Die Neuerfindung des GrüBü

Von Natalie Imboden, seit wenigen Wochen Nationalrätin, hängt viel ab, wenn das linke Grüne Bündnis seine aussergewöhnliche Rolle in der Berner Politik halten will. Schafft das GrüBü den Generationenwechsel?

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Bezeichnet sich selber als klassische Wassermelone – aussen grün, innen rot: Nationalrätin Natalie Imboden, Grünes Bündnis. (Bild: Manuel Lopez)

Natalie Imboden (51) steht auf der Dachterrasse des Holligerhofs 8. Es geht ein frischer Westwind, man sieht hinunter auf den Güterbahnhof und auf die hochpräzise Manövrierarbeit der Kranführer, die auf der Grossbaustelle der Wohnüberbauung auf dem Areal der ehemaligen Kehrichtverwertungsanlage schwere Baumaterialien wie federleichte Legosteine verschieben. Imboden ist mit ihrer Familie unlängst in das frühere Lagerhaus eingezogen, das die Genossenschaft Warmbächli zu einem grossen Wohnblock umgebaut hat. Was sie vom Flachdach aus sieht, entspricht ihrem Lebensstil, der mit ihrem politischen Credo übereinstimmt: eine Stadt, die sich verändert, die in Bewegung ist, die etwas wagt.

«Im Stadtrat kann man die Welt nicht neu erfinden, es bewegt sich nur etwas, wenn es Druck von aussen gibt.» Das sagte die gebürtige Walliserin im Januar 2001, als sie, nach einem ersten, erfolglosen Versuch, als neu gewählte Stadträtin in der institutionellen Politik ankam. Seither ist Natalie Imboden – mit Ausnahme einer Auszeit 2011 infolge eines Konfliktes an ihrer damaligen Arbeitsstelle bei der Gewerkschaft Unia – der Berner Politik nie mehr abhanden gekommen. Sie übernahm von Beginn weg das Fraktionspräsidium des Grünen Bündnisses – offizielle Abkürzung: GB; inoffizieller Polit-Slang: GrüBü – im Stadtparlament. 

Als sie 2010 in den Grossen Rat wechselte, verliess die langjährige Aktivistin den Stadtrat mit dem Attribut der rot-grünen Chefideologin. 2007 hatte Imboden mit einem Vorstoss für die Abschaffung der Männchen-Piktogramme bei den Fussgänger*innen-Ampeln nationale Aufmerksamkeit erregt. Allerdings zog sie den Vorstoss später zurück, weil sie damals dann doch fand, mit diesem Gender-Thema im polarisierten Stadtrat zu früh unterwegs gewesen zu sein.

Aussen grün, innen rot

«Ich war und bin eine klassische Wassermelone», sagt Imboden jetzt, im neuen inklusiven Restaurant Dock 8 im Erdgeschoss des Warmbächli-Wohnblocks: aussen grün und innen rot. «Ökologische Politik, die nicht sozial ist, richtet sich gegen Schwächere», sagt sie. Logisch, dass sie im bürgerlich dominierten Grossen Rat mit dieser Haltung stets im Gegenwind segelte.

Aber es ist, als hätte der konservative Berner Granit die politische Energie und Ausdauer der für ihr Geschichtsstudium in die «Üsserschwiiz» ausgewanderten Berglerin erst recht geweckt: «Schlimmeres verhindern, das ist, was man tun kann», formuliert sie ihren kantonspolitischen Anspruch, der ihre Stärken zum Ausdruck bringt: Sie ist hartnäckig und bis zur Schmerzgrenze engagiert, aber nicht verbissen – zumal sie auch mit politischen Gegner*innen selbst nach hitzigen Debatten gerne ein Bier trinkt. 

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Bis zur Schmerzgrenze engagiert, aber nicht verbissen: Debattiererin Imboden. (Bild: Manuel Lopez)

Natalie Imboden übernahm – zuerst in Arbeitsteilung mit Jan Remund, später alleine – das Präsidium der Grünen Kanton Bern, beruflich wechselte sie 2018 als Generalsekretärin zum schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverband. Sie wurde zur politischen Referenzfigur für rot-grüne Schadensminderung im Kanton Bern, die richtige Erfolgserlebnisse an einer Hand abzählen kann. Als politisches Lehrstück empfindet es Imboden, dass es dem grünen Erziehungsdirektor Bernhard Pulver mit «einen cleveren Schachzug» 2012 gelang, ein flächendeckendes Angebot von Tagesschulen im revidierten Volksschulgesetz zu verankern: Gemeinden müssen eine Tagesschule dann anbieten, wenn eine Nachfrage von mindestens zehn Kindern besteht.

