Europaplatz Spezial

Leben auf dem Europaplatz

Der Europaplatz vereint Durchgangsort, Einkaufsmeile und religiöse Stätten. Wer tummelt sich dort an einem Samstagnachmittag? Ein Augenschein vor Ort.

241019133302_lom
Skater Dominick präsentiert sein Skateboard. (Bild: Manuel Lopez)

Mehrere grosse Säulen säumen das Gelände, darüber führt eine Autobahn: Der Europaplatz wirkt brachial. Besonders an einem kalten Samstag. Die stark befahrene Freiburgstrasse unterstützt mit ihrem Verkehrslärm das Quietschen bremsender Züge. Kinder fahren auf Trottinetten umher, später werden sie von Skatern abgelöst. Menschen spazieren unter der Autobahnbrücke zu den Bahngleisen oder parkieren Velos und E-Scooters, um im Coop einzukaufen oder sich eine Take-Away-Pizza zu holen.

Wer sind die Menschen, die den Ort besuchen und beleben? Um das herauszufinden, hat die «Hauptstadt» den Nachmittag auf dem Platz verbracht und mit manchen seiner Besucher*innen gesprochen. Es zeigt sich: Der Europaplatz vereint unterschiedliche Welten.

Der Skater

Im hinteren Bereich des Platzes stehen die aufgestellten Skate-Installationen selten leer. Auch heute üben Skater dort Tricks oder bekleben ihr Bord mit Stickern. Aus mitgebrachten Boxen läuft Reggae. Wir treffen auf Dominick aus Solothurn. Er kommt regelmässig zum Skaten auf den Europaplatz.

Das Skaten sei eine gute Möglichkeit, Kollegen zu treffen und draussen zu sein. Es verbinde Freiheit, Kreativität und Bewegung. «Skate isch aues», sagt er. In Solothurn gäbe es dafür aber nicht so viele geeignete Orte. Gerade bei schlechtem Wetter sei ein gedeckter Platz  ideal, denn bei Regen kann nicht geskatet werden. Gedeckte Plätze gebe es aber nicht viele. Deshalb kommen Skater von ziemlich weit her an den Europaplatz. Dominick skatet schon seit über 20 Jahren. «Wir kommen schon, seit es ihn gibt», fügt er an und meint damit: Seit dem letzten Umbau im Jahr 2014.

Der Aktivist

Mit dem Grossprojekt «Entwicklungsschwerpunkt Ausserholligen» will die Stadt die Umgebung rund um den Europaplatz – und auch den Platz selbst –  erneut umgestalten. Mit verschiedenen Überbauungen will man mehr Wohnraum schaffen, ein neuer Campus der Berner Fachhochschule und Platz für Gewerbe und Kultur sollen gemäss Stadt den aktuellen Durchgangsort zu einem «lebendigen, vielfältigen urbanen Zentrum» entwickeln.

241019144057_lom
Patrick und sein Anti-Autobahn-Ausbau-Velo. (Bild: Manuel Lopez)

Patrick wohnt in Holligen und besucht den Europaplatz regelmässig zum Einkaufen. Dass der Platz ausgebaut werden soll, freut ihn nicht. «Im Gebäude hier nebenan wollen sie Cafés unterbringen und rundherum soll es eine Flanierfläche geben. Aber ich mag den Platz, so wie er ist», sagt er.

In erster Linie kommt Patrick für den Wocheneinkauf im Coop zum Europaplatz, meistens am Samstag. Früher sei das der Treffpunkt seiner Bekannten gewesen. Heute sei das anders. «Viele Leute gehen nun in den Voi, der näher an Holligen gelegen ist. Jetzt muss ich in beiden Läden einkaufen, um die Leute zu treffen», meint Patrick. Das habe aber auch seine positiven Seiten. Im Coop finde man nämlich nicht alles. Den Kürbis holt er sich an diesem Nachmittag deshalb im Voi.

Seine Einkäufe räumt Patrick in seinen einzigartigen Veloanhänger, auf dem eine schaurige Installation thront – das Verkehrsmonster. Es begleitet Patrick bei seinem Aktivismus gegen den geplanten Autobahnausbau. Er bringt das Monster auch zu Podien des Vereins Spurwechsel mit und verteilt Flyer. Mit Effekten, die Aufmerksamkeit wecken, will er den Abstimmungskampf vorantreiben: Rauchmaschine und integrierte Boombox mit Motorenlärm. Eine Frau habe ihn kürzlich darauf hingewiesen, dass der Lärm störe. «Das ist so – Verkehr lärmt und nervt», antwortete er.

Europaplatz Spezial
Die «Hauptstadt» am Europaplatz

Vom 21. bis 25. Oktober verlegt die «Hauptstadt» ihre Redaktion an den Europaplatz, genauer: ins Haus der Religionen, das in diesen Wochen sein 10-jähriges Jubiläum feiert. Was im Haus und im umliegenden Quartier gerade läuft, schauen wir uns in dieser Zeit an.

