Selbstvertrauen – Was ist das bloss?

Wer leben will, muss vertrauen können. Sich selbst und anderen. Unser Philosophie-Kolumnist fragt sich, was Selbstvertrauen ist. Und wie es mit dem Vertrauen in andere zusammenhängt.

Illustration für die Philo Kolumne
(Bild: Silja Elsener)

Am Dienstag war ich im Berner Generationenhaus als Referent zu Gast. Das Veranstaltungsformat heisst «Wissen zum Zmittag». Interessierte bringen sich etwas zum Essen mit und während sie essen, erzählt ein*e Expert*in etwas zu einem hoffentlich spannenden Thema. 

Diese Woche ging es um eine Frage, die mich seit Jahren umtreibt und ziemlich viel mit unserem Alltag zu tun hat: Was ist eigentlich Vertrauen, und wie hängt das Vertrauen, das wir in uns selbst haben, mit dem Vertrauen in andere Personen zusammen?

In der philosophischen Vertrauensforschung spielt Selbstvertrauen eine eher untergeordnete Rolle. Die Aufmerksamkeit gilt eher interpersonellem Vertrauen, etwa dem Vertrauen, das man in Freund*innen und Verwandte, aber auch in Ärzt*innen, Lehrer*innen oder Politiker*innen setzt.

Dieser Fokus ist verständlich. Von dieser Art des Vertrauens hängt sehr viel in unserer Gesellschaft ab. Menschen sterben, wenn sie nicht genug Vertrauen in ihre Ärzt*innen haben, und es steht schlecht um die Demokratie, wenn Bürger*innen kein Vertrauen in Politiker*innen oder ihre Mitbürger*innen haben.

Ein wichtiger Unterschied

Geht es um Vertrauen in andere Personen, habe ich immer den folgenden Unterschied für zentral gehalten: Wir können uns auf andere Personen verlassen, so wie wir uns auf Geräte oder Naturphänomene verlassen. Aber das ist noch nicht genug, um von echtem Vertrauen reden zu können.

Sich auf jemanden zu verlassen, ist eher eine beobachtende Einstellung, bei der man sich nicht direkt mit den Personen, um die es geht, in Beziehung setzt. Ich kann etwa beobachtet haben, wie mein Nachbar voller Freude jede Woche die Mülltonnen an den Strassenrand stellt und mich auf dieser Grundlage darauf verlassen, dass er es auch morgen tun wird. Aber es wäre übertrieben, davon zu reden, dass ich ihm in dieser Hinsicht vertraue.

Wenn ich einer anderen Person vertraue, muss ich weder beobachten noch lange überlegen. Ich tue es einfach. Vertrauen hat etwas Selbstverständliches. Man fühlt eher, dass eine andere Person einem wohlgesonnen ist, als dass man einschätzen müsste, wie die Chancen dafür stehen, dass sie einen gut behandeln wird. 

Wenn ich vertraue, bin ich mir der anderen Person sicher. Und ich habe dieses gute Gefühl, egal worum es geht. Ich kann beruhigt sein, dass man mich gut behandeln oder mir zumindest nicht schaden wird. Wenn ich mich lediglich auf eine Person verlasse, muss das nicht der Fall sein. Personen, die in einer sehr brenzligen Situation sind, verlassen sich oft auf zwielichtige Gestalten und haben gleichzeitig Angst, dass sie betrogen werden.

Geht es um dasselbe Vertrauen?

Sich auf jemanden verlassen ist also nicht gleich Vertrauen. Was hat dieser Unterschied aber mit Selbstvertrauen zu tun? Möglicherweise nicht viel. Es könnte sein, dass wir mit dem Wort «Vertrauen» in beiden Fällen unterschiedliche Phänomene bezeichnen. Das glaube ich allerdings nicht. Es ist kein linguistischer Zufall, dass wir von Vertrauen sowohl in dem Fall reden können, in dem es um andere Leute geht, als auch in dem Fall, in dem wir selbst gemeint sind.

Zugegeben: Das Wort «Selbstvertrauen» hat auch eine sehr spezifische Bedeutung. Oft meinen wir damit so etwas wie ein stark ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Man könnte sagen, dass ich in diesem Sinne sehr viel, ja, im Grunde viel zu viel Selbstvertrauen an den Tag lege, wenn ich Roger Federer zum Tennis herausfordere oder in der Öffentlichkeit meine Street-Dance-Moves zur Schau stelle.

Selbstvertrauen als Standardfall

Wir müssen allerdings das Vertrauen, das wir in uns selbst setzen, nicht (nur) auf diese spezielle Weise verstehen. Worin kann es aber sonst bestehen? Es ist gar nicht so einfach, das zu sehen. Der Grund dafür ist, dass die Art von Vertrauen, die ich im Blick habe, im Gegensatz zum interpersonellem Vertrauen fast immer vorhanden ist. Anderen Menschen vertrauen wir nur in ausgewählten Kontexten, uns selbst vertrauen wir dagegen immer. Oder zumindest fast immer, das heisst, wenn alles so läuft, wie es laufen soll. Selbstvertrauen ist der Standardfall, Vertrauen in andere eine Ausnahme. 

Gerade weil das Vertrauen in sich selbst so selbstverständlich ist, besteht die beste Weise, diesem Phänomen auf die Spur zu kommen darin, darüber nachzudenken, was sein Gegenteil ist. Die Frage ist also, wann Personen sich selbst misstrauen. 

