Heisse Stadt, kranke Menschen

Der Klimawandel gefährdet die menschliche Gesundheit. Berner*innen macht besonders die Hitze zu schaffen. Was tut die Stadt, um ihre Bewohner*innen zu schützen?

Klima_Gesundheit
(Bild: Silja Elsener)

600 Menschen sind im letzten Sommer in der Schweiz aufgrund von Hitze gestorben. Das sind drei Mal mehr als im Durchschnitt der Jahre 2009 bis 2017. Das zeigt eine Studie von Forscher*innen unter anderem der Universität Bern, die letzte Woche publiziert worden ist. Besonders interessant: 60 Prozent der Todesfälle können auf die vom Menschen verursachte Klimaerwärmung zurückgeführt werden.

Hauptautorin der Studie ist die Epidemiologin Ana Maria Vicedo-Cabrera, die am Institut für Sozial- und Präventivmedizin und am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern lehrt und forscht. Sie hat sich darauf spezialisiert, wie sich die Klimakrise auf die menschliche Gesundheit auswirkt.

Im Gespräch mit der «Hauptstadt» zählt sie einige Risiken auf: «Mehr Leute sterben, mehr Leute müssen ins Krankenhaus, die Luftqualität sinkt, die Gefahr für Herz-Kreislauf-Beschwerden nimmt zu, neue Krankheiten verbreiten sich und die psychische Gesundheit verschlechtert sich.»

Zwar könne sich der Körper an heissere Temperaturen anpassen: «Wir wissen, dass Hitzewellen zu Beginn des Sommers gefährlicher sind als solche gegen Ende, weil der Körper dann weniger darauf vorbereitet ist.» Bis zu welchen Temperaturen die Anpassung funktioniert, sei aber unklar. Sicher nicht endlos, sagt Vicedo-Cabrera – insbesondere bei älteren Menschen oder solchen mit Vorerkrankungen.

«Der Wille in der Verwaltung ist vorhanden»

Ana Maria Vicedo-Cabrera hat bereits mehrere Studien (mit)publiziert, die alarmieren: 2021 hat ihre Forschungsgruppe erstmals aufgezeigt, welchen Einfluss der menschengemachte Klimawandel auf hitzebedingte Todesfälle hat: So waren zwischen 1991 und 2018 global mehr als ein Drittel aller Todesfälle, bei denen Hitze eine Rolle spielte, auf die Klimaerwärmung zurückzuführen. Eine andere Studie zeigt, dass auch in der Schweiz die Hitze in den vergangenen 50 Jahren zu einer Übersterblichkeit führte. Die wird womöglich noch zunehmen – wegen der alternden Bevölkerung, aber auch wegen häufigeren Hitzewellen.

Szenario Stadt Bern 2060

Der Berner Gemeinderat wählt deutliche Worte: «Klimawandel: Neue Analyse bestätigt Handlungsbedarf», betitelt er eine Medienmitteilung vom 6. Juli. Er hat analysieren lassen, wie die klimatische Situation in der Stadt Bern 2060 aussehen könnte, wenn sich die Erde um mehr als zwei Grad erhitzt hätte. Das Szenario verdeutliche, «wie drastisch die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf die Stadt Bern wären, wenn keine Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel und zum Klimaschutz ergriffen würden.» Die Ergebnisse der Analyse würden nun zu wichtigen Planungsgrundlagen.

Die Forscherin untersucht auch, wie sich die Gefahren der Hitze reduzieren lassen: «Städte müssen so gebaut sein, dass die Einwohner*innen so wenig wie möglich der Hitze ausgesetzt sind.» Zum Beispiel müssten Flächen entsiegelt und begrünt werden und genügend Schatten und Wasserflächen vorhanden sein. Ausserdem müssten die Behörden die Bevölkerung über die Gefahren und das richtige Verhalten informieren. «Am besten abgestimmt auf die Zielgruppe: Alleinlebende erreicht man auf eine andere Art als Bewohner*innen von Altersheimen.»

Wie wichtig diese Massnahmen sind, illustriert ein Zitat aus der aktuellsten Studie: «Bei den derzeitigen Erwärmungsraten wird ein Hitzesommer wie 2022 bereits in den kommenden Jahrzehnten zu einem durchschnittlichen Sommer.» Die Stadt Bern sei mit ihren Massnahmen auf einem guten Kurs, findet Ana Maria Vicedo-Cabrera: «Der Wille in der Verwaltung und in der Politik ist vorhanden. Und der macht sehr viel aus.»

Informieren...

Christa Leutert, Co-Leiterin des Gesundheitsdienstes der Stadt Bern, bestätigt auf Anfrage den Eindruck von Vicedo-Cabrera: «Die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels haben für die Stadt Bern seit Jahren einen hohen Stellenwert.» Sie verweist auf die Energie- und Klimastrategie der Stadt Bern, die seit 2006 existiert (damals noch unter dem Begriff Energiestrategie). Darin sind unter anderem die Massnahmen festgelegt, wie sich die Stadt an Auswirkungen des Klimawandels wie Trockenperioden, Hitzeperioden und starke Niederschläge anpassen will – auch mit Blick auf die Gesundheit der Bevölkerung.