Die Zmörgelerin

Auch Judith wohnt in Holligen. Am Samstagnachmittag ist sie mit ihrem Kleinkind unterwegs, um die restlichen Zutaten für das Abendessen vom Sonntag einzukaufen. Normalerweise bestelle sie ihre Lebensmittel aber online, erzählt Judith. Im Coop holt sie nur, was noch fehlt.

241019140950_lom
Judith kauft online ein. Im Coop am Europaplatz holt sie, was noch fehlt. (Bild: Manuel Lopez)

Mit ihrer Familie geht Judith oft beim Pfisternbeck am Europaplatz «ga zmörgele». Dort stimme das Preis-Leistungs-Verhältnis in der Umgebung am besten. Manchmal gehe sie vom Platz aus auch auf den Zug, fügt Judith an, während sie ihr Velo-Schloss aufschliesst. Mit dem Haus der Religionen, das sich weiter oben am Europaplatz befindet, komme sie kaum in Kontakt.

Die Freundinnen

Die beiden Freundinnen Hanna und Antonia hingegen kennen das Haus der Religionen. Sie kommen gerade vom Brunch dort. Es gab eritreisches Essen. Während Hanna den einmal monatlich stattfindenden Brunch schon früher besucht hatte, war es für Antonia das erste Mal. Antonia kannte den Ort um den Europaplatz vorher nur vom Vorbeilaufen und Einkaufen, da sie mal in Bümpliz gewohnt hatte.

241019135242_lom (1)
Brunchten am Samstagmorgen im Haus der Religionen: Hanna und Antonia. (Bild: Manuel Lopez)

Die beiden Freundinnen sind nicht religiös, interessieren sich aber für das Haus der Religionen, das sie «mega cool» finden. Es sei ein spannender Ort, da er Raum für Dialog und unterschiedliche Lebensformen eröffne, erklären die beiden.

 Die Hochzeitsgäste 

Meera und Praveen aus Bern schnappen auf dem Europaplatz kurz frische Luft. Nachher gehen sie wieder rein an die Hochzeit, die im hinduistischen Tempel im Haus der Religionen stattfindet. Geheiratet hat die Tochter der Cousine von Praveen. Für die hinduistische Feier haben sich Meera und Praveen herausgeputzt. Die beiden sind selbst verheiratet. Meera trägt für die Feier einen Kura Sari – ihr eigenes Hochzeitskleid. Das sei gut für die Ehe, erklärt Meera. Je öfter man diesen Sari trage, desto stärker wirke der Segen des Priesters, den das Ehepaar während der Trauung erhielt. Praveen trägt einen Vetti, ein Feierkleid für den Mann.

241019151450_lom
Meera und Praveen im Sari und Vetti. (Bild: Manuel Lopez)

Die beiden waren zum ersten Mal im hinduistischen Tempel im Haus der Religionen. Sie praktizieren auch nicht beide den hinduistischen Glauben. Während Meera – wie ihre Familie – hinduistisch ist, bezeichnet sich Praveen als frei evangelisch gläubig. Für die beiden ist das kein Problem. In ihrem Haushalt findet sich die Bibel genauso selbstverständlich wie hinduistische Bilder an den Wänden. «Ich respektiere, dass er die Bibel liest, und ich mache dafür am Morgen meine Rituale», so Meera.

Auch die Hochzeitsfeier am Samstagnachmittag verbindet zwei Menschen mit unterschiedlichem Glauben. Der Bräutigam ist Kurde und gläubiger Muslim. Und die Braut Tamilin und Hindu. Normalerweise heirate man nur innerhalb des Glaubens, erklärt Praveen. Manche hinduistische Priester seien, wie bei dieser Feier, offener und würden ihren Segen auch für interreligiöse Hochzeiten geben. «Während die Generation unserer Eltern da noch streng war, ist unsere moderner», meint Praveen.

Die Bier-Trinker

Die  «Saanenräuber» überqueren den Platz in Richtung Weyermannshaus. Unter diesem Namen bestritten die Freunde aus der Berner Agglomeration in jungen Jahren gemeinsam Grümpelturniere. 

241019134311_lom
Unterwegs mit Bierglas und YB-Schal: Die «Saanenräuber». (Bild: Manuel Lopez)

Heute ist die Gruppe auf dem Berner Brauereispaziergang unterwegs: Ausgestattet mit einem Routenplan und einer Art Stempelkarte, gibt es für sie Bier-Tastings bei verschiedenen lokalen Brauereien. Seit 10 Uhr ziehen sie dafür durch Bern.

Den Europaplatz überqueren sie, um zur fünften von insgesamt sieben Stationen zu gelangen. An jeder Station gibt es 3 Deziliter Bier – plus Zuschlag und Verpflegung für die, die wollen. So trinken die Tourenden innerhalb von sechs Stunden gut 2,1 Liter Bier und sind entsprechend angeheitert. Sie freuen sich, denn im Anschluss an die Tour wollen die «Saanenräuber» direkt an den YB Match.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren