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Gaslighting: Wenn die eigene Wahrnehmung manipuliert wird. (Bild: Silja Elsener)

Passiert das gerade wirklich?

Psychische Gewalt ist vielschichtig. Auch «Gaslighting» ist eine Form davon. Zwei Berner*innen klären in einem Workshop auf, was der Begriff eigentlich bedeutet.

«Das hast du dir nur eingebildet» oder «ich habe das nur für dich getan» können höchst manipulative Sätze sein. Und so weit gehen, dass man die eigene Erfahrung und Wahrnehmung anzweifelt. Den Indizien, dass man betrogen wurde, keinen Glauben mehr schenkt, denkt, man habe Dinge nicht erledigt, benehme sich daneben, sei sozial unverträglich. Oder dem Partner glaubt, dass die Freund*innen einem nur schaden wollen und er die einzige Person sei, die einem zur Seite stehe. Dieses Phänomen nennt sich Gaslighting. Und es ist relevant, über den Begriff zu diskutieren. Auch wenn dessen Definition Herausforderungen bietet. 

Unsichtbare Gewalt

Seit 2008 finden in der Schweiz jährlich die «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» statt. Vom 25. November (dem  internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen) bis zum 10. Dezember werden auch in Bern Veranstaltungen über die geschlechterspezifische Gewalt durchgeführt. Das Angebot reicht von Vorträgen über Workshops zu Theater- und Filmvorstellungen. Das diesjährige Thema: Psychische Gewalt.

Es sei eine Form der Gewalt, die immer noch unzureichend untersucht und rechtlich nicht hinreichend als Gewalt anerkannt werde, schreiben die Veranstalter*innen auf ihrer Website. Psychische Gewalt hänge oft eng mit häuslicher Gewalt zusammen. Sie äussere sich aber nicht über tätliche Gewaltakte. Deshalb bleibe sie oft unsichtbar und unerkannt.

Auch die Studierendenschaft der Universität Bern beteiligt sich an den «16 Tagen gegen Gewalt an Frauen». Anja Ghetta und Pia Portmann, ehemalige Vorstandsmitglieder der Studierendenschaft im Ressort Gleichstellung, halten diesen Donnerstag einen Workshop zum Thema «Gaslighting». 

Portmann arbeitet in der Musikförderung, ist Sprachwissenschaftlerin, leitet Workshops zum Thema psychische Gesundheit und setzt sich für nachhaltigen Aktivismus ein. Ghetta arbeitet als Psychotherapeutin und engagiert sich für eine funktionierende Kommunikation innerhalb aktivistischer Kollektive. Die «Hauptstadt» trifft die beiden während ihrer Vorbereitungen für den Workshop, um zu erfahren, wie Gaslighting funktioniert. 

Nein, die Laterne flackert nicht

Gaslighting ist eine Form von psychischer Gewalt. Dabei wird die Realität eines Menschen in Frage gestellt und strategisch manipuliert. Das Ziel: Die Person von sich abhängig machen und an sich binden. Dafür wird jemandem weis gemacht, sich Dinge nur einzubilden, verrückt zu sein, den eigenen Gefühlen und Wahrnehmugen nicht trauen zu können.

Gaslighting sei ein langwieriger Prozess, erklärt Portmann, er passiere nicht von heute auf morgen. «Wenn dich jemand anlügt, du aber weisst, dass das Gegenteil zutrifft, findest du das zunächst befremdlich.» Über einen längeren Zeitraum gerate die manipulierte Person jedoch immer mehr in Erklärungsnot. Sie versuche die eigene Realität, das eigene Erleben vor sich und der manipulativen Person zu beweisen. «Damit hat der Täter schon einen ersten Erfolg erzielt. Seine Lüge wird nicht mehr einfach abgelehnt.»

In einem nächsten Schritt werde die Realität des Täters übernommen und sein Verhalten gegenüber anderen Menschen sogar verteidigt. Werde die eigene Wahrnehmung aufgegeben, sei das sehr anstrengend, erklärt Ghetta. Es führe zu einer sogenannten kognitiven Dissonanz. Dann besteht ein Widerspruch zwischen der eigenen Wahrnehmung und dem, was man nach Aussen hin als real anerkennt. Dieser Zustand begünstige Depressionen und könne langfristige schwere Schäden anrichten.

Macht in der Gesellschaft, Macht in Beziehungen

Eine Voraussetzung für Gaslighting: Die Person, deren Realität manipuliert wird, sucht die Anerkennung des Manipulierers, sie orientiert sich an ihm. Sonst funktioniert Gaslighting nicht. Das Selbstbild ist dabei in hohem Masse abhängig von der Person, die das Gaslighting betreibt. Das Phänomen kommt deshalb vor allem in Beziehungen mit einem Machtgefälle vor.

In Eltern-Kind Beziehungen etwa: «Es ist für ein Kind einfacher zu sagen, meine Mutter hat Recht und ich liege falsch, als umgekehrt die eigene Mutter als Lügnerin anzusehen», erklärt Portmann. Auch im Arbeitskontext komme Gaslighting vor, wenn Chef*innen ihre Angestellten manipulieren. Und: In romantischen Beziehungen.

Wird Gaslighting vor allem von Männern an Frauen ausgeübt? Das können Portmann und Ghetta nicht mit Sicherheit bestätigen. Schliesslich gibt es keine Statistiken zum Thema, sowieso wird kaum Forschung dazu betrieben. «Aber», so Ghetta, «die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft begünstigen sicher, dass diese Form der psychischen Gewalt von männlich an weiblich sozialisierten Personen ausgeübt wird». Unter diesem Blickwinkel kann Gaslighting auch als geschlechtsspezifische Gewalt betrachtet werden.

Kein Versehen

Wie so oft bei Themen rund um psychische Gewalt scheint die Definition des Phänomens Gaslighting recht diffus, was auch mit der lückenhaften Forschung zum Thema zu tun hat. Die Art und Weise, wie der Begriff verwendet wird, kann deshalb variieren. 

Die US-amerikanische Psychotherapeutin Robin Stern, die 2007 ein Buch zum Thema herausgegeben hat, kritisiert, dass der Begriff zu oft Verwendung finde. Wenn gelogen oder manipuliert werde, müsse es sich noch nicht um Gaslighting handeln, schreibt sie in einem Artikel. Erst die Absicht, die Wahrnehmung und Erlebnisse einer Person zu negieren und durch eine andere Realität zu ersetzen, mache das Verhalten zu Gaslighting, erklärt Stern. 

Obwohl es schwierig  scheint, Gaslighting von manipulativem Verhalten abzugrenzen, gibt es Anzeichen, erklärt Ghetta: Gaslighting hängt meist mit weiteren missbräuchlichen Verhalten zusammen.

Eines davon sei die soziale Isolation; Menschen, die gaslighten, würden die Betroffenen häufig von der Aussenwelt absondern. «Etwa indem Freund*innen und Familie diffamiert werden und man behauptet, dass sie nichts Gutes im Sinn hätten», so Ghetta. «Gaslighting funktioniert nur, wenn keine weitere Person anwesend ist, die die Lüge aufdecken und dem Täter widersprechen könnte.» Durch die soziale Isolation werde wiederum das Abhängigkeitsverhältnis verstärkt. Bemerke man also, dass sich ein*e Freund*in aufgrund einer Beziehung immer mehr von ihrem Umfeld distanziere und sich verändere, könne das ein Hinweis auf Gewalt sein. Wobei sich die Chance ergebe, die Freund*in darauf anzusprechen. Ein weiteres Anzeichen: Wenn sich die Täterin oder der Täter in der Gesellschaft von anderen anders verhält, als wenn man zu zweit ist.

Der Gewalt einen Namen geben

Inspiriert ist der Begriff vom Theaterstück «Gas Light» des britischen Autors Patrick Hamilton, das vor allem durch die gleichnamige Verfilmung von 1944 populär wurde: Ein Mann verfälscht die Wahrnehmung seiner Ehefrau. Er sabotiert allabendlich die Gaslaternen im Haus, sodass diese zu flackern beginnen, überzeugt seine Frau jedoch davon, sich dieses Flackern nur einzubilden. Bis diese an ihrer Wahrnehmung zu zweifeln beginnt und verrückt wird.

Wirklich populär geworden ist der Begriff erst in jüngerer Zeit. Das hat auch mit Donald Trump zu tun: Seine Strategien, der Öffentlichkeit falsche Wahrheiten glaubhaft zu machen, wurden von Kritiker*innen als Gaslighting bezeichnet. Dadurch erhielt der Begriff eine politische Dimension. Aber auch die psychologische Bedeutung des Begriffs geriet mehr in den Fokus. 

Mit ihrem Workshop wollen Ghetta und Portmann den Begriff «Gaslighting» greifbarer und bekannter machen. Im Vergleich zum englischen Sprachraum sei er in der Schweiz noch nicht gross verbreitet oder werde vor allem als Witz gebraucht. Häufig sei einfach unklar, was er wirklich bezeichne. 

Dass es den Begriff «Gaslighting» gibt und dass er zunehmend Verwendung findet, halten Ghetta und Portmann für wichtig: «Wenn man etwas benennen kann, wird es real», begründet Ghetta. Der Begriff helfe Betroffenen zu erkennen, was mit ihnen geschehe und ermögliche einen Austausch mit anderen Betroffenen. «Vielleicht ist es vergleichbar mit der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz», meint Portmann, «lange wurde darüber nicht gesprochen, es gab keinen Namen dafür. Erst mithilfe des Begriffs konnten Betroffene vermehrt anklagen, was sie erlebten und die Thematik erhielt eine gesellschaftliche Tragweite». 

Der Workshop «Ist das Gaslighting?» findet am 30. November um 18:30 im Hauptgebäude, Seminarraum 115 der Universität Bern statt. Mit Anmeldung.

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