Schwarze Zahlen, rote Aussichten

Stadt und Kanton Bern präsentieren für das Jahr 2022 anstelle budgetierter Defizite schwarze Zahlen. Aber sowohl der linke städtische Finanzdirektor Michael Aebersold wie die bürgerliche kantonale Finanzdirektorin Astrid Bärtschi bleiben unentspannt.

Michael Aebersold fotografiert am 31.01.2023 in Bern. (liveit.ch / Manuel Lopez )
Im Modus des Marathonläufers: Finanzdirektor Michael Aebersold (SP). (Bild: Manuel Lopez)

Der frühere Marathonläufer Michael Aebersold (SP), Finanzdirektor der Stadt Bern, kommentierte den positiven Rechnungsabschluss 2022 – die Stadt erwirtschaftete anstelle des budgetierten Defizits von 52 Millionen einen Überschuss von 15 Millionen Franken – mit einer Metapher aus dem Sport: Bei halber Distanz in guter Kilometer-Durchschnittszeit unterwegs zu sein, bringe nur etwas, wenn man in der zweiten Marathon-Hälfte nicht langsamer werde.

Zwar schreibt die Stadt – wie schon vor einem Jahr – auch jetzt wieder überraschend schwarze Zahlen. Aber: Nach wie vor verfehlt die rot-grüne Regierung alle vier von ihr selbst definierten Ziele der langfristigen Finanzstrategie deutlich.

Ein Kreislauf sticht ins Auge: Die Stadt hat einen enormen Investitionsbedarf: Einerseits bei Bädern und Sportanlagen, weil man sie in den nuller Jahren vernachlässigt hat. Anderseits müssen Schulhäuser saniert oder neu gebaut werden – in den letzten zehn Jahren eröffnete die Stadt 130 neue Schulklassen. Das Problem: Der Selbstfinanzierungsgrad dieser Investitionen liegt bis 2024 bei nur 55 Prozent. Was bedeutet, dass fast die Hälfte der Investitionen über Schulden finanziert werden. Als Folge steigt die Schuldenlast weiter deutlich an und wird 2026 schmerzhafte 1,6 Milliarden Franken erreichen. 

Im Prinzip, wiederholt Finanzdirektor Michael Aebersold seit Jahren, müsste die Stadt jedes Jahr Überschüsse von mindestens 20 Millionen Franken erwirtschaften, um den Investitionsbedarf nachhaltig stemmen zu können.

Jetzt kommt Aebersold mit dem Überschuss von 15 Millionen Franken dieser Marke ziemlich nahe. Ironischerweise wird das seinen Marathonlauf zu gesunden Finanzen wohl nicht erleichtern.

Weniger Zahler*innen, mehr Steuern

Zustande kam das überraschend positive Ergebnis wegen unerwartet hoher Steuererträge – vor allem bei den Unternehmen. Sie lieferten 30 Millionen Franken mehr ab als budgetiert. Zu berücksichtigen ist jedoch: Die Veranlagungen beruhen teilweise noch auf den Geschäftszahlen von vor Corona. Gut möglich, dass die Steuererträge der juristischen Personen 2023 wieder sinken. 

Interessant ist auch, dass die Steuereinnahmen der natürlichen Personen zunehmen, obschon die Zahl der Personen, die in der Stadt überhaupt Steuern zahlen, seit einigen Jahren rückläufig ist. Salopp gesagt: Immer weniger Steuerzahler*innen sorgen für ein wachsendes Steuersubstrat. Weil die Stadt Bern aber auch künftig mit kontinuierlich wachsenden Steuereinnahmen rechnet, müssten sich die diversen Wohnbauprojekte, etwa im Viererfeld, so gesehen auch steuerlich zwingend auszahlen.

Und die Feuerwehrersatzabgabe?

Er sehe trotz des Überschusses keinen Grund, die in seinen Augen vorsichtige Finanzpolitik des rot-grünen Gemeinderats anzutasten, sagte Michael Aebersold. Allerdings: Ein (eigentlich bereits in Aussicht gestelltes) weiteres Sparpaket schnüre die Regierung nun vorderhand nicht.

Am Donnerstag im Stadtrat dürfte jedoch – zusätzlich befeuert durch den positiven Rechnungsabschluss – ein Aebersold-Vorhaben zur Entlastung der Stadtkasse scheitern. Das Parlament wird die umstrittene Feuerwehrersatzabgabe debattieren, und Aebersold selbst rechnet damit, dass sie abstürzt, wie er sagt. Damit würden im Voranschlag 2023 bereits mitkalkulierte Zusatzeinnahmen von gut sechs Millionen Franken wegfallen, und ja: Für 2023 ist so oder so ein Defizit von 30 Millionen Franken budgetiert. 

Michael Aebersold geht davon aus, dass der finanzpolitische Marathonlauf der Stadt Bern noch mehr als 10 Jahre dauern wird.

