SVP-Angriff auf Rot-Grün
Drei statt nur zwei Kandidaturen für den Regierungsrat? In der Berner SVP wird der Plan, SP und Grünen einen Regierungssitz abzuluchsen, aktiv diskutiert.
Bei den letzten beiden Wahlen auf kantonaler Ebene war die SVP brav. Sie stellte jeweils zwei Kandidaten auf, um ihre zwei Sitze im Regierungsrat zu verteidigen. Aktuell besetzt Pierre Alain Schnegg für die SVP den Jura-Sitz und Christoph Neuhaus einen weiteren der sieben Regierungssitze. Neuhaus tritt auf die nächsten Wahlen hin ab. Schnegg hat sich öffentlich noch nicht festgelegt.
Bei den kantonalen Wahlen im März 2026 könnte die mit einem Wähler*innenanteil von 26 Prozent grösste Berner Partei ihre Zurückhaltung ablegen. Das wünscht sich der Stadtberner SVP-Grossrat Thomas Fuchs. Er formuliert folgenden Plan: «Wir sollten mit drei Kandidaten für den Regierungsrat antreten, denn die aktuelle Konstellation bietet die einmalige Chance, mit einem Fünfer-Ticket auch fünf Sitze zu holen.» Voraussetzung dafür sei, dass Pierre Alain Schnegg wieder antrete, wovon er derzeit ausgehe, sagt Fuchs.
Die Chance auf fünf bürgerliche Sitze sei gross, weil von Links-Grün mit Christine Häsler (Grüne) und Christoph Ammann (SP) zwei Bisherige nicht mehr antreten, sagt Fuchs. SP und Grüne werden folglich mit Evi Allemann (SP) und zwei Neuen antreten. «Wir wollen den Grünen und der SP einen ihrer drei Sitze abluchsen», so der Berner Grossrat.
Auch der allgemeine politische Trend spricht für die SVP. Bei kantonalen Wahlen erzielte die Partei zuletzt gute Ergebnisse, so etwa bei den Wahlen in Neuenburg. Zumal die bisher bekannten Kandidaten für den Regierungsrat etablierte Politgrössen sind: Mit dem Zollikofer Gemeindepräsidenten und Grossrat Daniel Bichsel sowie dem Thuner Stadtpräsidenten und Grossrat Raphael Lanz hat die SVP zwei geachtete Exekutivpolitiker am Start. Sie erinnern eher an die alte staatstragende Berner SVP, denn an den harten Rechtskurs der nationalen Partei. Die beiden haben also ein Wähler*innen-Potenzial, das deutlich über die SVP hinausgeht.
Fuchs sieht in den beiden «eine echte Auswahl». Im schlechtesten Fall für die SVP, werde dann einer der beiden nicht gewählt, sagt Fuchs. «Aber Angst um einen Verlust der bürgerlichen Mehrheit im Regierungsrat habe ich nicht.»
Beim Plan, mit drei SVP-Kandidaten und damit fünf bürgerlichen Kandidaturen anzutreten, müssten auch die FDP, die Mitte und die Wirtschaftsverbände, welche den Wahlkampf mitfinanzieren, mitziehen. Hat Fuchs keine Angst vor einem Zerwürfnis innerhalb des bürgerlichen Lagers? «Für unsere Partner sollten drei SVP-Kandidaten kein Problem sein, denn FDP und Mitte können mit Bisherigen antreten und sollten ihre Sitze so bestätigen.» Und auch bei den Wirtschaftsverbänden gebe es Stimmen, die ein bürgerliches Fünfer-Ticket begrüssen würden, so Fuchs.
Daniel Arn, der Präsident des Handels- und Industrievereins (HIV) und FDP-Grossrat, sagt dazu nur: «Die Wirtschaftsverbände streben an, die bürgerliche Mehrheit zu halten.» Weitergehende strategische Überlegungen seien für den HIV derzeit hypothetisch.
Ganz so entspannt, wie Fuchs die Sachlage darstellt, werden sie wohl nicht alle Partner*innen der SVP beurteilen.
Erinnerungen an die grosse Niederlage
Mit ein Grund dafür dürfte die grosse bürgerliche Niederlage von 2006 sein. Damals trat die bürgerliche Liste mit sechs Kandidat*innen an, vier davon von der SVP, zwei von der FDP. Diese Strategie wurde im Nachhinein als arrogant kritisiert, denn am Ende obsiegte Links-Grün. Mit Bernhard Pulver zogen damals die Grünen in den Regierungsrat ein, die SP holte den Jurasitz und brachte zwei weitere Kandidat*innen in die Regierung. Damit hielt die SP mit 24 Prozent Wähler*innenanteil 3 von 7 Regierungssitzen und Links-Grün die Mehrheit.
