Schreiben über Liebe

In ihrem Buch «Das Herz wirft in der Brust keinen Schatten» schreibt die Berner Autorin Noemi Somalvico so erfrischend über das Lieben, dass man laut herauslachen möchte.

01_hauptstadt_kulturkritik_02 (3)
(Bild: Jörg Kühni)

Die erste Seite in Noemi Somalvicos zweitem Buch «Das Herz wirft in der Brust keinen Schatten» liest sich wie ein Gedicht. Dabei sind auf dieser ersten Seite nur die Titel der vierzehn Erzählungen aufgelistet, die Somalvico in ihrem Buch zusammenführt. «In einer Dose wohnen» oder «Ein Glanz wie ihn Antilopen haben» heissen die Erzählungen, die mit ihren kuriosen Protagonist*innen das verhandeln, was man gemeinhin unter Liebe versteht. Oder, was die Figuren, welche die Erzählungen bevölkern, darunter verstehen. Ganz so einfach ist es nicht bei Somalvicos Liebenden.

Liebe ohne Ende und verlorene Gliedmassen

Da rennt eine Protagonistin zum Beispiel um eine Ecke, um dann in senkrechter Haltung fünfzehn Hügel zu überqueren und ihrer Verliebtheit allen Ausdruck zu verleihen. So verliebt ist sie, dass ihr Freund bald die Ohren voll von ihrer neuen Liebschaft hat und nunmehr die Mutter herhalten muss, um sich die Geschichten über den neuen Geliebten anzuhören.

Oder Piet, der Arzt, der mit seiner Freundin jeweils «Krassessen» geht, um die erschöpfte Beziehung zu kompensieren. Dann hocken die beiden mit Trainerhosen in einem teuren Restaurant und werfen sich über den Tisch irritierte Blicke zu. Bis sich die Protagonistin überlegt, das WC des Restaurants zu beziehen, um nie mehr an den falschfreudigen Tisch mit dem weissen Tischtuch und dem erschöpften Freund zurückkehren zu müssen.

Und ein zu gross geratener Mann sieht sich vor einem Date ständig seine Gliedmassen verlieren und stellt sich vor, wie er am Treffpunkt den abgefallenen Arm unauffällig im Laub verscharrt.

Immer wieder verlieren Somalvicos Figuren ihre Körper, werden durchsichtig, lösen sich auf in einem Gegenüber, bis nichts mehr von ihnen übrig bleibt. «Es fragt sich schon, wie so etwas bei Tageslicht ausgesehen hätte. Ob der Körper sich langsam an der Luft aufgab. Oder ob es abrupt geschah, eine Hand war weg, dann die nächste, wie bei einem Zaubertrick. […] Ilsebill hob ihre Hände, die nur noch nichts umfassten. Die Tochter des Zehnders hatte sich aufgelöst.»

Die Zwischenräume bedient

Bereits in ihrem Debütroman «Ist hier das Jenseits, fragt Schwein», für das die Autorin mit dem Literaturpreis des Kantons Bern ausgezeichnet wurde, zeigt Somalvico ein Gespür für die Zwischenräume menschlicher Beziehungen und Empfindungen. Und einen feinen Humor.

Und so ist die Liebe in «Das Herz wirft in der Brust keinen Schatten» weder auf ein Happy-End ausgerichtet noch tieftragisch. Am ehesten ist die Liebe in Somalvicos Texten komisch, sehr komisch sogar, aber niemals leicht: Schliesslich verhandeln die vierzehn Erzählungen trotz allen Verliebtseins immer wieder Trennungen.

Die Liebenden oder vormals Liebenden sind dabei auf der steten Suche nach einem Ort, an dem ein neuer Anfang steht. Manchmal ist das eine teure Wohnung, in der es sich lebt wie in einem Museum, oder die Bettschublade der ehemals Geliebten, in der es mit einigen Verrenkungen doch ganz gemütlich ist. Und eine Figur, die sich kürzlich getrennt hat, sagt, wie es ist: «Ich wohnte nicht mehr und sass auf einem Senklochdeckel und fror.»

Mann-Frau Scheisse

Normative Beziehungsmuster sind für Somalvicos Erzählungen genauso determinierend wie abwesend: Erfrischend nicht-monogam sind die gelebten Beziehungen und selten spielt das Geschlecht der Protagonist*innen eine Rolle.

«Ich sagte: Irgendwann müssten wir doch aufhören mit dieser Mann-Frau-Scheisse. Wir sind zwei Frauen, wandte Clarice ein. Egal!»

Dabei wirft Somalvico einen kritischen Blick auf die Mann-Frau-Scheisse: «Ich beobachtete den Typen, wie er seine Muskeln anspannte, um eine Flasche zu öffnen, ein Schublade zu ziehen. […] Er lächelte, als ich das leere Glas hinstellte, sodass es meinem Gesicht unangenehm wurde. Er war so sehr ein Mann, dass ich so sehr eine Frau hätte sein müssen, was mir widerstrebte.»

Es menschelt

In eigenwilliger Manier schreibt Noemi Somalvico über die intime Liebe ihrer Figuren und beweist dabei ein grosses Gespür für alles Menschliche. Und einen klaren beobachtenden Blick. Die Bilder, die sie für die Zustände ihrer Figuren heraufbeschwört, sind laut und komisch und führen hin und wieder zu einer Träne.

Das Schlusswort liefert schliesslich einen letzten klugen Überbau zu den Erzählungen. Dort denkt die Autorin über das Schreiben und das Liebhaben nach. Und darüber, was nun das Dichten ausmacht, das Lieben oder das Schreiben darüber?

Noemi Somalvico ist eine, die sich selbst nicht überhöht, die ihren Figuren dafür grossen Respekt zollt. Und die eine grosse Zuneigung für die Menschen zu haben scheint: «Vielleicht schenkt die Dichterin nicht, sondern weiss bloss nicht, wohin mit ihrer Zärtlichkeit.»

Am Donnerstag, 12. September (20 Uhr) liest Noemi Somalvico in der Buchhandlung Stauffacher aus ihrem Buch «Das Herz wirft in der Brust keinen Schatten» (Voland & Quist, 216 Seiten).

tracking pixel

Das könnte dich auch interessieren