Autofreie Altstadt – Stadtrat-Brief #10/2025
Sitzung vom 22. Mai 2025 – die Themen: Verkehr in der Innenstadt; Wirtschaftsnacht; Asyl; Gleichstellung; Schlaue Ampeln; Rücktritt.
Wer in der Berner Altstadt unterwegs ist, muss regelmässig vorbeifahrenden Autos Platz machen. Oder um parkierte herumgehen. Oder, wie es Katharina Gallizzi (GB) in der Stadtratssitzung vom Donnerstag aus Sicht einer Parlamentarierin formulierte: «Man steht vor dem Rathaus, diskutiert über aktuelle Debatten – und muss plötzlich zur Seite springen, weil einen ein Auto fast über den Haufen fährt.»
Ihre Partei forderte mit einer Richtlinienmotion eine autofreie Altstadt. Konkret sollte die Berner Altstadt für den motorisierten Individualverkehr gesperrt werden, mit Ausnahme von Zubringer- und Wirtschaftsverkehr.
Ursula Stöckli (FDP) nannte den Vorstoss vom September 2024 ein «Wahlkampfgetöse». Auch sie sei gegen das Parkieren in der unteren Altstadt, kommentierte die Altstadt-Bewohnerin. Doch der Vorstoss fordere im Grunde nichts Neues. Sie bezog sich auf das seit 2022 hängige Verkehrsregime, das die untere Altstadt von parkierten Autos befreien soll. Dieses ist durch Einsprachen blockiert. «Das ist der Rechtsweg, ob es den Grünen passt oder nicht», so Stöckli.
Grundsätzliche Kritik am Umgang der Stadt mit Verkehr in diesem Perimeter äusserte Michael Ruefer (GFL): «Das Verkehrsregime in der Altstadt ist ein Flickwerk.» Ruefer kündigte an, in der laufenden Legislatur ein neues Verkehrskonzept erarbeiten zu wollen.
Das kritisierte «Flickwerk» zeigte sich in der Antwort des Gemeinderates auf den GB-Vorstoss. Die Stadtregierung unterstützt zwar das Anliegen der Motion. Trotzdem sei eine «schnelle Lösung» für eine autofreie Altstadt nicht umsetzbar. Wegen zahlreicher laufender Projekte und teilweise hängiger Beschwerden seien nur «schrittweise Verbesserungen» möglich.
Mit 52 Ja- zu 14 Nein-Stimmen bei zwei Enthaltungen erklärte der Stadtrat die Richtlinienmotion für erheblich und akzeptierte die Antwort des Gemeinderates als Begründungsbericht.
Damit ist klar: Die deutliche Mehrheit von Parlament und Regierung wünscht sich eine autofreie Altstadt. Doch absehbar ist sie trotzdem nicht. Ungestört draussen vor dem Rathaus zu debattieren, bleibt vorläufig ein Wunschtraum.
Stephan Ischi (53) sitzt seit Juli 2024 für die SVP im Stadtrat. Ischi ist selbständiger Finanz- und Anlageexperte und unter anderem Vorstand des Hauseigentümerverbandes Bern und Umgebung.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Unglücklich über die einseitige und mehrheitlich wirtschaftsfeindliche Politik in der Stadt Bern habe ich mich (untypisch für einen Berner, der sonst lieber die Faust im Sack macht) entschieden, im Rat meine fast 40-jährige Erfahrung im Finanz- und Immobilienwesen zur Verfügung zu stellen. Es ist mir ein Anliegen, dass die Stadt Bern, in welcher ich gerne aufgewachsen bin und wohne, wieder ein Bern für alle und nicht nur für wenige wird.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Mir wird nachgesagt, dass ich sehr sachlich und ruhig sei. Ausserdem weiss man, dass ich mich nur zu Themen äussere, welche ich wirklich fundiert aus der Theorie und der Praxis kenne, also auch aus meiner beruflichen Perspektive. Geschäfte, bei welchen ich weder Ahnung noch Erfahrung habe, überlasse ich den entsprechenden Experten. Für meine «Strassenmeinung» bin ich nämlich nicht gewählt worden.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Misserfolge sind für die Bürgerlichen im Berner Stadtrat an der Tagesordnung. Am meisten Bauchweh macht mir aber die Finanzsituation in Bern. Wir steuern direkt in eine Überschuldung, geben aber weiterhin munter viel zu viel Geld für mindestens zweifelhaft zielführende Projekte aus. Ratlos lässt mich zurück, dass die Mehrheit im Rat dabei keinerlei Probleme sieht.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Dass ich meine ökonomische Expertise einbringen kann und diese oft geschätzt wird. Gerade weil die Wirtschaft und das Gewerbe im Wesentlichen unser aller Wohlstand sichert, bin ich ein feuriger Verfechter einer funktionierenden, gerechten und sozialen Marktwirtschaft. Diese Wirtschaftsordnung ist erfahrungsgemäss zielführender als eine Ordnung mit ideologischen Experimenten, Verboten und Bürokratie.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Meine ersten Lebensjahre habe ich im Kirchenfeld verbracht und sehr viele schöne Erinnerungen an dieses Gebiet. Nun wohne ich schon seit über einem Jahrzehnt im Breitsch, einem pulsierenden, sich stark entwickelnden Ort. Diese beiden Stadtteile liegen mir deshalb am meisten am Herzen.
