Sommerblues – «Hauptstadt»-Brief #315
Dienstag, 7. Mai 2024 – die Themen: Mental Health; Reitschule; Mario Batkovic; Andri Beyeler; Sexismus & Rassismus; häusliche Gewalt; Fussball; Auffahrt.
«Uff, dieses Wetter macht mich depressiv!» Hörst oder sagst du das auch, wenn es über mehrere Tage regnet, kalt ist oder stürmt – so wie in den letzten Tagen?
Tatsächlich kann weniger Licht, zum Beispiel schlechtes Wetter, einen negativen Einfluss auf unsere Stimmung haben. Es ist wissenschaftlich bewiesen, Helligkeit führt dazu, dass der Körper das Glückshormon Serotonin ausschüttet. Während der Körper bei Dunkelheit abends oder in den Wintermonaten mehr vom Schlafhormon Melatonin herstellt.
So spricht man nicht ohne Grund von Winterblues oder Winterdepression. Doch genauso kann es sein, dass wir im Frühling oder Sommer mit psychischen Problemen zu kämpfen haben.
Mentale Gesundheit ist nicht abhängig vom Wetter. Nur: Regen und Kälte geben uns die Legitimation, uns zu Hause zu verkriechen. Wenn die Sonne scheint, erwartet die Gesellschaft gute Laune.
Zu diesem Thema haben die beiden Mental-Health-Aktivistinnen Salome Balasso und Naima Ferrante letzten Freitag zu einem offenen Austausch eingeladen. Mit dem Mental Health Café wollen sie dem «Sommerblues» und somit der mentalen Gesundheit im Sommer Beachtung schenken.
Salome Balasso führte durch den Abend. Sie ist Expertin durch Erfahrung. Sie war und ist selbst von psychischen Problemen betroffen und erzählte, wie sie sich manchmal selbst gefühlt hat. Zum Beispiel, weil sie wenig Geld hatte und sich im Sommer ein Festival nicht leisten konnte – im Gegensatz zu ihren Freund*innen. Deshalb fühlte sie sich einsam.
Die Gruppe im Mental Health Café dachte gemeinsam über Alternativen nach, was man gratis oder preisgünstig im Sommer unternehmen kann.
Balassos Offenheit ermutigte auch die Teilnehmenden, ihre Gefühle und Herausforderungen zu schildern. Daraus entstand für die rund zwei Stunden ein geschützter Raum unter Fremden, die sich so gegenseitig empowerten.
Balasso und Ferrante erweitern das niederschwellige psychiatrische Angebot in Bern. Dabei sind alle Menschen willkommen, und das Besprochene bleibt im Raum. Wir haben das Angebot auf unserer Liste für niederschwellige Psychiatrie ergänzt.
- Schützenmatte: In der Nacht auf Sonntag kam es im Raum Schützenmatte zu heftigen Ausschreitungen. Laut Polizei waren Vermummte daran, Container auf die Strasse zu stellen und anzuzünden. Die ausgerückten Einsatzkräfte wurden mit Steinen und Flaschen beworfen sowie mit Laser geblendet. 11 Polizist*innen wurden verletzt. Die Reitschule distanziert sich von den Urheber*innen der Ausschreitungen, wie sie schreibt. Der Anlass für die Aktion sei den Betreiber*innen der Reitschule nicht verständlich, halten sie fest. Die Eskalation wirft politische Wellen. Die SVP-Fraktion hat einen Antrag auf Diskussion im Stadtrat eingereicht. Der kantonale Sicherheitsdirektor Philippe Müller (FDP) forderte die Stadt auf, Massnahmen zur Eindämmung der Gewalt rund um das Kulturzentrum zu ergreifen, wie die Nachrichtenagentur SDA schreibt. Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL) kündigte gegenüber Radio SRF eine Aussprache mit den Reitschul-Betreiber*innen an.
- Musik: Der Berner Akkordeonist Mario Batkovic tritt diesen Freitag und Samstag gemeinsam mit dem Berner Symphonieorchester auf. Er hat dafür ein neues, 40-minütiges sinfonisches Werk komponiert. Im sehr lesenswerten Porträt meines Kollegen Jürg Steiner verrät Batkovic, warum es für ihn wichtig ist, alle Töne gleichberechtigt zu behandeln.
- Literatur: Autor Andri Beyeler hat eine poetische Biografie über den Berner Drucker Fritz Jordi publiziert. Jordi, der 1938 starb, war Berner Kommunist, Nonkonformist und Gründer der Belper Druckerei Jordi, die nun auch die Biografie gedruckt hat. Andri Beyeler schreibt in Versform und im lautmalerischen Klettgauerisch, eine Unterart von Schaffhauserdeutsch. Meine Kollegin Marina Bolzli hat mit ihm über den Revolutionär gesprochen.
- Zivilcourage: Rund 750 Belästigungen wurden innerhalb eines Jahres im städtischen Meldetool verzeichnet. Daraus geht hervor: Insbesondere Frauen, nicht binäre Personen und queere Männer meldeten Belästigungen, die auf ihr Geschlecht oder ihre sexuelle Orientierung abzielten. Jede zehnte Belästigung war zudem rassistisch motiviert, so die Stadt Bern. Sie startet deshalb eine Plakatkampagne, die die Bevölkerung für Sexismus und Queerfeindlichkeit sensibilisieren soll und zu Zivilcourage aufruft.
- Gewalt: Über vier Mal pro Tag registrierte die Berner Kantonspolizei im Jahr 2023 Straftaten im häuslichen Bereich. Zudem haben die Beratungsstunden der Opferhilfestellen gegenüber dem Vorjahr um 66 Prozent zugenommen. Die Opfer waren primär Frauen, die Gewaltausübenden vor allem Männer. Das steht im Jahresbericht der Berner Interventionsstelle gegen Häusliche Gewalt.
- Fussball: Die YB-Frauen haben am letzten Wochenende gegen die GC Frauen im Playoff-Viertelfinal 4:3 gewonnen. Sie stehen somit zum ersten Mal im Halbfinal der Playoffs und treten am Samstag gegen Servette FC Chênois Féminin an. Auch die Männermannschaft glänzt: Sie gewann am Sonntag gegen den FC Zürich mit 2:0 Am Samstag spielen die YB-Männer gegen Lugano, am Sonntag könnten sie bereits Sofa-Meister werden – wenn Servette nicht gewinnt.
- Auffahrt: Am Donnerstag erhältst du keinen «Hauptstadt»-Brief. Der nächste Brief flattert am Samstag wieder in dein digitales Postfach. Morgen Mittwoch und am Freitag werden wir aber wie gewohnt Artikel auf unserer Website publizieren.
PS: Kinoliebhaber*innen aufgepasst. Morgen Abend, 18.15 Uhr im Lichtspiel, spricht Filmwissenschaftler Daniel Wiegand über die fantastischen Welten im Kino und Literatur der Stummfilmzeit. Anschliessend, um 20 Uhr, kannst du dir den Stummfilm «Der stille Tod» aus dem Jahr 1921 ansehen.