Ein Museum fürs Leben

Niederschwellige psychiatrische Angebote werden in Bern knapper. Die «Hauptstadt» gibt einen Überblick – inklusive einer Neueröffnung im ehemaligen Muubeeri-Bad.

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Die Welle ist dabei: Lea Malesevic, Jeannette Jakob und Nathalie Aubort, Initiantinnen des Living Museum Bern im ehemaligen Muubeeri-Bad. (Bild: Manuel Lopez)

Vor drei Wochen verkündeten die Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (UPD) sofortige Sparmassnahmen. Sie betreffen vor allem niederschwellige Angebote für Menschen, die nicht mehr oder noch nicht in stationärer psychiatrischer Behandlung sind: die Werkstatt Holzplatz, das Freizeitzentrum Metro oder das Recovery College Bern. Diese Angebote sind nicht nur therapeutisch, sondern auch sozial wertvoll. Recherchen der «Hauptstadt» zeigten, dass die Angebote zwar vorläufig weiterlaufen – wie lange, ist aber unklar.

Die Situation spitzt sich zu für Menschen, die in Bern auf Tagesstrukturen und Sozialkontakte angewiesen sind, damit ihre Erkrankung nicht schlimmer wird. Allerdings gibt es auch neue Initiativen, die diese Lücke zu schliessen versuchen.

Eine davon befindet sich an zentralster Lage in Bern, bloss fünf Minuten vom Bahnhof entfernt, im früheren Hallenbad Muubeeri – dort, wo das Kletterhallen-Unternehmen O’Bloc seit einem Monat als Zwischennutzung die neue Boulderhalle betreibt. Am kommenden Montag startet in zwei Räumen ein Projekt, das Laien auf den ersten Blick nicht mit Psychiatrie in Verbindung bringen: das Living Museum Bern.

Kooperation mit Boulderhalle

Lea Malesevic, Nathalie Aubort und Jeannette Jakob führen in den früheren Frauen-Ruheraum des Hallenbades, wo jetzt Farbtuben, Staffeleien, Nähmaschinen und gemütliche Sessel herumstehen und -liegen. Die drei sind – teilweise angehende – Kunsttherapeutinnen. Vor einem Jahr beschlossen sie, einen Versuch zu wagen: Sie wollen in Bern das aus den USA stammende Konzept des Living Museum umsetzen. 

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Fehlen nur noch die Näher*innen. Am Montag gehts los. (Bild: Manuel Lopez)

Es traf sich, dass die Boulderhalle nicht alle Räume des Muubeeri braucht. Weil Jeannette Jakob auch als Kletterinstruktorin tätig ist, bestand bereits eine Verbindung zu O’Bloc. So kamen die Living-Museum-Initiantinnen zu günstigen Mietkonditionen.

Und nun, mitten in der UPD-Sparrunde, kommt ihr Projekt wie gerufen.

«Wir wollen hier einen Raum schaffen, in dem kein Druck besteht», sagt Lea Malesevic. «Menschen sollen, unabhängig von Diagnose, Alter und ihrer Geschichte, künstlerisch tätig sein können. Umgeben von anderen Menschen und im Dialog mit der Öffentlichkeit.» Das sei die Grundidee, kurz zusammengefasst. Die entstandenen Werke können vor Ort ausgestellt werden. Wie in einem Museum. Aber eben einem, das sehr nahe am Leben ist.

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Farbenfreude. (Bild: Manuel Lopez)

Der Künstler und Psychologe Janos Marton entwickelte das Konzept vor 40 Jahren in New York als Teil eines psychiatrischen Zentrums. Künstlerische Tätigkeit kann Menschen helfen, sich von dem Selbstbild als psychisch kranke, nur beschränkt gesellschaftsfähige Person zu lösen und neue Kompetenzen zu entdecken – vorausgesetzt, es besteht nicht von vornherein der Druck, verkäufliche Werke zu schaffen. Wichtig an der Living-Museum-Idee ist das sozialpsychiatrische Verständnis, Menschen auch als soziale Wesen zu sehen und nicht nur als Individuen, die Diagnose und Medikation benötigen. Bis heute besuchen 100 Menschen täglich das kunsttherapeutische Angebot in New York.

Atelierplätze für 20 Menschen

Seit Jahren betreiben die Heimstätten Wil der Psychiatrie St. Gallen Kunstateliers nach dem Vorbild des Living Museums. Aus Wil kommt die Inspiration für Bern. Lea Malesevic und Nathalie Aubort absolvierten während ihrer Ausbildung dort ein Praktikum.