Einer der sieben Berner Regierungssitze ist für französischsprachige Kandidat*innen mit Wohnsitz im Berner Jura reserviert. Unter den in Frage kommenden Kandidat*innen wird das geometrische Mittel aus dem gesamtkantonalen und dem regionalen Wahlergebnis ermittelt, um den reservierten Sitz zu besetzen. Mit dieser Formel haben die bernjurasssichen Wähler*innenstimmen für die Besetzung dieses Sitzes mehr Gewicht.
Die aktuelle Ausgangslage ist für die Bürgerlichen aber weniger delikat als 2006. Damals galt es, den Jurasitz des abgetretenen Mario Annoni (FDP) mit einer neuen Kandidatin zu verteidigen. Annelise Vaucher (SVP) unterlag dabei Philippe Perrenoud (SP). Falls im kommenden Jahr Pierre Alain Schnegg nochmal antritt, gilt der Jurasitz für die SVP als gesichert. Und da Grüne und SP je einen Sitz mit neuen Kandidat*innen zu verteidigen haben, wären bei den Wahlen 2026 somit die Chancen für eine Links-Grüne Mehrheit verschwindend klein.
Öffentlich lanciert hatte die aktuelle Debatte um einen bürgerlichen Angriff Grossrat Adrian Spahr im Namen der Jungen SVP. Er schrieb vor ein paar Wochen auf der Plattform X, die Grünen hätten keinen Regierungsanspruch mehr. Es brauche nun ein bürgerliches Fünferticket.
Mittlerweile sprechen neben Fuchs und Spahr auch andere gewichtige Parteiexponenten offen über die Option. Nationalrat Lars Guggisberg, Mitglied der Geschäftsleitung der kantonalen Partei, sagt auf Anfrage: «Wenn Pierre Alain Schnegg nochmal antritt, sind drei SVP-Kandidaturen für den Regierungsrat sicher eine Überlegung wert.» Er verweist auf die Ära von 2006 bis 2016: «Damals hatte die SP mit einem deutlich tieferen Wähleranteil zehn Jahre lang drei Regierungsräte.» Die SVP solle sich derzeit also noch alle Optionen offenhalten.
Auch für den Riggisberger Nationalrat Hans Jörg Rüegsegger ist «eine bürgerliche Liste mit mehr als vier Kandidaten eine Überlegung wert». Mit Daniel Bichsel und Raphael Lanz habe die Partei zwei gute Kandidaten im Rennen, auch wenn er bedaure, dass derzeit keine Frau auf der Kandidatenliste sei. Rüegsegger selbst nimmt sich aus dem Rennen: «Ich trete nicht an, weil es privat, beruflich und politisch zu viele offene Punkte gibt, die gegen eine Kandidatur sprechen.»
Kandidat Daniel Bichsel will sich auf Anfrage nicht zur Anzahl der SVP-Kandidaturen äussern. Die Strategie sei Sache der Parteileitung und Teil der Absprache zwischen den bürgerlichen Parteien, sagt er.
Traktandum in den Parteigremien
Mit anderen gewichtigen Kandidaturen, als jenen von Bichsel und Lanz ist nicht mehr zu rechnen. Dennoch lässt sich Parteipräsident Manfred Bühler noch nicht in die Karten blicken: Die parteiinterne Diskussion laufe und man werde in den kommenden Monaten in Zusammenarbeit mit den anderen bürgerlichen Parteien die bestmögliche Strategie beschliessen. «Wir wollen eine bürgerliche Mehrheit mit genug SVP-Vertretern», sagt Bühler auf Anfrage sibyllinisch.
Gemäss Äusserungen involvierter Personen diskutiert die Parteileitung die Frage der Anzahl Kandidaturen nächste Woche. Im 40-köpfigen kantonalen Parteivorstand ist das Thema laut Grossrat Fuchs an der Sitzung vom 7. April traktandiert.
Ob die SVP von brav auf angriffig schalten kann, hängt letztlich massgeblich davon ab, ob Pierre Alain Schnegg 2026 nochmal antritt. Laut seinem Sprecher hat er sich dazu auch in seiner Direktion noch nicht geäussert.