Einst Ideologin, jetzt Pragmatikerin?

Bei den Kantonswahlen Ende März 2022 gehörte Imboden als brillant wiedergewählte Leaderin der Grünen zu den grossen Siegerinnen. Zudem holte sie sich gemäss Berechnungen von «Tamedia» sogar den Titel der Panaschierkönigin im Wahlkreis Bern – sie war also diejenige Person, die sich am meisten Stimmen von Wählenden anderer Parteien holte. Ist aus der schrillen Ideologin von einst eine kompromissbereite, ruhige Pragmatikerin geworden, die mit einem Auge stets nach Wahlerfolg und Macht schielt?

Natalie Imboden winkt ab. «Ich weiss, wie es ist, nicht gewählt zu werden und Wahlniederlagen erklären zu müssen», sagt sie. Sie hebe jetzt bestimmt nicht ab und verliere die Realität der Berner Machtverhältnisse aus den Augen. Die Grünen kommen im Kanton auf einen Wähler*innenanteil von 13 Prozent, und es bringe letztlich nicht viel, ein paar Sitze auf Kosten der SP dazuzugewinnen. So lange sich Rot-Grün so klar in der Minderheit befinde, bleibe nichts anderes übrig, als sich mit der Mitte über mehrheitsfähige Anliegen abzustimmen.

Sie sei mit der Klimajugend einig, dass es klima- und verkehrspolitisch «klar zu langsam vorwärts geht», sagt Imboden – allerdings nicht nur im Kanton, sondern auch in der seit bald 30 Jahren rot-grün regierten Stadt Bern, deren klimapolitische Bilanz «alles andere als berauschend ist».

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Gemeinderatskandidatin in spe Natalie Imboden? Nicht unbedingt. Aber auch nicht ausgeschlossen. (Bild: Manuel Lopez)

Sie glaubt zwar, dass die Zeit für die Grünen arbeitet. Die Zukunft des Verbrennungsmotors sei definitiv vorbei, und der Widerstand gegen grosse Strassenprojekte wie etwa den Umbau des Autobahnzubringers Wankdorf oder die Umfahrung in Aarwangen, die in der laufenden Sommersession vom Grossen Rat behandelt wird, wachse. «Ich weiss nicht, ob das Momentum schon jetzt auf unsere Seite kippt». Aber dass in Aarwangen etwa Landwirte den Widerstand mittrügen und auch einzelne Bürgerliche zu wanken beginnen, interpretiert sie als Anzeichen dafür, «dass sich auch in Bern wirklich langsam etwas bewegt».

Generationenwechsel beim GrüBü

Ausgerechnet jetzt allerdings hat Natalie Imboden die Kantonspolitik verlassen: Sie sitzt seit wenigen Wochen für die zurückgetretene Regula Rytz im Nationalrat und stellt auch ihr Amt als Präsidentin der Berner Grünen zur Verfügung. War es das mit der Lokalpolitikerin Natalie Imboden? So richtig vorstellen kann man es sich nicht.

Imboden selber sagt, sie wolle für sich zuerst sehen, wie sehr es ihr bei der nationalen Politik den Ärmel hineinziehe – und lässt damit die Option offen, auf die lokale Bühne zurückzukehren. Tatsache ist, dass dem Grünen Bündnis in den nächsten Monaten wichtige personalpolitische Weichenstellungen vornehmen muss. Neben der aus dem Nationalrat zurückgetretenen Regula Rytz hat auch die Stadtberner Gemeinderätin Franziska Teuscher klargemacht, dass sie 2024 nicht noch einmal kandidieren wird. Das heisst: Dem Grünen Bündnis steht ein Generationenwechsel bevor, bei dem sich die Frage stellt, wie die grüne Bewegungspartei ihre aussergewöhnliche Erfolgsgeschichte fortschreiben will.

 

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Der anstehende Generationenwechsel beim GrüBü: Eine Präzisionsbaustelle – wie man sie von der Dachterrasse des Hauses sehen kann, in dem Natalie Imboden wohnt. (Bild: Manuel Lopez)

Am 3. Juni 1987 wurde das Grüne Bündnis in der Inneren Enge als Verbund von Marxist*innen, Dritt-Welt-Bewegten, Feministinnen und Öko-Bewegten gegründet, und am 6. Dezember 1992 gelang der Alternativen-Gruppe der grosse Coup: Sie schaffte es mit der Gewerkschafterin Therese Frösch in die erste rot-grüne Stadtregierung. Und blieb bis heute dort.