Die Berner Version des Living Museum stellt Atelierplätze für 20 Personen zur Verfügung. Der Zugang ist niederschwellig, weil das Living Museum Bern nicht an eine psychiatrische Institution angeschlossen ist. Es wird von einem privaten Verein betrieben. «Bei uns können sich auch Menschen anmelden, die keine Diagnose haben. Aber vielleicht unter Arbeitsstress leiden und einen geschützten Raum brauchen, um einer künstlerischen Tätigkeit nachzugehen», sagt Jeannette Jakob. 

Angeboten wird alles rund ums Malen, Nähen und Töpfern, zusätzlich haben die drei Initiantinnen im Untergeschoss einen Musikraum mit E-Piano und Rhythmusinstrumenten eingerichtet. Auch eine Zusammenarbeit mit der Boulderhalle ist eingefädelt. Nach Wunsch könne für die Atelier-Nutzer*innen ein Kletter-Morgen organisiert werden.

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Im Untergeschoss ist alles ready fürs Abrocken. (Bild: Manuel Lopez)

Ohnehin soll Living Museum die strike Trennung von gesund und krank durchbrechen. «Wir wollen Inklusion wirklich leben», sagt Nathalie Aubort. Die Gruppe werde sich sicher regelmässig im Bistro der Boulderhalle verpflegen. Und auch Hallen-Besucher*innen seien in den Atelierräumen jederzeit willkommen.

Vorläufig ehrenamtlich

Das Living Museum wird von Montag bis Freitag von 9 bis 12 Uhr und von 13 bis 16 Uhr geöffnet sein. Atelierplätze können in Halbtagen gebucht werden, telefonisch oder per Onlineformular. Für einen halben Tag verrechnen die Betreiberinnen 35 Franken. Wer wenig Geld hat, zahlt bloss 10 Franken.

Diese Preise machen klar, dass sich das Living Museum wirtschaftlich bei weitem nicht rechnet. Die Burgergemeinde unterstützt das Projekt seit Beginn finanziell. Trotzdem ist es mindestens vorläufig ein Freiwilligenprojekt. Die Betreiberinnen sowie ihre Mitarbeitenden – rund ein Dutzend, hauptsächlich Kunstschaffende sowie pädagogisch und therapeutisch Ausgebildete – engagieren sich ehrenamtlich. Die Ausstattung des Ateliers – Möbel, Instrumente, Nähmaschinen – stammt zum grössten Teil aus dem privaten Besitz der Initiantinnen oder wurde gespendet.

«Logisch, früher oder später möchten wir Löhne zahlen, damit unser Projekt langfristig stabil laufen kann», sagt Lea Malesevic. In dieser Pilotphase gehe es aber darum, das Konzept Living Museum bei Behandelnden, Behandelten und der Öffentlichkeit als tragfähiges niederschwelliges Angebot zu etablieren. Dass die Nachfrage besteht, daran haben die Initiant*innen keine Zweifel. Die Angebote würden bereits gebucht, noch bevor sie ihr Projekt breiter bekannt gemacht haben.

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Bereit, Kunst zu werden: das weisse Blatt an der Wand des Living Museum. (Bild: Manuel Lopez)

Und hier ein Überblick über weitere niederschwellige Angebote in Bern, die bei psychischen Problemen helfen können:

Im Notfall

Dargebotene Hand. Notruf 143 für Erwachsene, rund um die Uhr, auch über die Website erreichbar. Kostenloses Gesprächsangebot via Telefon, Chat oder E-Mail.

Pro Juventute. Notruf 147 für Jugendliche. Kostenloses Sorgentelefon (rund um die Uhr), auch über die Website erreichbar; Beratung per WhatsApp und Mail. Online- Chat mit gleichaltrigen Berater*innen, Mo, Di, Do, 19 bis 22 Uhr

Elternnotruf. Telefonberatung für Eltern in Überforderungssituationen, auch via Chat, E-Mail oder Videocall.  

Selbsthilfe

Selbsthilfe BE ist ein Verein, der sich für die gemeinschaftliche Selbsthilfe engagiert. Auf dieser Website findest du Selbsthilfegruppen und weitere nützliche Informationen.

Die Website psy.ch versammelt Adressen für Beratung, Selbsthilfe und Therapie im Kanton Bern. Der Online-Wegweiser für psychische Gesundheit ist in zehn Sprachen abrufbar.

Weiterbildung. Das Wort ensa bedeutet in der Sprache australischer Ureinwohner*innen Antwort. Ensa heisst die Institution, die das australische Programm Mental Health First Aid in der Schweiz umsetzt. Sie bietet Erste-Hilfe-Kurse an, die erwachsene Laien befähigen, Menschen mit psychischen Problemen beizustehen. Die Kurse, sofern sie nicht als Webinar geführt werden, finden teilweise im SRK-Bildungszentrum Zollikofen statt.