Die klassische Antwort darauf macht auf Situationen der praktischen Irrationalität aufmerksam. Ein besonders prominenter Typ solcher Situationen sind Fälle, in denen wir willensschwach sind. Nehmen wir an, ich habe mir vorgenommen, den ganzen Tag an einem Aufsatz zu arbeiten, weil ich weiss, dass ich ihn nur so rechtzeitig bei einer Zeitschrift abliefern kann. Der Zeitpunkt, da ich mich an den Schreibtisch setzen müsste, ist gekommen, der Cursor blinkt auf dem Computerbildschirm –, aber ich setze mich nicht hin, sondern beschliesse plötzlich, in der Aare schwimmen zu gehen.

Wenn der Wille schwach wird

Vielleicht ist das ja sogar objektiv die bessere Option. Aber um diese Frage geht es nicht. Das Problem besteht darin, dass ich einen Vorsatz, den ich aus bestimmten Gründen gefasst habe, einfach über Bord werfe. Wir alle kennen Situationen dieser Art, denke ich. Situationen, in denen wir lieber etwas anderes machen, als das, wovon wir denken, dass es das ist, was wir tun sollten. Normalerweise ist auch nichts besonders schlimm daran. Wir sind eben keine Roboter und werden ab und zu mal schwach.

Entscheidend ist hier das «ab und zu». Wenn wir feststellen, dass wir regelmässig daran scheitern, unsere Vorsätze und Absichten in die Tat umzusetzen, kann das zum Problem werden.

Wenn ich nicht nur ab und zu, sondern jeden Tag nicht an der Gelateria vorbeilaufen kann, obwohl ich mir vorgenommen habe, auf Süsses zu verzichten, werde ich Anlass haben, mir in dieser Hinsicht zu misstrauen.

Sich als Akteur*in vertrauen

Für unsere Ausgangsfrage bedeutet dies nun, dass Vertrauen in sich selbst darin besteht, dass man sich sicher ist, dass man die eigenen Absichten umsetzen wird. Und das bedeutet nichts anderes, dass man darauf vertraut, dass man als Akteur*in funktionieren wird. 

An dieser Stelle kann man besser verstehen, warum wir Selbstvertrauen nicht so leicht in den Blick bekommen können, wie das Vertrauen, das wir in andere setzen: Wenn wir niemandem vertrauen können, funktionieren wir immer noch als Handelnde. Wenn wir uns selbst nicht vertrauen, haben wir dagegen mit der gezielten Handlungsfähigkeit eine entscheidende Facette unserer Persönlichkeit eingebüsst. Man kann auch etwas übertrieben sagen, dass Personen, die sich auf diese Weise misstrauen, sich selbst verloren haben.

Im Zusammenhang mit interpersonellem Vertrauen habe ich den Unterschied zwischen Vertrauen und sich auf jemanden verlassen erwähnt. Dieser Unterschied lässt sich auch im Verhältnis zu uns selbst machen: Eine Person, die sich selbst nicht vertraut, könnte versuchen, Dinge zu tun, die bewirken, dass sie sich zumindest auf sich selbst verlassen kann. Ich könnte zum Beispiel meinen Heimweg so planen, dass er nicht an der Gelateria vorbeiführt. Auf diese Weise könnte ich mich darauf verlassen, dass ich meinen Diätplan einhalten werde, auch wenn ich mir selbst misstraue. Besonders interessant ist nun, dass Vertrauen und sich auf jemanden verlassen zwar unterschiedliche, aber nicht voneinander unabhängige Phänomene sind. 

Nehmen wir zunächst den zwischenmenschlichen Fall: Typischerweise vertrauen wir fremden Personen nicht von Anfang an, sondern wir verlassen uns in kleinen Dingen auf sie. Das machen wir immer wieder, irgendwann auch in wichtigeren Zusammenhängen, bis sich schliesslich Vertrauen einstellt und wir nicht mehr darüber nachdenken, ob wir uns auf die betreffende Person verlassen sollten oder nicht. Aus sich auf jemanden verlassen entsteht Vertrauen.

Willensstärke will trainiert werden

Ganz ähnlich ist es, wenn es um uns selbst geht: Wer sich selbst im Hinblick auf Süsses nicht vertraut, sollte zunächst immer wieder Süssigkeiten aus dem Weg gehen. Das kann man als eine Art Training der Willensstärke und der Akteur*innenschaft betrachten. Wenn alles gut geht, wird man dann irgendwann auch wieder an der Gelateria vorbeischlendern können, ohne die eigenen Vorsätze zu brechen.

Es sind also ähnliche Mechanismen, die man in beiden Fällen trainiert – Fälle, in denen es um einen selbst und um andere Personen geht. Wenn das stimmt, ergibt sich daraus eine wichtige Schlussfolgerung. Oder zumindest eine Hypothese, die empirisch zu überprüfen wäre: Wer sich selbst vertraut, könnte es einfacher haben, anderen Personen zu vertrauen. 

Und: Der vertrauensvolle Umgang mit anderen Menschen könnte dazu beitragen, dass man sich selbst vertraut. Für mich klingt das nicht unplausibel. Vielleicht sind Selbstvertrauen und Vertrauen in andere wirklich nur zwei Facetten desselben Phänomens.

Christian Budnik posiert im Büro der Hauptstadt für ein Portrait, fotografiert am 03. März 2022 in Bern.
Zur Person

Christian Budnik ist Philosoph. Er verbrachte seine ersten Lebensjahre in Polen, emigrierte dann mit seiner Familie nach Deutschland und lebt nun seit 15 Jahren in Bern.

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