Kleiderordnung – Stadtrat-Brief #11/2025

Sitzung vom 13. Juni 2025 – die Themen: Kleider; WLAN; städtische Kita; Working Poor; Betreuung zu Randzeiten; Viererfeld.

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Die Länge und Emotionalität der Debatten in einer Parlamentssitzung korrelieren oft nicht mit der Relevanz der Geschäfte. So auch gestern Abend. Am heftigsten wurde über einen Vorstoss des SVP-Stadtrates Bernhard Hess debattiert, bei dem schon vor der Diskussion klar war, dass er am Ende haushoch abgelehnt werden würde.

Es ging um die stockkonservative Forderung von Hess, an Schulen eine Kleiderordnung einzuführen. Hess begründete diese Forderung mit aus seiner Sicht unpassenden Trainerhosen, Flip-Flops, Spaghetti-Träger-Leibchen und übertiefen Dekolletés. 

Viele Votant*innen verwiesen auf die ausführliche und gut formulierte Antwort des Gemeinderates. Dieser erklärte dem SVP-Motionär, dass die Verankerung einer gesetzlichen Kleiderordnung rechtlich äusserst heikel sei, da damit das Grundrecht der persönlichen Freiheit verletzt werden könnte. Zudem sei Kleidung Teil der Identitätsbildung von Jugendlichen. Die oft mädchenspezifischen Kleiderordnungen tragen laut der Regierung zudem zur problematischen Vorstellung bei, dass Mädchen und Frauen durch ihre Kleidung verantwortlich seien für sexuell aufgeladenes oder übergriffiges Verhalten. Diese Sichtweise berge die Gefahr, dass sexualisiertes Verhalten und sexuelle Belästigungen indirekt legitimiert würden und eine Täter-Opfer-Umkehr entstehe. Weiter betont die Regierung: «Dass Kleidung häufig durch einen sexualisierten Blick betrachtet wird und der Körper der Mädchen damit objektifiziert wird, ist ein gesellschaftliches Problem und führt dazu, dass die individuelle Freiheit der Mädchen erheblich eingeschränkt wird.»

Viele Votant*innen wiederholten diese Argumente in verschiedenen Ausführungen. Und am Ende müsste Bernhard Hess eigentlich klar geworden sein, dass nicht Kleider von Schülerinnen das Problem sind, sondern jene, welche diese mit einem sexualisierten Blick betrachten. FDP-Stadtrat Georg Häsler fasste die Debatte folgendermassen zusammen: «Es ist erfreulich, wie viel liberaler Geist doch noch durch das Haus weht». Und er entnehme diesem Vorstoss eine heuchlerische Moral.

Manchmal ist bei Debatten nicht die Relevanz des Vorstosses entscheidend, sondern die Relevanz der deutlichen Antwort darauf. Die Kleiderordnung wurde mit 56 zu 3 Stimmen abgelehnt.

Ronja Rennenkampff, JA! fotografiert am Donnerstag, 13. Februar 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Ratsmitglied der Woche: Ronja Rennenkampff

Ronja Rennenkampff (26) sitzt seit August 2024 für die Junge Alternative (JA!), die mit dem Grünen Bündnis eine Fraktion bildet, im Stadtrat. Sie arbeitet als Fachperson Kinderbetreuung.  

Warum sind Sie im Stadtrat? Ich bin im Stadtrat, weil ich die Stadt Bern mitgestalten und mich für die Anliegen von jungen und marginalisierten Menschen einsetzen möchte.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei? Ich denke, langsam bin ich bekannt für meine Voten für die Kitas, beziehungsweise bezahlbare und qualitative Kinderbetreuung. Als Fachperson Kinderbetreuung liegen mir die Kitas am Herzen. Und die Politik, die momentan geführt wird, ist leider überhaupt nicht nachhaltig. Ein freier Kita-Markt ist nicht die richtige Lösung. Kitas sollten aus meiner Sicht als Service public mitgedacht werden und mehr als ein Angebot wie die Schule gesehen werden.

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat? Vor einigen Wochen wurde leider der Gasausstieg entgegen der Wahlversprechen von GFL und SP nicht in die Energie- und Klimastrategie aufgenommen. Zusammen mit dem GB haben wir uns in der JA! erfolglos dafür eingesetzt, dass der Gasausstieg bis 2045 umgesetzt wird. 

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit? Stolz ist ja ein etwas seltsames Wort. Aber ich denke, ich kann schon stolz sein auf jedes Votum, das ich bis jetzt gehalten habe. Jedes Mal werde ich etwas sicherer und lerne etwas dazu. Als Fachperson Kinderbetreuung bin ich stolz darauf, Stimmen zu vertreten, die im Rat nicht so präsent sind und oft überhört werden.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum? Ich lerne gerade das Holligenquartier kennen und finde es ein sehr spannendes Quartier, vor allem, weil es noch voll im Wandel ist. Es gibt dort viele gute Projekte, und ich finde deren Anerkennung und Förderung wichtig. Ich bin gespannt, was noch kommt, und hoffe sehr, dass es nicht in der Gentrifizierung endet wie beim «nöie Breitsch».

Diese Themen waren ebenfalls wichtig:

  • WLAN: Weniger zu reden als die Kleider gab ein 4,9-Millionen-Kredit für WLAN-Geräte an Berner Schulen. Schon nach 7 Jahren müssen die aktuellen Geräte der Firma Cisco ersetzt werden, weil der Hersteller die Wartung nicht mehr sicherstellt. Dennoch sollen auch die neuen Geräte von derselben Firma kommen. Diese Abhängigkeit von grossen Technologie-Firmen im IT-Bereich wurde zwar von Mirjam Roder (GFL) und Raffael Joggi (AL) erwähnt, aber für ein linkes Parlament erstaunlich zahm debattiert. Es beschloss mit nur drei Gegenstimmen der AL, dass die rund 2500 neuen Geräte wieder von Cisco kommen sollen. Auch bei diesen rechnet man mit einer Einsatzdauer von nur rund 5 Jahren. Und dann steht wohl der nächste Millionenkredit an.
  • Städtische Kitas: Die städtischen Kitas bleiben vorerst in der Stadtverwaltung. Das Parlament hat einen Vorstoss aus bürgerlichen Kreisen abgelehnt, wonach der Gemeinderat eine Auslagerung der zwölf städtischen Kitas prüfen soll. Die Initiant*innen reagierten mit dem Vorstoss auf das Defizit von fast 8,8 Millionen Franken, das seit 2020 entstanden ist. Janina Aeberhard (GLP) betonte, dass eine Auslagerung nicht per se eine Privatisierung sei. Die Stadt könne nach wie vor mitbestimmen. Es gehe lediglich darum «gleich lange Spiesse» zwischen privaten und öffentlichen Kitas zu schaffen, fügte Béatrice Wertli (Mitte) an. Die linke Ratsmehrheit lehnte das Postulat aber mit 38 zu 30 Stimmen ab. Eine Auslagerung wäre «ein Rückschritt für die Gleichstellung», sagte Lena Allenspach (SP). Kitas seien Teil des Service Public und dürften auch etwas kosten. Der Gemeinderat wolle die städtischen Kitas weiterhin führen, betonte Gemeinderätin Ursina Anderegg (Grünes Bündnis). Ein Teil der Defizite soll künftig aus der Stadtkasse für die sogenannt trägerschaftsbedingten Mehrkosten bezahlt werden. Über eine entsprechende Vorlage wird der Stadtrat bald beraten. Darin will sich der Gemeinderat auch nochmal zur Option einer Auslagerung äussern.
  • Betreuung zu Randzeiten: Mit 45 zu 18 Stimmen hat der Stadtrat dem Gemeinderat den Auftrag gegeben, bei der Kinderbetreuung zu Randzeiten den Bedarf und mögliche Lösungsansätze zu analysieren. Das Betreuungsangebot richte sich heute mehrheitlich an Menschen mit hohem Bildungsstand, begründete Matteo Micieli (PdA) den Vorstoss. Nun solle man den möglichen Bedarf an Kinderbetreuung bei Angestellten im Niedriglohnsektor, die zu Randzeiten arbeiten, erheben. Ob wirklich Lücken bestehen, sei nicht klar, sagte Gemeinderätin Ursina Anderegg. Sie zeigte sich aber willig, die Frage abzuklären.
  • Working-Poor: Das Parlament befürwortete gestern zwei Vorstösse, die armutsgefährdete Personen und Working-Poor unterstützen wollen. Einerseits soll der Gemeinderat die Einführung einer städtisch finanzierten Ergänzungsleistung für Working-Poor Familien prüfen, deren Einkommen trotz Erwerbsarbeit der Eltern für den Familien-Unterhalt nicht ausreicht. Eigentlich wäre diese Aufgabe auf kantonaler Ebene angesiedelt. Einige Kantone haben solche Leistungen schon eingeführt. Nicht so der Kanton Bern. Ein anderer Vorstoss fordert, dass die Kriterien des Fonds für Wohnbau- und Bodenpolitik so angepasst werden, dass auch armutsgefährdete Personen in den Genuss der vergünstigten Mietzinse kommen. Der Gemeinderat ist der Meinung, dass dies bei den städtischen Wohnungen heute schon der Fall sei.
  • Viererfeld: Mit 61 zu 5 Stimmen stimmte der Rat der Abgabe einer Landfläche im Viererfeld im Baurecht an die Pensionskasse der Technischen Verbände zu. Diese springt ein für die Personalvorsorgekasse der Stadt Bern, welche sich aus dem Bauvorhaben in der Überbauung im Viererfeld zurückzieht.

PS: Nach der Debatte zu Kleidern an Schulen äusserte sich Ratspräsident Tom Berger (FDP) noch zu Kleidern im Ratsaal. Es gebe hier keine gesetzliche Kleidervorschrift mehr. «Ihr dürft grundsätzlich rumlaufen, wie ihr wollt», sagte Berger. Aber das Ratspräsidium habe eine Generalklausel zum parlamentarischen Anstand, sagte er und fügte an: «Was ich nicht akzeptieren würde, wäre barfuss, mit nasser Badekleidung oder mit freiem Oberkörper und letzteres bei sämtlichen Geschlechtern.»

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