Keine Chance, kleine Hoffnung

Die Iranerin Shadi Momeni aus Mittelhäusern musste nach Ablehnung des Asylgesuchs ihrer Familie die Lehre in einem Demenzheim abbrechen. Nun wartet ein Leben in der Nothilfe. Doch es regt sich Solidarität.

Farshad (Vater), Shariar (Sohn) und Shadi (Tochter) Momeni kaempfen fuer ihr Bleiberecht in der Schweiz. Fotografiert fuer die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
Dürften nicht mehr in der Schweiz sein, können nicht in den Iran: Naser, Shahriar und Shadi Momeni. (Bild: Christine Strub)

Erst seit drei Jahren lebt Shadi Momeni in der Schweiz, doch sie spricht einwandfrei Deutsch. «Ich vermisse die alten Menschen sehr, die ich im Demenzheim in Huttwil pflegte», sagt sie, «ich werde traurig, wenn ich darüber rede.» Die 24-jährige Iranerin sitzt mit ihrem Vater Naser und ihrem Bruder Shahriar (23) am Tisch in einer Wohnung an der Dorfstrasse von Mittelhäusern (Köniz), in der die Familie seit Sommer 2023 lebt. Das Schweizerische Rote Kreuz wies der asylsuchenden Familie die Wohnung zu, weil die zuständigen kantonalen Behörden die Unterbringung in einer Kollektivunterkunft als nicht mehr zumutbar beurteilten.

Im Frühjahr 2022 flohen die drei aus Teheran in die Schweiz, blieben und stellten ein Asylgesuch. «Wenn man – wie wir – politisch gegen das Regime aktiv ist», sagt Shahriar Momeni, ebenfalls in gutem Deutsch, «muss man in Iran stets damit rechnen, verhaftet zu werden.» Das Risiko, im Land zu bleiben, sei zu gross geworden. Mehrere Verwandte der Familie seien als Oppositionelle bekannt und teilweise bereits emigriert.

«Ich musste mich in der Schweiz erst daran gewöhnen, dass ich keine Angst haben muss, wenn ich die Polizei sehe», sagt Shadi Momeni. Als Frau könne sie in Teheran nicht selber entscheiden, in welchen Kleidern sie aus dem Haus gehe.

Die Pläne

Ihr Bruder Shahriar absolviert die zweisemestrige Hochschulvorbereitung für geflüchtete Studierende an der Universität Bern. Sein Plan ist es, im Herbst sein im Iran begonnenes Studium in Betriebswirtschaft fortzusetzen. Vater Naser arbeitet als Freiwilliger im Dorfladen von Mittelhäusern.

Shadi Momeni wollte im Iran Sport studieren. In der Schweiz trat sie im Sommer 2024 nach einem Praktikum eine dreijährige Lehre als Fachperson Gesundheit im Haus für demenzkranke Menschen Oberi Bäch in Huttwil an. «Shadi war vom ersten Tag an lernbereit, teamfähig und empathisch. Ihre Fähigkeit, zu unseren Patient*innen eine Verbindung aufzubauen, ist aussergewöhnlich», sagt Christine Rothenbühler, Ausbildungsverantwortliche bei Oberi Bäch.

Die Anstellung von Shadi sei ein Glücksfall gewesen, denn in der Langzeitpflege für demenzkranke Menschen herrsche akuter Fachkräftemangel, sagt Rothenbühler. Shadi Momeni schreckte auch der fast zweistündige Weg nach Huttwil nicht ab, mit der Lehre ihre Chance zu packen.

Nun sind diese Pläne abrupt gestoppt worden.

Die Ablehnung

Ihre Asylgesuche wurden Anfang März 2025 nach einem Rekurs vom Bundesverwaltungsgericht rechtsgültig abgewiesen. Die schweizerischen Behörden beurteilen die Gefährdung der Familie im Iran als zu wenig bewiesen, weshalb ihr eine Rückkehr zuzumuten sei – trotz der angespannten Menschenrechtslage.

Das heisst: Momenis werden ausgewiesen. Weil die Schweiz kein Rückübernahmeabkommen mit dem Iran hat, können sie aber nicht zwangsweise ausgeschafft werden.

Sie sind in einer ausweglosen Situation: Sie dürften nicht mehr in der Schweiz sein. Aber sie können nirgendwo anders hingehen.

Farshad (Vater), Shariar (Sohn) und Shadi (Tochter) Momeni kaempfen fuer ihr Bleiberecht in der Schweiz. Fotografiert fuer die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
«Schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen»: Shahriar Momeni. (Bild: Christine Strub)

«Wir sind durch das autoritäre Regime im Iran schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt», sagt Shahriar Momeni. «Wir reden von systematischen Repressionen, willkürlichen Hinrichtungen, Inhaftierungen, Folter.» Aus Angst davor hätten sie in der Schweiz Schutz gesucht. Und deshalb sei eine freiwillige Rückkehr für sie keine Option – obschon die Mutter der Kinder und Frau von Naser nach wie vor im Iran lebt.

Die Nothilfe

Das definitive Nein zum Asylgesuch bedeutet für Naser, Shahriar und Shadi Momeni: Ab dem 1. Mai läuft ihr Recht aus, in der Wohnung in Mittelhäusern zu leben. Sie erhalten nur noch Nothilfe. Es handelt sich dabei um das grundrechtlich garantierte Minimum, das die Schweiz allen hier lebenden Menschen zugestehen muss: Eine Unterkunft, die obligatorische Krankenversicherung sowie rund 10 Franken pro Tag, die für Essen, Kleidung, Hygiene, Fortbewegung und alles andere reichen müssen.

Wobei der Nothilfe-Betrag für die Lebenskosten um gut zwei Drittel unter dem in der Schweiz von der Fachkonferenz definierten Existenzminimum für die Sozialhilfe liegt. Was in der Nothilfe besonders einschneidend hinzukommt: Es gilt ein striktes Arbeitsverbot. Auch Integrations- und Beschäftigungsangebote gibt es nicht. Die Betroffenen haben keine Chance, selber für ihre Lebenskosten aufzukommen.

Untergebracht werden Menschen in der Nothilfe im Kanton Bern normalerweise in Rückkehrzentren. Dort gibt es deutlich weniger Platz als in regulären Asylunterkünften. Das Leben soll so unangenehm sein, dass Menschen möglichst dazu gedrängt werden, doch freiwillig auszureisen. Die Realität ist aber: Viele Geflüchtete kehren wegen  der prekären Lage in ihrem Land trotz der harten Bedingungen der Schweizer Nothilfe nicht freiwillig zurück. So bleiben viele von ihnen jahrelang in diesem perspektivelosen Regime.

Aktuell leben in der Schweiz laut dem Staatssekretariat für Migration rund 4000 Personen in der Nothilfe. Allein im Kanton Bern sind es gemäss dem Amt für Bevölkerungsdienste (Abev) zurzeit 651 Personen – 120 Personen mehr als Ende 2024. Der Kanton Bern betreibt sechs Rückkehrzentren (Aarwangen, Bellelay, Gampelen, Enggistein, Konolfingen sowie eine unterirdische Unterkunft in Bern-Brünnen).

Der Iran

Was es heisst, im Nothilferegime zu leben, weiss Firoozeh Miyandar aus eigener Erfahrung. Die Iranerin lebt seit rund einem Jahr mit ihrem Ehemann und ihrem elfjährigen Sohn im Rückkehrzentrum Aarwangen. Die «Hauptstadt» hatte sie im vergangenen Herbst dort besucht und ihre Geschichte erzählt.

«Es ist ein sehr schwieriges Leben», sagt sie jetzt am Telefon. Miyandar gehört einer religiösen Minderheit im Iran an. Der iranische Geheimdienst bedrohte sie laut ihrer Schilderung und drang in ihre gut gehende Praxis für Physiotherapie in der Stadt Azna ein. Trotzdem lehnten die Behörden ihr Asylgesuch ab wegen zu wenig bewiesener Bedrohung.

«Iran ist ein Gefängnis unter offenem Himmel», sagt Firoozeh Miyandar, «dorthin kann niemand zurückkehren.» Der Menschenrechtskommissar der UNO und die Organisation Amnesty International haben in den letzten Wochen dargelegt, wie dramatisch die Lage im Iran ist. Die Zahl der Hinrichtungen hat erneut zugenommen auf fast 1000 im Jahr 2024.

Farshad (Vater), Shariar (Sohn) und Shadi (Tochter) Momeni kaempfen fuer ihr Bleiberecht in der Schweiz. Fotografiert fuer die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
Grosse Solidarität für Naser, Shadi und Shahriar Momeni. (Bild: Christine Strub)

Trotzdem ist die Asylgewährungsquote in der Schweiz für iranische Staatsangehörige tief. 2024 wurde nur gut jedes fünfte Asylgesuch von Iraner*innen angenommen. Im ersten Quartal 2025 stieg der Anteil laut Angaben des Staatssekretariats für Migration (SEM) auf 28 Prozent. Zählt man diejenigen Iraner*innen hinzu, denen eine vorläufige Aufnahme gewährt wird, beträgt die Quote aktuell 45 Prozent.

Das SEM beurteile die Lage in den Herkunftsländern laufend, schreibt es auf Anfrage der «Hauptstadt». Dabei würden die Erkenntnisse internationaler Organisationen ebenso wie diejenigen von NGOs einbezogen. 

Die Stimme

Es zermürbe sie sehr, in der Schweiz untätig sein zu müssen, sagt Firoozeh Miyandar. «Wir sind keine Wirtschaftsflüchtlinge», sagt sie, materiell habe sie im Iran gut gelebt. Sie wolle, dass ihre gute Ausbildung den Menschen zugute komme, auch in der Schweiz. «Ich habe nicht Deutsch gelernt, weil es mein Hobby ist», sagt Miyandar. Sie sei dankbar, in der Schweiz leben zu können, aber sie wolle selber etwas dazu beitragen: «Ich will arbeiten, für mich selber aufkommen, Steuern zahlen. Und nicht Kosten verursachen.».