Es gibt zwar auch in anderen Städten linksgrüne Gruppierungen – etwa BastA! in Basel oder die Alternative Linke in Zürich. Machtpolitisch spielen sie eine Nebenrolle. Im Vergleich dazu ist das Berner GB ein nationaler Sonderfall: Die linksgrüne Bewegung ist seit 30 Jahren fixer Bestandteil der Stadtregierung und hinter der (allerdings doppelt so grossen) SP zweitstärkste politische Kraft. Auf kantonaler Ebene ist das GB zwar Teil der Grünen – aber auch hier ist der Einfluss mit Noch-Kantonalpräsidentin Imboden und den Nationalrätinnen Imboden und Aline Trede überproportional.

Imboden, Ruch oder….?

Wichtiges Puzzlestück in der Erfolgsgeschichte des Grünen Bündnisses: die smarte Personalpolitik mit den Gemeinderätinnen Frösch, Rytz und Teuscher. Die grosse Frage lautet, ob es dem GrüBü gelingt, diesen Lauf fortzusetzen und 2024 mit dem Rot-Grün-Mitte-Bündnis den Gemeinderatssitz zu verteidigen. Ein klarer Fall für die omnipräsente Natalie Imboden? Nicht unbedingt, meint sie selber.

Selbstverständlich interessiere sie das Amt grundsätzlich, sagt sie, aber «für mich ist es für einen Entscheid noch zu früh». Sie sei aber unbesorgt, da im GB zahlreiche fähige denkbare Kandidatinnen bereitstünden – Rahel Ruch zum Beispiel, die langjährige Stadträtin, die für Natalie Imboden eben in den Grossen Rat nachgerutscht ist. Ruch (35) war unter anderem zuständig für die Kampagne der Konzernverantwortungsinitiative, die 2020 in der Volksabstimmung nur knapp am Ständemehr scheiterte.

Auf Anfrage bestätigt Ruch grundsätzliches Interesse an einer Gemeinderatskandidatur, allerdings laufe die Diskussion GB-intern eben erst an, das Reifen definitiver Entscheide brauche noch Zeit. Und abgesehen davon: Mit den Nationalrätinnen Trede und Imboden sowie den langjährigen Stadträtinnen Lea Bill, Ursina Anderegg oder Regula Bühlmann gebe es weitere Politikerinnen, die einem Gemeinderatsamt laut Ruch gewachsen wären.

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Erneuerungsdruck von der Klimajugend? Natalie Imboden, Schlüsselfigur des Grünen Bündnisses. (Bild: Manuel Lopez)

Aus der Sicht der GB-Strateg*innen dürfte die grosse Frage sein, mit wem und mit wieviel Erneuerung ein Wahlkampf im Herbst 2024 erfolgreich zu bestreiten ist, wenn die Bürgerlichen erneut versuchen werden, Rot-Grün einen der vier Sitze abspenstig zu machen. Obschon das GrüBü zum Stadtberner Regierungsinventar gehört, kann es bei einem Wähler*innenanteil von rund 12 Prozent passieren, dass der Gemeinderatssitz verloren geht. Jelena Filipovic (30), GB-Geschäftsführerin und Stadträtin, wirft angesichts dieser Ausgangslage auf Anfrage einen Gedanken auf, den das Grüne Bündnis erst noch vertiefen müsse, wie sie festhält. Was sie meint: 2022 legten die Grünen in der Stadt Zürich mit dem 24-jährigen Klimaaktivisten Dominik Waser einen fulminanten Wahlkampf hin, der nur knapp an einem Regierungssitz vorbeiführte. Hätte eine von Waser inspirierte Kampagne das Potenzial, in der Stadtberner Politik Furore zu machen?

Filipovic, selber eine Klimaaktivistin, die nun auch in den Institutionen politisiert, findet es wichtig, dass die etablierte Politik mit neuen Perspektiven herausgefordert wird. Eigentlich ist das die klassische Rolle des Grünen Bündnisses: «Es bewegt sich nur etwas, wenn es Druck von aussen gibt», sagte Natalie Imboden vor 20 Jahren, als sie im Stadtrat auftauchte. Wird der Druck 2024 von der Klimajugend kommen und das GrüBü zu einer Kandidatin herausfordern, deren Namen jetzt noch niemand kennt?

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Diskussion

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Christoph Staub
09. Juni 2022 um 10:47

Danke! Mit solchen Artikeln zeigt die "Hauptstadt", wie wichtig eine Alternative zu Tamedia ist.