Mehrverkehr auf dem Spaghettiteller

Die geplante Umgestaltung des Autobahnanschlusses Wankdorf produziert mehr Verkehr und mehr Unfälle. Zu diesem Schluss kommt eine amtliche Kosten-Nutzen-Analyse. Das verschärft die Kontroverse um das umstrittene Projekt.

Wankdorf Autobahnausfahrt fotografiert am 27.03.2023 in Bern.
Spuren sollen entflochten werden: Autobahnanschluss Wankdorf. (Bild: zvg)

Die Untersuchung kommt aus unverdächtiger Quelle. Das Bundesamt für Strassen (Astra) lässt für Ausbauten am Nationalstrassennetz von spezialisierten Büros sogenannte Kosten-Nutzen-Analysen anfertigen. So auch für die vom Astra selber geplante, umstrittene Umgestaltung des Autobahn-Anschlusses Wankdorf.

Das Fazit der Studie, die der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt war, der «Hauptstadt» aber vorliegt: Die Umgestaltung des Anschlusses Wankdorf führt zwar wegen Staureduktion zu Zeitgewinnen, jedoch auch zu Mehrverkehr. Wegen der zusätzlichen Fahrzeugkilometer kommt es folglich zu mehr CO2-Ausstoss sowie zu einer Zunahme von Unfällen.

Das Kosten-Nutzen-Verhältnis sei zwar in der Gesamtbeurteilung «tendenziell positiv», aber es würde, schreiben die Autor*innen des Büros Ecoplan, «noch deutlich höher ausfallen, wenn die zusätzlich geschaffenen Kapazitäten keinen Mehrverkehr anziehen würden.» Das sei jedoch der Fall, unter anderem deshalb, weil der Verkehr wieder zurück auf die Autobahn verlagert werde. 

Interessant an dieser Schlussfolgerung: Bisher galt die ab 2026 geplante Umgestaltung des Autobahnanschlusses nicht als Ausbau, sondern als Entlastungsmassnahme. Durch die Entflechtung der heute oft verstopften Spuren auf dem komplexen Verkehrsknoten soll es weniger Rückstau bis auf die Autobahn geben – laut Astra auch, «um das wachsende Verkehrsaufkommen auf den Nationalstrassen mittelfristig bewältigen zu können».

Zudem würden die Verbindungen für den Fuss- und Veloverkehr ausgebaut und sicherer gemacht. Eines der Hauptargumente gemäss Astra: Der Anschluss sei «ein Unfallschwerpunkt», dessen Sichereit mit dem Umbau «entscheidend optimiert» werde.

Die Kosten-Nutzen-Analyse

Bei der Kosten-Nutzen-Analyse geht es im Wesentlichen darum, den volkswirtschaftlichen Nutzen eines Strassenprojekts den Kosten – etwa in Form der Klimaauswirkungen – gegenüberzustellen. Entscheidend ist, was genau wie als Kosten und Nutzen in Geldwerte umgerechnet wird.

Für die Umgestaltung des Autobahnknotens Wankdorf weisen die Studienautor*innen auf der Nutzenseite vor allem den Reisezeitgewinn aufgrund der Staubeseitigung aus. Jährlich bringt das laut Studie einen Nutzen von 11,6 Millionen Franken. Positiv wirkt sich auch der Mehrverkehr aus (1,6 Millionen Franken), etwa, weil er zusätzliche Treibstoffsteuereinnahmen bringt. Auf der Kostenseite fallen Luft- und Lärmbelastung (2,3 Millionen Franken), Unfälle (2,3 Millionen Franken) sowie Polizei- und Rechtsfolgeausgaben (1.5 Millionen Franken) an. Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen jährlichen Investitionskosten von 4,3 Millionen Franken ergibt sich ein kleiner «Nutzenüberschuss» von 0,9 Millionen Franken.

