Chansons zur Selbsttherapie
Das Duo Noti Wümié – bestehend aus Greis und Gitarrist Benjamin Noti – bringt ein zweites Album heraus. Selbstkritisch singt Greis über Sucht, Kinder-Haben und Ungleichheiten.
Wenn man die beiden Musiker Grégoire Vuilleumier und Benjamin Noti trifft, wird schnell klar, warum die beiden so gut zusammen funktionieren. Während Vuilleumier schnell ausschweifend erzählt, lenkt ihn der zurückhaltende Noti immer wieder sanft zurück zum Thema. Das zeigt sich auch in ihrer Musik. Eben haben die beiden als Noti Wümié ihr zweites Album «Sorry Zäme» herausgebracht. Es ist ein leichtfüssiges Chanson-Album, das schwere Themen verhandelt.
Grégoire Vuilleumier ist vor gut zwanzig Jahren mit den Rap-Formationen Greis, PVP und Chlyklass bekannt geworden. Benjamin Noti ist Gitarrist von Steff la Cheffe und Sam Himself. Die beiden haben 2013 zusammen als Duo Noti Wümié ihre erste EP – ein Mix aus Chansons und Covers in Schweizerdeutsch und Französisch – herausgegeben und 2016 mit dem Mani-Matter-Cover «Die Strass woni dran wohne» auf sich aufmerksam gemacht. Dem Chanson sind sie seither treu geblieben.
«Sorry Zäme» ist ernster und politischer als die früheren Songs. Wo sich die letzten Veröffentlichungen meist zwischen lustigen, gar makabren und melancholischen Liedern ausbalancierten, überwiegen auf dem neuen Album sehr persönliche, selbstkritische Texte von Grégoire Vuilleumier, die sich unter anderem um seinen Alkoholismus und die Herausforderung, ein Kind zu haben, drehen.
Diese Themen haben Vuilleumier beschäftigt, erzählt er im Gespräch mit der «Hauptstadt». Er habe – anders als beim ersten Album – gar nicht anders gekonnt, als darüber Lieder zu schreiben.
«A dire Sitte»
«Säge geng, dass dir aues zuesteit
Säge geng, du chasch aues ha
Doch weni würklech wott, dass du dir ou dr Platz nimsch
Muesi mi zrügg nä und uf d Sitte stah»
Singt Vuilleumier im Lied «A dire Sitte». Er setzt sich in diesen Zeilen mit geschlechtsspezifischen Privilegien und Benachteiligungen auseinander. Gleichzeitig sieht er das Lied für sich als Mantra: Es unterstütze ihn, sich weiterzuentwickeln. So wie auch das Tagebuchschreiben oder andere Therapieformen ihm helfen würden, sagt er.
«Meiner Partnerin und mir waren geschlechtsspezifische Ungleichheiten nie so bewusst gewesen, bevor wir ein Kind hatten», sagt Vuilleumier. Einerseits werde er in der Öffentlichkeit als Vater anders wahrgenommen als seine Partnerin als Mutter. Andererseits gebe es auch innerhalb der Beziehung Ungleichheiten, etwa im Teilen der Mental Load. Auch wenn Vuilleumier und seine Partnerin ihre Zeit zu je fünfzig Prozent aufteilen würden, sei es damit noch nicht gemacht. «Würde ich mehr Zeit mit dem Haushalt verbringen, hiesse das noch lange nicht, dass ich fünfzig Prozent oder mehr Haushalt mache. Weil ich viermal länger habe.»
Für Vuilleumier ist das herausfordernd. «Ich habe mir mein ganzes Leben Gedanken über Chancengleichheit, Gerechtigkeit oder Ungleichheit gemacht. Aber jetzt bin ich nicht mehr in einer beobachtenden, sondern in einer Täterrolle.» Daran wolle und könne er noch wachsen, sagt er. Und dabei helfe ihm auch das Lied.
«Vilech schaffis morn»
Auch wie ein Mantra ist das neue Lied «Vilech schaffis morn» für Vuilleumier. Er singt in diesem Text nicht nur über seinen Alkoholismus, sondern auch über seine Depressionen. Am Tag des Gesprächs erzählt er, er habe seit 64 Tagen nicht mehr getrunken. Und dieser Song habe ihm dabei geholfen.