Es sei wichtig, dass «wir uns aktiv zu Wort melden. Denn wir sind viele in der Nothilfe». Miyandar gehört zu den treibenden Kräften der Gruppe «Empathie und Einheit». Es sind Iraner*innen – unter ihnen auch Shahriar Momeni – die versuchen, in der Schweizer Öffentlichkeit eine Stimme zu werden. Zusammen mit Menschenrechtsorganisationen wollen sie übermorgen Donnerstag mittag (12 Uhr) vor dem Gebäude des SEM in Wabern mit einer Kundgebung auf die ausweglose Lage der Iraner*innen in der Schweiz aufmerksam machen. Diese Demo soll fortan einmal im Monat stattfinden.

Die Solidarität

Zurück zur Familie Momeni. Für sie rückt der Moment des Umzugs in ein Rückkehrzentrum näher. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich ihre gesundheitliche Situation verschlechtert. Denn eine eigene Wohnung wurde ihnen bis jetzt gewährt, weil die Behörden eine Unterbringung in einer Kollektivunterkunft wegen der psychischen Belastung als unzumutbar einstuften. 

Allerdings hat der Fall der Familie Momeni eine starke Solidaritätsbewegung ausgelöst – unter anderem im Wohnort der Familie, aber auch von der Gruppe «Offenes Scherli» in Niederscherli. Mit einer Petition fordern mittlerweile über 3500 Unterzeichnende den Gemeinderat von Köniz und den Migrationsdienst des Kantons Bern auf, sich beim Staatssekretariat für Migration für ein dauerhaftes Bleiberecht der Familie einzusetzen.

Laut Reto Kaeser von «Solihood Mittelhäusern» soll in den nächsten Wochen zudem ein Crowdfunding zur finanziellen Unterstützung der Familie gestartet werden – zur Deckung allfälliger Anwalts- oder Wohnkosten. Die grosse gemeinschaftliche Unterstützung trage zur psychischen Stabilität der Familie in einer Phase existenzieller Sorgen bei, so Kaeser. 

Farshad (Vater), Shariar (Sohn) und Shadi (Tochter) Momeni kaempfen fuer ihr Bleiberecht in der Schweiz. Fotografiert fuer die Hauptstadt. Bild: Christine Strub, ©christinestrub.ch
Die Lehrstelle in Huttwil wäre noch frei für Shadi Momeni. (Bild: Christine Strub)

Für die Wohnsituation der Familie Momeni gibt es eine Option, auf die der kantonale Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) selbst gegenüber der «Hauptstadt» hinweist. Müller kritisiert zwar, dass es in der Asylfrage nichts bringe, «die Emotion von Einzelschicksalen zu bewirtschaften».

Er hält aber auch fest: «Im Kanton Bern besteht – im Gegensatz zu anderen Kantonen – die Möglichkeit einer Unterbringung von abgewiesenen Asylsuchenden bei Privaten.» Es brauche ein Gesuch sowie die Bereitschaft von Privatpersonen, abgewiesene Asylsuchende bei sich unterzubringen. Zudem müssten die Geflüchteten bei der Beschaffung von Ausweispapieren aktiv mitwirken.

Die Hoffnung

Daniel Winkler, Pfarrer in Riggisberg und Leiter der zivilgesellschaftlichen Organisation «Riggi-Asyl», hat viel Erfahrung mit der privaten Unterbringung von Menschen, die lange Zeit in der Nothilfe bleiben. «Riggi-Asyl» hat einen Fonds, aus dem private Unterkünfte finanziert werden. Aktuell, sagt Winkler zur «Hauptstadt», finanziert «Riggi-Asyl» die private Unterbringung von 16 Personen. Darunter befinden sich zwei Familien, die seit über zehn Jahren in der Nothilfe sind.

Laut Winkler wäre «Riggi-Asyl» bereit, die Wohnungskosten für die Familie Momeni zu übernehmen. Es sei absehbar, dass Shadi, Shahriar und Naser Momeni über lange Zeit in diesen Strukturen bleiben werden.

Eine private Unterbringung, so Winkler, ermögliche Langzeit-Beziehenden in der Nothilfe «ein Minimum an Menschenwürde». Allerdings, sagt er auch, sei das Korsett bei der Bewilligung einer privaten Unterkunft eng. Die geforderte Mitwirkung bedeute, dass geflüchtete Menschen bei der verhassten Botschaft ihres Herkunftslandes vorsprechen und Reisepapiere beschaffen müssten. Diese Hürde sei sehr hoch.

Die Hoffnung für die Familie Momeni ist klein, aber sie besteht. Ob sie die Bewilligung erhalten, in der bisherigen Wohnung zu bleiben, ist offen. Ihre Unterstützer*innen sondieren in Mittelhäusern Alternativen für eine andere Privatunterbringung. 

Und Christine Rothenbühler vom Haus für Demenzkranke in Huttwil sagt zur «Hauptstadt»: «Die Lehrstelle von Shadi ist nicht wieder besetzt. Wir hoffen sehr, es findet sich doch noch ein Weg, dass sie zu uns zurückkehren kann. Wir vermissen sie.»

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