Gegenwind aus unerwarteter Richtung

Letztes Jahr am Internationalen Frauentag wurde die Initiative zur Individualbesteuerung lanciert. Sie will mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt bringen, indem die Besteuerung unabhängig vom Zivilstand wird. Die Unterschriftensammlung läuft harziger als angenommen, weil ausgerechnet grüne Politiker*innen Vorbehalte haben.

Bild von einer frisch gestrichenen Wand mit einem Graffiti mit dem Text «Wir Frauen bilden Banden!», davor ein glänzend neuer Mercedes Benz.
Frauenförderung ist gut, aber wo soll man ansetzen? Darüber sind sich links und rechts nicht einig. (Bild: Pia Zibulski)

Florence Schmid, Berner FDP/JF-Stadträtin, ist guter Dinge. Vor knapp zwei Wochen hat die Individualbesteuerung auf nationaler Ebene eine weitere Hürde genommen: Nach der ständerätlichen Kommission hat auch die zuständige Kommission des Nationalrats Ja gesagt zu einer Individualbesteuerung auf nationaler Ebene.

Das heisst, die Chancen stehen gut, dass Ehepaare in Zukunft bei der Bundessteuer nicht mehr gemeinsam veranlagt werden, sondern individuell. Die Frage ist eigentlich nur noch, welches Modell zur Umsetzung vorgeschlagen wird und wie stark beispielsweise Familien mit Kindern steuerlich entlastet werden. Und, aber dazu kommen wir später, ob das Vorhaben haushaltsneutral umgesetzt wird oder zu Steuerausfällen führt.

Alles gut also? Die Heiratsstrafe, die verheiratete Paare gegenüber unverheirateten benachteiligt, endlich ausgemerzt?

Was ist die Heiratsstrafe?

Mit dem politischen Schlagwort «Heiratsstrafe» wird kritisiert, dass verheiratete unter gewissen Umständen steuerlich schlechter gestellt sind als unverheiratete Paare. Das betrifft vor allem gut verdienende Paare, bei denen beide Partner*innen ähnlich hohe Einkommen haben.

Nein, sagt die angehende Steuerexpertin Florence Schmid. Die Initiative zur Individualbesteuerung, letztes Jahr am Internationalen Frauentag lanciert von den beiden Berner FDP-Politikerinnen Christa Markwalder und Barbara Freiburghaus und getragen von einem überparteilichen Komitee, sei damit ganz und gar nicht hinfällig. Denn von den Bundessteuern betroffen sei nur eine Minderheit der Steuerzahler*innen. «Wichtig ist uns die Kantonsebene, und dort gibt es nach wie vor keine einheitlichen Regeln», sagt Schmid, die Vorstandsmitglied im Trägerverein ist.

Ausgeprägte Heiratsstrafe im Kanton Bern

Während einige Kantone, wie zum Beispiel der Kanton Aargau, Ehepaare gegenüber Unverheirateten bevorzugen, indem das verdiente Einkommen einfach durch zwei geteilt wird - egal, ob beide gleich viel gearbeitet haben oder nur eine Person zum Erwerbseinkommen beiträgt (Fachbegriff: Splitting), gewähren andere Kantone Ehepaaren nur geringe Abzüge.

Zu ihnen gehört auch der Kanton Bern, wo es einen Zweiverdienerabzug gibt, dessen Höchstwert bei nur 9300 Franken pro Jahr liegt. Damit ist die Heiratsstrafe im Kanton Bern sehr ausgeprägt. Wird die Initiative dereinst angenommen, wird die Individualbesteuerung in der Verfassung festgelegt und muss somit auf allen Ebenen, auch der kantonalen, umgesetzt werden.

«Ich habe die Initiative noch nicht unterschrieben und werde das auch nicht tun.»

Natalie Imboden, Grüne

Die Initiantinnen sammeln weiter. Über zwei Drittel der angepeilten 120’000 Unterschriften hat das überparteiliche Komitee zusammen - es bleibt ein halbes Jahr Zeit. Und doch läuft es etwas harziger als gedacht. Allenfalls auch, weil von einem Teil der linken Seite Gegenwind kommt. «Ich habe die Initiative noch nicht unterschrieben und werde das auch nicht tun», sagt Grossrätin Natalie Imboden (Grüne). Sie finde das Anliegen im Grundsatz richtig. «Doch es fehlen Leitplanken.»

Der Initiativtext sei so vage, dass dadurch auch grössere Steuerausfälle möglich seien. «Und wir alle wissen, dass dann soziale Anliegen, die einen Ausbau nötig hätten, gebremst würden.» Imboden denkt dabei an mehr Geld für Care-Arbeit, für Kinderbetreuung, für Pflege. Bereiche, die typischerweise Frauen betreffen.

Und die Kinderbetreuung?

Florence Schmid hingegen sagt, die Initiative sei keine verkappte Steuersenkung. «Unser Ziel ist es einfach, eine zivilstandsunabhängige Besteuerung und damit mehr Frauen im Arbeitsmarkt zu haben», betont sie. Wie genau die Vorlage umgesetzt wird, sei dabei zweitrangig. Und ausserdem würden mehr Frauen im Arbeitsmarkt ja auch mehr Steuereinnahmen bedeuten.

Auch Schmid findet, dass die Kinderbetreuung beim Entscheid der Frauen, am Arbeitsmarkt teilzunehmen, das grössere Problem sei als die Heiratsstrafe. «Aber auch ein viel heikleres Problem», sagt Schmid. Es gehe dort um Lebensmodelle, es sei eine ideologische und nicht zuletzt eine Generationenfrage. Die Problem mit der Heiratsstrafe zu lösen sei hingegen einfacher, weil unbestrittener.

«Frauen und Männer in meinem Alter - egal aus welchem politischen Lager - sind alle dafür.»

Florence Schmid, FDP/JF

Florence Schmid ist zuversichtlich, dass die nötigen Unterschriften auch ohne grosse Unterstützung von linker Seite zustandekommen. Gerade der Jungfreisinn stehe viel auf der Strasse, um für das Anliegen zu werben. Vielleicht sei es eine Generationenfrage, meint die 31-Jährige dann. «Frauen und Männer in meinem Alter - egal aus welchem politischen Lager - sind alle dafür.»

Auch die Linke steht auf der Strasse - und wirbt für ein anderes Anliegen, das Frauen zugute kommen soll: Am heutigen Frauentag wird die Kita-Initiative der SP lanciert. Sie will den Anspruch auf genügende und bezahlbare Kinderbetreuung in der Verfassung verankern.

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren