Kosten-Nutzen-Rechnung des 8-Spur-Ausbaus
Der Autobahn-Ausbau am Grauholz auf 8 Spuren polarisiert. Im Kern geht es um Wirtschaftsleistung gegen Klimaschutz. Der Bund hat dazu Berechnungen gemacht, die der «Hauptstadt» exklusiv vorliegen.
Seit das Bundesamt für Strassen (Astra) im September das Projekt für den Ausbau der A1 zwischen Schönbühl und Wankdorf von 6 auf 8 Spuren öffentlich aufgelegt hat, wird in Bern heftig über den Sinn des Autobahnausbaus diskutiert. 64 Einsprachen von Verbänden, Landwirt*innen, Anwohner*innen und Gemeinden sind beim Astra eingegangen. Ihre Bedenken deponierten neben der Stadt Bern auch die Gemeinden Zollikofen und Bolligen.
Befürworter*innen bei Bund und Kanton Bern argumentieren mit dem volkswirtschaftlichen Nutzen der Kapazitätserweiterung. Staus würden so reduziert. Die Gegner*innen stemmen sich gegen den Spurausbau, weil dieser Land verbrauche sowie durch den Mehrverkehr eine höhere Umweltbelastung bringe.
Was viele nicht wissen: Der Ausbau zwischen Schönbühl und Wankdorf ist politisch noch gar nicht unter Dach und Fach. Denn er ist Teil des sogenannten Ausbauschrittes 2023 im strategischen Entwicklungsprogramm der Nationalstrassen (STEP), über das die eidgenössischen Räte erst im kommenden Jahr befinden werden. Der Bundesrat will die Vorlage im März verabschieden. Zu diesem «Ausbauschritt 2023» gehören neben dem Grauholz auch der 6-Spur-Ausbau zwischen Schönbühl und Kirchberg sowie drei Autobahn-Tunnel in Basel, St. Gallen und Schaffhausen.
Die Autobahn A1 soll zwischen Schönbühl und Wankdorf von heute 6 auf neu 8 Spuren ausgebaut werden. So wollen es Bundesrat und Parlament. Beim Grauholz im Norden Berns entstünde der erste solch breite Autobahnabschnitt in der Schweiz. Für die 5,4 Kilometer lange Verbreiterung der Autobahn würden 13 Hektaren Land verbraucht, davon 3,7 Hektaren landwirtschaftlich wertvolle Fruchtfolgeflächen. Die meisten Brücken würden abgerissen und neu gebaut. Der Bau kostet rund 275 Millionen Franken. Den Unterhalt beziffert das Astra mit 155 Millionen Franken. Geplanter Baubeginn ist 2027 und der Bau dauert rund 6 Jahre.
Die Argumentation des Bundesamts für Strassen stellt auf Kosten-Nutzen-Analysen ab. Namentlich auf den rechnerisch ausgewiesenen volkswirtschaftlichen Nutzen, den insbesondere die durch den Autobahnausbau möglichen Reisezeitgewinne bringen würden.
Das Astra liess für all seine Projekte von spezialisierten Büros eine Kosten-Nutzen-Analyse machen. Aber wie sehen diese Zahlen aus? Die «Hauptstadt» wollte es genauer wissen und erhielt auf Anfrage einen bisher vertraulichen Schlussbericht zum strategischen Entwicklungsprogramm der Nationalstrassen. Und dieser enthält eine Kosten-Nutzen-Analyse für den geplanten 8-Spur-Ausbau Schönbühl-Wankdorf.
Bei der Kosten-Nutzen-Analyse für den Spurausbau am Grauholz stehen sich laut den Unterlagen ein jährlicher Nutzen von 83 Millionen Franken und jährliche Kosten von 44 Millionen Franken gegenüber.
Aus was besteht der Nutzen konkret? Den allergrössten Teil bringt mit 73,2 Millionen Franken die Verkürzung der Reisezeit. Dazu kommen im Bereich Verkehrsqualität knapp 10 Millionen dank erhöhter Zuverlässigkeit, tieferen Betriebskosten bei Fahrzeugen sowie einem «Nutzen durch Mehrverkehr». Letzteres macht die Kapazitätserhöhung möglich.
Der Ausbau hat gemäss den Berechnungen aber auch negative volkswirtschaftliche Auswirkungen. So etwa auf den öffentlichen Verkehr. Dort wird mit einem negativen Effekt in der Höhe von 32,1 Millionen Franken gerechnet. Gemeint sind damit insbesondere Einnahmeausfälle, weil die Leute zum Beispiel vom ÖV aufs Auto umsteigen. Dazu kommen Kosten in der Höhe von 0,8 Millionen Franken im Bereich Unfälle und Verkehrssicherheit und von 0,9 Millionen Franken für die polizeiliche Verkehrsregelung.
Auch die Umweltbelastungen schlagen in der volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Analyse negativ zu Buche. Einen Schaden von 7,6 Millionen Franken verursachen demnach Lärm- und Luftbelastung. Mit 0,1 Millionen Franken im Jahr wird die Flächenbeanspruchung veranschlagt. Und die Klimabelastung kostet gemäss der Berechnungen 2,3 Millionen Franken im Jahr.
Kürzlich ist die Einsprachefrist zum schweizweit einmaligen 8-Spur-Ausbau der Autobahn A1 beim Grauholz abgelaufen. Der Kanton begrüsst die Kapazitätserweiterung der A1 zwischen Schönbühl und der Verzweigung Wankdorf. Zahlreiche Gemeinden, aber auch Bauern und Verbände sind dagegen. Braucht es immer mehr Strassen? Was wären die Alternativen? Und was wird höher gewichtet: Der volkswirtschaftliche Nutzen durch Reisezeitgewinne oder der Klimaschutz?
Am Donnerstag, 1. Dezember um 19.30 Uhr, findet der dritte «Hauptsachen»-Talk, eine Kooperation zwischen der «Hauptstadt» und dem Kulturhaus Progr, statt.
Es diskutieren:
- Franziska Grossenbacher, Präsidentin VCS Region Bern, Vorstand Verein Spurwechsel, Gemeindeparlamentarierin Muri (Grüne)
- Christoph Neuhaus, Regierungsrat (SVP)
- Edi Westphale, Gemeinderat Zollikofen (GFL)
Moderation: Joël Widmer, Co-Redaktionsleiter «Hauptstadt»
Türöfffnung 19 Uhr, Aula im Progr, Waisenhausplatz 30, Bern
Der Kapazitätsausbau führt also durch den Mehrverkehr zu einer höheren Klimabelastung. Laut den Analysen des Astra würden mit einem Ausbau Autobahnabschnitte Wankdorf-Schönbühl und Schönbühl-Kirchberg aufgrund der höheren Kapazität jährlich zusätzlich 5'500 Tonnen CO2 ausgestossen. Diese Emissionen seien jedoch zum Teil auf Verlagerungen des Verkehrs von anderen Verkehrsachsen auf die A1 zurückzuführen, sie würden also anderswo entfallen, schreibt der Berner Regierungsrat in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage.
Doch was bedeutet der zusätzliche Ausstoss von Treibhausgasen für die Klimastrategie des Bundes? Die Kritiker*innen des Ausbaus monierten, in den Projektunterlagen des Astra zur öffentlichen Auflage finde sich dazu nichts.
In der übergeordneten Vorlage des Bundesrates stehen immerhin ein paar Sätze dazu. Im Vernehmlassungsbericht zum Ausbauschritt diskutiert der Bund die Klimaauswirkungen. Er sagt einerseits: «Im Jahr 2019 verursachte der Strassenverkehr rund 32 Prozent der CO2-Emissionen der Schweiz.» Entsprechend hoch sei der Handlungsbedarf in diesem Sektor. Ein paar Zeilen später schränkt er aber ein: «Die freie Wahl des Verkehrsmittels ist in der Schweiz unbestritten.»
Deshalb setze der Bundesrat zur Erreichung der Klimaziele im Verkehrsbereich primär auf die Elektrifizierung der Fahrzeugflotten, die weitere Verschärfung der CO2- Emissionsvorschriften für neue Personen- und Lieferwagen, die Weiterführung der Kompensationspflicht für Importeure fossiler Treibstoffe. Eine Verlagerung auf den öffentlichen Verkehr und den Veloverkehr sieht der Bund zwar grundsätzlich vor. Diese soll aber offensichtlich nicht über die Drosselung des Verkehrs auf den Autobahnen erreicht werden.
Ob diese Position Bestand hat, zeigt sich im kommenden Jahr in den Debatten in National- und Ständerat und wohl letztlich auch in einer Volksabstimmung. Denn: Wenn National- und Ständerat die Ausbauprojekte des Bundesrates gutheisssen, will die Verkehrsorganisation Umverkehr das Referendum gegen die Projekte des Ausbauschrittes 2023 und somit auch gegen den Ausbau am Wankdorf ergreifen. «Ein Autobahnausbau verunmöglicht es, das von Bundesrat und Parlament anvisierte Klimaziele von netto null bis 2050 zu erreichen», sagte Umverkehr-Co-Präsidentin und Nationalrätin (Grüne) Franziska Ryser kürzlich in den Tamedia-Zeitungen.