Exklusiv hatte die «Hauptstadt» im Herbst 2022 schon die Kosten-Nutzen-Analyse für den geplanten und heftig umstrittenen Ausbau des Autobahnabschnitts am Grauholz auf acht Spuren publik gemacht. Dort stehen sich Nutzen von 83 Millionen und Kosten von 44 Millionen Franken pro Jahr gegenüber. Laut Auskunft des Astra wurde die Kosten-Nutzen-Analyse für den Knoten Wankdorf bereits mit dem Verkehrsaufkommen bei einem Ausbau am Grauholz auf acht Spuren gerechnet.

Aus dieser Perspektive wirkt es erstaunlich, dass der umgestaltete Knoten laut der Kosten-Nutzen-Abwägung nicht nur auf künftigen Mehrverkehr ausgerichtet wird, sondern selber Mehrverkehr anzieht und deshalb letztlich für mehr Unfälle sorgen wird. Bemerkenswert ist zudem, dass der flüssigere Verkehr beim Anschluss Wankdorf laut Studie den Umstieg vom ÖV auf den motorisierten Individualverkehr begünstigt. In den Schlussfolgerungen empfehlen die Studienautor*innen deshalb explizit, den durch den erneuerten Knoten hervorgerufenen Mehrverkehr mit flankierenden Massnahmen wieder zu reduzieren.

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Mit Velobrücke: So sähe der Anschluss Wankdorf künftig in den Augen des Astra aus. (Bild: zvg/Astra)

Bekannt ist der Autobahn-Anschluss Wankdorf auch als «Spaghettiteller», weil die diversen Zu- und Abfahrten gerollt sind wie Spaghetti. Und es sollen mehr davon werden: Gemäss Umbauprojekt kommen drei neue Zu- und Abfahrtsrampen dazu, zudem wird das Berner Expogelände mit einer Spur direkt von der Autobahn erschlossen. Vorgesehen ist auch eine Velobrücke über die Bolligenstrasse. 

Die Frage, die sich stellt: Ergibt es Sinn, den Autobahn-Anschluss für 250 Millionen Franken umzubauen, um dann die daraus entstehenden unerwünschten Folgen mit weiteren Massnahmen herabmildern zu müssen? 

Spurwechsel will Druck erhöhen

Markus Heinzer ist Präsident des Vereins Spurwechsel, in dem sich Gegner*innen des Autobahnausbaus von Links bis in die Mitte und den Grünliberalen zusammengeschlossen haben. Auf Anfrage hält er fest: «Wir sind schon sehr überrascht, dass unsere Befürchtungen, die von offiziellen Stellen immer kleingeredet oder als falsch abgetan wurden, in einem offiziellen Astra-Dokument genau bestätigt werden.»

Das bedeute umgekehrt, dass die Promotor*innen laut Heinzer «wissentlich falsche Versprechungen» gemacht hätten: «Sie sagten, dass das Projekt nicht zu Mehrverkehr in der Stadt führen würde. Und dass es weniger Unfälle geben würde.» Heinzer kündigt an, dass Spurwechsel nun den Druck auf den Bund und die Berner Stadtregierung «Schritt für Schritt erhöhen» werde: «Wir sind überzeugt, dass es in der Stadt keine Mehrheiten für Betonphantasien von gestern gibt.» Er befürchtet, dass das Nordquartier mit Mehrverkehr belastet würde. Abgesehen davon glaubt Heinzer, dass die vom Kanton Bern diese Woche nach unten korrigierten Prognosen zum Verkehrswachstum die Umgestaltung des Anschlusses erst recht in Frage stelle.

Stadtregierung für Umgestaltung 

Die vom Verein Spurwechsel kritisierte rot-grüne Berner Stadtregierung beurteilt die Sache anders. Sie befürwortet die Umgestaltung des Zubringers Wankdorf, weil sie diese als Vorbedingung dafür sieht, den Verkehr am Stadtrand zu kanalisieren und damit die Quartiere zu entlasten. Die zuständige Gemeinderätin Marieke Kruit (SP) erklärt zwar auf Anfrage, dass die Kosten-Nutzen-Analyse des Astra «nicht Grundlage für die Positionierung des Gemeinderats war».

Trotzdem bestätigt sie die bisherige Haltung des Gemeinderats, die auch die Nachbargemeinden Ittigen und Ostermundigen sowie der Kanton teilen. Nach langen Diskussionen sei die Stadtregierung zum Schluss gekommen, «dass das Astra-Projekt unter dem Strich eine Verbesserung darstellt».

Ohne Umgestaltung drohten bei Verkehrszunahme Stau auf der Autobahn und durch den Ausweichverkehr eine Mehrbelastung der Quartiere. Es gehe dem Gemeinderat darum, «die Bevölkerung vor den negativen Auswirkungen zu schützen und den Verkehr im Raum Wankdorf in erträgliche Bahnen zu lenken». Zentral sei neben der Entflechtung der Verkehrsströme die Schaffung von sicheren Fuss- und Veloverbindungen.

Wankdorf Autobahnausfahrt fotografiert am 27.03.2023 in Bern.
Der Gemeinderat will den Verkehr im Bereich Wankdorf «in erträgliche Bahnen lenken». (Bild: zvg)

Kruit hält zudem fest, dass die Stadt zur Begrenzung der negativen Auswirkungen mit dem Astra eine Planungsvereinbarung abgeschlossen habe. Man habe den Einsatz von Verkehrsmanagement und Dosierungssystemen geregelt, damit die Quartiere vor zusätzlichem Verkehr verschont würden. Der erneuerte Anschluss Wankdorf erlaube die Einführung von Dosierungsmassnahmen, die laut Kruit «heute so nicht bestehen und ohne die Umgestaltung nicht realisierbar wären».

Das Astra bestätigt gegenüber der «Hauptstadt», dass im Wankdorf künftig ein «deutlich optimiertes Verkehrsmanagement» betrieben werde, das auch die Qualität des öffentlichen Verkehrs und des Langsamverkehrs sicherstelle.

Frage des Wachstums

Marco Rupp (BVI), Gemeindepräsident von Ittigen und erfahrener Verkehrsplaner, ergänzt auf Anfrage, es sei «richtig und gewollt», dass es im Wankdorf mehr Verkehr gebe. Der grösste Teil des Wachstums sei Umlagerungsverkehr, der vor allem das regionale Strassennetz entlaste. Aus seiner Sicht seien die Resultate der Kosten-Nutzen-Studie weder überraschend noch erstaunlich. 

Entscheidend sei, dass es sich beim Wankdorf um den grössten wirtschaftlichen Entwicklungsschwerpunkt und wichtigsten Arbeitsplatzstandort des Kantons handle, für den eine kluge Engpassbeseitigung zentral sei. Gerade entstünden im Wankdorf Hunderttausende Quadratmeter neuer Nutzungsfläche.

Ohne Umgestaltung des Autobahnknotens und ohne flankierende Massnahmen drohe der zusätzliche Verkehr erst recht in Quartiere und Agglo-Gemeinden abzusickern. Gemäss Rupp berücksichtige das Rechnungsmodell für die Kosten-Nutzen-Analyse des Astra zudem Verbesserungen im ÖV-Angebot sowie beim Veloverkehr nur unzureichend.

Die Sicht betroffener Unternehmen

Direkt betroffen sind bereits ansässige Unternehmen im unmittelbar an den Anschluss Wankdorf angrenzenden Gewerbegebiet an der Gemeindegrenze zwischen Bern, Ostermundigen und Bolligen. So hat beispielsweise der Nutzfahrzeugverband Astag seinen Hauptsitz inklusive «Kompetenzzentrum für Auto und Transport» an der Wölflistrasse. Auf die Anfrage der «Hauptstadt» teilt Anna Lena Kaufmann, Leiterin Politik, mit: «Die Astag beurteilt den Ausbau des Nationalstrassennetzes als positiv und notwendig.»