Diese Themen waren ebenfalls wichtig:
- Wirtschaftsnacht: Die Stadt Bern will ihr Gewerbe feiern. Dafür soll es künftig eine «Wirtschaftsnacht» geben – analog zur Museumsnacht. Das Postulat sorgte für parteiübergreifende Begeisterung und wurde mit 49 Ja- zu 14 Nein-Stimmen bei zwei Enthaltungen überwiesen. Die Idee sei im letzten Wahlkampf entstanden, erklärte für die Einreichenden Béatrice Wertli (Mitte), die für den Gemeinderat kandidiert hatte: An einem Anlass der Wirtschaftsverbände habe die jetzige Stadtpräsidentin Marieke Kruit (SP) auf dem Podium erstmals von einem solchen Event für das Berner Gewerbe gesprochen, und alle seien begeistert gewesen. «Die Vielfalt der Wirtschaft vom Startup bis zum Weltkonzern ist Berns Stärke. Das dürfen wir auch zeigen», sagte Kruit auch gestern im Rat.
- Asyl: Der Gemeinderat soll eine unabhängige Beschwerdestelle schaffen für Asylsuchende, die in der Stadt Bern untergebracht sind. Das verlangte eine Ratsmehrheit im Rahmen der Beratung einer GB/JA-Motion, die ansonsten abgeschrieben wurde. Mit der Motion aus dem Jahr 2016 hatten die Einreichenden verschiedene Verbesserungen bei der Unterbringung von Asylsuchenden gefordert. Die meisten Forderungen sind unterdessen erfüllt – mit Ausnahme der Beschwerdestelle. Ziel ist, dass sich Asylsuchende niederschwellig und vertraulich an eine externe Stelle wenden können, etwa bei Problemen in der Unterkunft oder mit dem Betreuungspersonal.
- Gleichstellung: Der Gemeinderat soll eine städtische Fachkommission für Menschen mit Behinderungen schaffen. Die interfraktionelle Motion dazu war im Stadtrat nicht bestritten – sie wurde ohne Gegenstimmen überwiesen. Bisher gibt es keine wirksame Möglichkeit für Menschen mit Behinderungen, gegenüber der Stadt ihre Anliegen zu thematisieren. Deshalb soll nun in Zusammenarbeit mit Behindertenorganisationen eine Kommission entstehen, die aus Menschen mit Behinderungen zusammengesetzt ist.
- Schlaue Ampeln: Der Gemeinderat muss prüfen, wie die städtischen Ampeln für Fussgänger*innen optimiert werden können. Dazu soll er neue Technologien wie Bewegungsmelder berücksichtigen. Ein entsprechendes Postulat der SP/Juso-Fraktion fand im Parlament eine grosse Mehrheit. Auch Gemeinderat Matthias Aebischer (SP) unterstützte das Anliegen, die städtischen Ampeln schlauer zu machen. Er wies jedoch darauf hin, dass nicht mehr Bewegungsmelder, sondern die Künstliche Intelligenz im Fokus stehe. «Der KI gehört in der Verkehrsplanung die Zukunft», sagte der Verkehrsdirektor. Die Stadt Bern nutze bei der Kreuzung am Inselplatz neu Kameras mit KI-Technologie – schweizweit der erste Versuch dieser Art, wie Aebischer betonte.
PS: Mit Sibyl Eigenmann (Mitte) musste Ratspräsident Tom Berger (FDP) gestern bereits das dritte Ratsmitglied in der neuen Legislatur verabschieden. Eigenmann tritt aus dem Stadtrat zurück, weil sie persönliche Mitarbeiterin von Mitte-Bundesrat Martin Pfister wird. «Das Parlament verliert eine gewichtige Stimme, und ich eine meiner wichtigsten Bezugspersonen», sagte Tom Berger.