Von steigenden Temperaturen sei die Stadtbevölkerung besonders betroffen. Die von Hitzewellen ausgehende gesundheitliche Gefahren betreffen insbesondere ältere und kranke Menschen sowie Kleinkinder, so Leutert. Die Stadt Bern orientiere sich im Umgang damit an der «Hitze-Massnahmen-Toolbox», die das Bundesamt für Gesundheit zur Verfügung stellt.

So informiere die Stadt Bern periodisch eine ganze Reihe von Akteur*innen über die gesundheitlichen Gefahren von und den Umgang mit Hitze: die Leitungen von Alters- und Pflegeheimen, mobilen Pflegediensten, Haus- und Kinderärzt*innen, Apotheken, Notfalldienste, Betreuungseinrichtungen für Kinder, Schulen, Kindergärten und Kinderkrippen, die Mütter- und Väterberatung, das Sozialamt, Sportvereine und Jugendverbände. Personen über 74 Jahren würden über Briefe der Stadtverwaltung und Artikel im «Magazin 60+» über den richtigen Umgang mit der Hitze informiert.

Kündigt sich eine Hitzewelle an, verschicke die Stadt Medienmitteilungen mit den Gefahren und Verhaltensempfehlungen. Auch in städtischen Sportanlagen und Schwimmbädern informiere sie auf Bildschirmen über Gefahren der Hitzewelle und das empfohlene Verhalten, ebenso in Altersheimen und bei mobilen Pflegediensten, erklärt Christa Leutert.

... und bauen

Für die langfristige Anpassung an ein heisseres Klima setze Bern auf städtebauliche Massnahmen: Begrünen, Durchlüften, Beschatten, Rückstrahlen, Verdunsten und Kühlen laute die Devise. Im März 2022 hätten die Arbeiten am «Massnahmenplan städtebauliche Klimaanpassung» begonnen. Ausserdem würden bei Bauprojekten der Stadt Vorgaben zu Stadtklima und Biodiversität einfliessen. Zum Beispiel müsse bei Bauprojekten beachtet werden, dass Flächen soweit möglich entsiegelt und begrünt werden und dass Regenwasser versickern kann, sagt Leutert.

Auf ihrer Website hat die Stadt Bern zudem eine Karte publiziert, in der Schattenplätze und Brunnen eingetragen sind. Eine andere Karte zeigt, wo die sommerliche Hitzebelastung besonders hoch ist. Sie ist aus dem Projekt «Urban Climate Bern» entstanden, für das die Stadt, ewb und die Universität Bern seit 2018 mit Sensoren die Hitzebelastung in der Stadt Bern messen.

Politische Vorstösse

Auch die Stadtberner Politik befasst sich mit den Auswirkungen der Klimakrise auf die Gesundheit: Ende Juni hat der Stadtrat ein Postulat von Eva Krattiger (JA!) und Jelena Filipovic (GB) für erheblich erklärt. Es verpflichtet den Gemeinderat aufzuzeigen, wie gut öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Kitas für ein heisseres Klima gerüstet sind.

Auf nationaler Ebene hat die Grüne Ständerätin Maya Graf (BL) letztes Jahr in einem Postulat gefordert, dass der Bundesrat prüft, wie ein nationaler Hitze-Aktionsplan in Koordination mit den Kantonen die Bevölkerung vor Überhitzung und deren gesundheitlichen Folgen schützen könnte. Doch der Vorstoss ist gescheitert.

Die Lage im Inselspital

Im Berner Inselspital scheint sich noch nicht in der Praxis abzuzeichnen, was Epidemiologin Ana Maria Vicedo-Cabrera statistisch beobachtet: Das Inselspital sehe «aktuell noch keine direkt-kausalen Auswirkungen des Klimawandels», schreibt Didier Plaschy von der Medienstelle. Hitzepatient*innen würden nur einen kleinen Teil aller Behandelten ausmachen und das nur an wenigen Tagen pro Jahr.

Im Hitzesommer 2014 hat das Inselspital den Salzgehalt des Blutes der Patient*innen systematisch untersucht und festgestellt, dass es mindestens fünf Tage mit sehr heissen Temperaturen brauche, damit es zu Austrocknungserscheinungen komme. Besonders von der Hitze gefährdete Personen – also sehr junge oder ältere Menschen, solche mit schweren chronischen Erkrankungen oder Infektionen – seien sich der Erfahrung des Inselspitals nach ihrer Risiken bewusst, so Plaschy.

«Menschen müssen mitten in der Krise sein, damit sie handeln»

Ana Maria Vicedo-Cabrera ist besorgt über den Zustand der Erde. Doch sie spürt auch Hoffnung: «Ich forsche seit mehr als zehn Jahren zum Klimawandel und beobachte, dass sich viel verändert hat in der Haltung von Politiker*innen.» Viele würden das Problem endlich erkennen und seien zu Handlungen bereit.

Doch: «Menschen müssen mitten in der Krise sein, damit sie tatsächlich handeln.» Das habe Covid gezeigt: Die Pandemiegefahr sei seit Jahren bekannt gewesen – Schutzmassnahmen seien aber erst während oder nach der Pandemie entwickelt worden.

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