Kanton: Erster Bilanzüberschuss seit 1990

Auf den ersten Kilometern ihres Marathonlaufs befindet sich hingegen die kantonale Finanzdirektorin Astrid Bärtschi (Mitte), und bei der Präsentation ihrer ersten Jahresrechnung konnte sie bereits einen fast historischen Wert vermelden: Der Kanton schliesst das Jahr 2022 derart positiv ab, dass er erstmals seit 1990 einen beim Eigenkapital einen Bilanzüberschuss vermelden kann. 

Grund dafür ist der Ertragsüberschuss von 358 Millionen Franken. Budgetiert war für 2022 eigentlich ein Minus von 88 Millionen. Der grösste Beitrag zum guten Ergebnis lieferte die Nationalbank (SNB) mit ihrer hohen Gewinnausschüttung. Dadurch erhielt der Kanton Bern 480 Millionen Franken.

Kein Anstieg bei Sozialhilfe

Weitere grosse Abweichungen gegenüber Budget waren höhere Steuereinnahmen (174 Millionen Franken) bei den Firmen und tiefere Ausgaben bei Sozialhilfe, Ergänzungsleistungen und Prämienverbilligungen (175 Millionen Franken). Bei der Sozialhilfe hatte der Kanton für 2022 mit einer Zunahme wegen der Coronavirus-Krise gerechnet. Der Anstieg sei aber nicht eingetroffen.

Astrid Bärtschi zeigte sich am Dienstag vor den Medien zuerst erfreut über die Rechnung, sprach im Weiteren aber so, als ob es finanziell für den Kanton nicht gut aussähe. «Ich sehe keinen Grund für einen Kurswechsel», sagte sie. «Sicher dürfen die finanzpolitischen Schleusen nun nicht geöffnet werden.» Denn im Jahr 2023 wird voraussichtlich von der Nationalbank kein Geld kommen. Und laut Bärtschi könnte neben der «geopolitischen Lage» auch die Teuerung für den Kanton zur Belastung werden. Einerseits wegen Lohnforderungen des Personals, andererseits wegen der Baukosten. «Die Baupreise sind ein finanzpolitisches Risiko», sagte Bärtschi. 

Jetzt eine Steuersenkung?

Im linken Lager freute man sich über die Zahlen, ärgerte sich aber über Bärtschis Worte. SP und Grüne kritisieren die wiederholt konservativen Budgets sowie die «Weltuntergangs-Rhetorik» des Regierungsrates und fordern Investitionen im Sozialen und bei der Klimapolitik. Die Bürgerlichen hingegen teilen die Haltung der Finanzdirektorin. Die SVP etwa nimmt die Rechnung «mit Besorgnis» zur Kenntnis, weil sie ohne das SNB-Geld defizitär gewesen wäre, will aber am Plan von Steuersenkungen festhalten.

Solche Steuersenkungen hatte der Regionsrat letzten Sommer für 2024 in Aussicht gestellt. Trotz Bilanzüberschuss wollte aber die Finanzdirektorin an der Medienkonferenz keine Einschätzung dazu abgeben, ob diese nun möglich seien und man den Plan umsetze. Der Regierungsrat werde im Mai darüber beraten, sagte Bärtschi nur. Es wird danach interessant sein zu sehen, wie man für eine Steuersenkung argumentieren kann, obwohl doch die «finanzpolitischen Risiken» aufgrund der Teuerung und geopolitischer Lage gross und der Investitionsbedarf im Kanton hoch seien.

 

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Diskussion

Unsere Etikette
Ruedi Muggli
30. März 2023 um 06:19

Klar dürfte sein, dass wir uns laufend bei der Umwelt „verschulden“, wenn wir Klimaschutzmassnahmen aufschieben. Sie präsentiert die Rechnung dann einfach später, zB unseren Kindern und Enkeln etwa in Form von Migrationsströmen, Dürren, Hochwasser.

Rahel Ruch
29. März 2023 um 06:53

Die Kampagne von Tamedia gegen Rot-grün bei der Finanzpolitik ist bemerkenswert, vor allem wenn man z.B. vergleicht wie die Zeitungen über die ähnliche Überschuss-Situation im Kanton schreiben: Wo die Regierung bürgerlich ist, soll es Spielraum für Steuersenkungen geben, aber in der Stadt muss weiter gespart werden. Sehr schade, dass die Hauptstadt in diesem Thema nicht andere Aktente setzt und beispielsweise mal nachprüft, ob eine höhere Verschuldung wirklich so teuer ist, z.B. verglichen mit zu zögerlichen Klimamassnahmen oder Verzögerung der Investitionen aufgrund des Spardrucks. Hüben wir drüben werden bürgerliche Narrative ziemlich unhinterfragt übernommen.