Es ist nicht das erste Lied von Noti Wümié, das sich um Sucht und Depressionen dreht. Im Lied «Obenabecho» auf dem letzten Album besingt Vuilleumier das für ihn gute Gefühl, alkoholisiert zu sein. Es sei auch Selbsttherapie, über seine Sucht und mentale Gesundheit zu singen, sagt er.
Auch in seinen Rap-Songs als Greis thematisiert er Sucht und Depressionen in seinen Liedern. Das sei aber nicht dasselbe wie in diesem Genre, so Vuilleumier. Im Rap gebe es viel Übertreibung, Fiktion und Selbstdarstellung. «Als Rapper sage ich, ich habe drei fette Karren und deale zehn Kilo Koks.» Man könne quasi alles sagen und das heisse noch lange nicht, dass es stimme, sagt Vuilleumier. Das sei bei der Art Chansons, die Noti Wümié spielt, nicht so.
Die Lieder von Noti Wümié sind reduziert. Neben Gitarre und Stimme gibt es nur wenige andere Audiospuren. Jeder Atemzug ist hörbar. Das schafft eine Nähe zum Sänger und eine Glaubwürdigkeit der Texte.
«Je leichtfüssiger die Form, desto schwerer darf der Inhalt sein», findet Vuilleumier. Das habe ihm überhaupt die Möglichkeit gegeben, über ernste Themen wie Sucht, Gleichberechtigung oder Kinder-Haben zu singen. «Wenn ich dasselbe über einen pompösen Hip-Hop-Beat produziere, bekommt man Kopfweh.»
Improvisieren
Hört man das Duo live, erzählt Vuilleumier zwischen den Liedern oftmals eine Anekdote – mal lustig, mal weniger. Meist improvisiert. Das sei sehr bewusst. Für ihn seien Live-Auftritte wichtig. Weil er mit den Anekdoten die Schwere der Lieder wieder ausgleichen könne, sagt der Rapper. Wobei es eine Gratwanderung sei. «Die Möglichkeit, zu scheitern, ist die Bedingung für jede Art von Improvisation, die wir machen.»
Benjamin Noti bemerkt übrigens oft nicht, wenn Vuilleumier sich blamiert. «Ich bin tendenziell in einer Bubble, wenn ich an der Gitarre sitze.» Aber es sei auch schon passiert, dass er aus dem Lied gefallen sei, weil er lachen musste.
«Imposteur»
«Et je vous ai toujours dit, qu'il ne fallait pas me croire», singt Vuilleumier in der ersten Zeile von «Imposteur». «Ich habe euch schon immer gesagt, man soll mir nicht glauben.» Grund für diese Aussage sind Selbstzweifel, die ihn immer wieder plagen und über die er im Lied singt. Er habe das sogenannte Hochstapler-Syndrom und eine «Versagerangst».
In der Zusammenarbeit mit Benjamin Noti ist das auch immer wieder Thema. «Beni hat ein Gespür für mich», sagt Vuilleumier: Gitarrist Noti motiviert Vuilleumier, wenn er an sich zweifelt. Er schraubt die Ansprüche herunter. «Wenn ich Greg sage, er solle etwas Schlechtes schreiben, gibt es am Schluss einen echt guten Songtext.» «Und mir nimmt es den Druck weg», ergänzt Vuilleumier.
Der Rapper gerät ins Schwärmen über seinen Musikpartner, es wird zu einem Gespräch unter den beiden: «Du hast mich ermutigt, über das zu schreiben, was mich beschäftigt. Und du hast einen Ort geschaffen, an dem ich mich wohl genug gefühlt habe, um die Musik zu machen, die ich wollte.»
Und Noti relativiert: «Musik machen kann sehr viel Spass machen. Und es kann manchmal sehr mühsam sein. Aber der Spassfaktor hat bei unserem Album überwogen, sonst wäre es nicht so ring gegangen.»
«Das stimmt, diese Songs, die man jetzt hört, waren eigentlich mega mühelos», findet Vuilleumier.
Das kommt auch auf der anderen Seite an: Die Lieder hört man gerne. Obwohl viele ernste Themen besungen werden, haben die Songs Ohrwurm-Potenzial.
Die Albumtaufe von «Sorry Zäme» ist am 22. März 2024 im La Cappella.