Differenziert äussert sich Alexander Reinhard, Geschäftsleiter und Verwaltungsratspräsident der Bäckerei Reinhard, die eine Backstube in Bolligen und einen Gastrobetrieb an der Milchstrasse gleich neben dem Anschluss Wankdorf führt. «Als Unternehmen haben wir keine Präferenzen», hält er auf Anfrage fest, «wir haben jedoch auch keinen hohen Leidensdruck.» Man befinde sich in einer urbanen Agglomeration «und eine teilweise Überlastung der Infrastruktur erachten wir als üblich».

Reinhard versuche, mit guter Planung dem Pendelverkehr auszuweichen. So fänden die ersten Liefertouren vor 6 Uhr morgens und die weiteren Touren nach 8.30 Uhr statt. Aus eigener Beobachtung hat Alexander Reinhard den Eindruck, «dass selbst bei gefühlt grossem Verkehrsaufkommen und verstopfter Strasse die Wartezeit im Bereich Wankdorf nicht sehr lang ist».

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Diskussion

Unsere Etikette
Adrian Kim
23. April 2023 um 16:31

Die geplante Umgestaltung des Autobahnanschlusses Wankdorf ist notwendig. Es braucht dringend eine Entflechtung der Verkehrsströme. Um diesen Arbeits- und Freizeitverkehr zu reduzieren, könnte man sich auch überlegen, dass man neben/zwischen der Autobahnausfahrt und dem Bahnhof auch Wohnhochhäuser oder auch Mischnutzung (200m und höher) hochziehen würde. Natürlich müssten diese Hochhäuser von einer Parklandschaft umgeben sein. Somit hätte man kapazitätsstarke Anschlüsse für Auto/ÖV vor der Haustüre inklusive Freizeit und Arbeitsmöglichkeiten, ebenfalls vor der Haustüre. Es gibt kaum ein besserer Ort als Wankdorf dafür. Leider liegt der Bahnhof und die Autobahn meistens sehr weit auseinander. Würden diese Knoten übereinander liegen würde das den ÖV viel attraktiver werden lassen. Nicht das Auto ist das Problem, sondern das Fehlen der Möglichkeit mit dem ÖV von A nach B in einer Vernünftigen Zeit zu kommen, ohne ständig umsteigen zu müssen.

Kaspar Wyss
01. April 2023 um 09:49

Wenn die beschriebenen Effekte "richtig und gewollt" sind, warum hat sie dann das Bundesamt für Strassen nicht kommuniziert, sondern in der Schublade verschwinden lassen? Die Informationspolitik des ASTRA ist schlicht skandalös und eines Bundesamtes und einer Demokratie unwürdig! Die betroffene Bevölkerung im Nordquartier, die letztmals 2017 "einbezogen" (sprich: über die vollendeten Tatsachen informiert) wurde, wird schamlos an der Nase herumgeführt! Es wird Zeit, dass sich die Stadt gegen diesen haltlosen Zustand wehrt und dem ASTRA seine Grenzen aufzeigt.

L. Notter
01. April 2023 um 07:19

Wenn der Grossteil des "Nutzens" Zeitgewinn ist und dafür unsere Quartiere belastet werden mit Mehrverkehr, Unfällen, Feinstaub und Lärm, dann bin ich entschieden dagegen. Das man den Knotenpunkt mit besseren Verkehrsdosiersystemen ausrüsten könnte/sollte ist unbestritten, auch die Velo- und Fussgängersituation ist verbesserungswürdig, aber einen Kapazitätsausbau für den MIV darf es nicht geben. Mit 250MioCHF kann man Sinnvolleres anfangen.

Jörn Justiz
01. April 2023 um 06:02

Ist das ernst gemein?: „Positiv wirkt sich auch der Mehrverkehr aus (1,6 Millionen Franken), etwa, weil er zusätzliche Treibstoffsteuereinnahmen bringt.“ Also geht man hier davon aus, dass es insgesamt einen Nettozuwachs am motorisierten Verkehr geben wird. Angesichts des gerade erschienenen IPCC-Berichts und der verfehlten Klimaziele der Schweiz, gerade auch im Verkehrssektor, wirkt eine positive Bewertung dieses Anwachsens wie eine Parodie.