und die Wochenarbeitszeit von 42 auf 41 Stunden reduzieren. Gleichzeitig verringert sie den Ferienanspruch für die 45- bis 65-jährigen Mitarbeitenden: Dieser soll sich statt wie bisher alle zwei Jahre ab 45 Jahren, noch insgesamt drei Mal mit 45, 50 und 60 Jahren erhöhen. Das teilte die Gemeinde am Freitag mit. Das Gemeindeparlament wird an der Sitzung vom 16. Juni darüber beraten.
- Beschwerden gegen Kirchenbeschlüsse: Die Markuskirche im Breitenrain-/Wylerquartier soll umgebaut und saniert werden. Dagegen sowie gegen Verträge im Zusammenhang mit dem Stadtkloster in der Friedenskirche wurden Beschwerden eingereicht. Diese hat nach dem Regierungsstatthalteramt nun auch das Verwaltungsgericht abgelehnt, wie die Nachrichtenagentur SDA berichtet.
- Gastro: Am Montag eröffnet ein weiteres Pop-up: In der unteren Altstadt zieht während drei Monaten im Kellerlokal «Lieblings» das mexikanische Pop-up «Xtyozen» ein. Es verspricht Spezialitätenkaffee, traditionelle Getränke wie Mezcal und Live-Musik.
PS: Meine Kollegin Jana Schmid war zu Gast im Podcast «mit oder ohni» und gab Einblicke in den Lokaljournalismus und in unsere Redaktion. Vielleicht möchtest du reinhören, während du dieses Wochenende (hoffentlich) die warmen Temperaturen an der Aare geniesst, die sich in Rekordzeit auf 20 Grad erwärmt hat.