Prävention und Beratung

Reden kann retten: Website des Bundesamts für Gesundheit und der Zürcher Gesundheitsförderung zur Suizidprävention. Ursprünglich von den SBB aufgebaut. Verständliche Kurztexte zu persönlichen Krisen, für Betroffene und Angehörige, Überblick über Beratungsangebote.

Das internetbasierte Interventionsprogramm feel-ok.ch für Jugendliche in der Schweiz, Deutschland und Österreich versammelt verschiedene Online-Beratungsangebote. Stellt im Kanton Bern den Link zu den Fachpersonen von Berner Gesundheit her.  

Pro Mente Sana bietet diverse Beratungsformate an. Am Telefon oder in Online-Tools, für Betroffene und Nahestehende. 

Digitale Therapie

Unterstützung für die mentale Gesundheit gibt es von digitalen Therapeutika in Form von Apps auf dem Smartphone. In der Schweiz gibt es – im Unterschied etwa zu Deutschland – keine wissenschaftlich zertifizierte Liste mit nachweislich wirksamen Apps.

Als Wegweiser im Dschungel der digitalen Therapeuten hilfreich ist dieses kurze Video von Tobias Kowatsch, Professor an der Universität St. Gallen, der sich mit der Wirksamkeit von Mental-Health-Apps auseinandergesetzt hat.

Die Abteilung für klinische Psychologie und Psychotherapie der Universität Bern hat digitale Selbsthilfeprogramme darauf untersucht, was sie bewirken. Auf ihrer (leider nicht aktualisierten) Website findest du diverse getestete Programme. Darunter ein frei zugängliches zur Selbsthilfe bei Niedergeschlagenheit

Support

Kunst: Seit 20 Jahren stellt der Verein Kunstwerkstadt Waldau Kunstschaffenden mit Psychiatrieerfahrung einen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem sie sich künstlerisch frei entfalten können. Die Werke werden teilweise verkauft. In der Geschichte der Kunstwerkstatt fanden (neben der Schweiz und Europa) schon Ausstellungen in Indien, Japan oder China statt.

Musik: Der Gitarrist, Gitarrenlehrer und Musiktherapeut Fabian Müller arbeitet seit acht Jahren mit krisenerprobten Menschen in Gruppen- oder Einzelkursen. Die Musik-Gruppentherapie ist auch preislich sehr niederschwellig (36 Franken für 90 Minuten). Müllers Therapieangebot heisst Traummusik. Er ist eidgenössich diplomierter Kunsttherapeut, er arbeitet unter anderem an der Klinik Südhang und unterrichtet am Zentrum für medizinische Bildung Bern.

Theater: Der Kunsttherapeut, Autor und Theaterpädagoge Stephan Mathys führt im Theatersaal der Petruskirche Bern Theaterkurse für krisenerprobte Menschen durch. Der Kurs findet jeweils am Montag Nachmittag (15 bis 17 Uhr) statt, ein Einstieg ist jederzeit möglich. Auskünfte erhält man über die Mailadresse [email protected]. Mathys, der auch an der Klinik Südhang arbeitet, führt die Kurse gemeinsam mit der Pflegefachfrau und Theaterpädagogin Isabel Rüdisühli durch. 

Wohnen & Co: Das junge Unternehmen Klickplus in Münsingen bietet für junge Erwachsene mit psychischen Herausforderungen temporäre Unterstützung, etwa in Form von (teil)betreutem Wohnen oder bei der beruflichen Integration. Zudem findet mit Klicktalk einmal im Monat ein öffentlicher Abendkurs zu psychischer Gesundheit für Jugendliche und junge Erwachsene statt.

Übergang ins Berufsleben: Das Coachingangebot Schritt1 unterstützt junge Menschen zwischen 16 und 30 dabei, ihre individuellen Stärken, Ressourcen und Interessen zu erkennen und so ihren Handlungsspielraum zu erweitern. Angesiedelt im Generationenhaus der Burgergemeinde am Bahnhofplatz Bern.

Was fehlt? Gibt es weitere niederschwellige Angebote in der Region Bern, die auf diese Übersicht gehören? Hilf mit, die Liste zu komplettieren und teile uns niederschwellige Angebote, die du kennst, mit, per Mail an: [email protected]

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Diskussion

Unsere Etikette
Michael Lampart
15. Februar 2024 um 09:34

Vielen Dank für die Berichterstattung über diese initiativen und kreativen Frauen! Und für die Auflistung der niederschwelligen psychiatrischen Angebote. In Zeiten von Schneggs Eliminierungspolitik ein wahrer Mutmacher! Das gibt's nur in der Hauptstadt.