Mittelstand – Stadtrat-Brief #26
Sitzung vom 15. März 2024 – die Themen: Kitas; Gaswerkareal; Ausserholligen; Wifag-Areal; Ratsmitglied der Woche: Ueli Jaisli (SVP).
Bei allem, was Geld kostet, sind die Fronten im Berner Stadtparlament normalerweise gefestigt: Die linke Mehrheit findet, die Stadt müsse investieren. Und die bürgerliche Minderheit kritisiert die roten Stadtfinanzen und ruft zu mehr Sparsamkeit auf.
Am Donnerstag war es für einmal anders.
Der Rat befand über eine Teilrevision des Reglements über die familienergänzende Betreuung von Kindern. Die Revision ist die Antwort auf stark gestiegene Kita-Kosten. 2021 trat die Stadt dem kantonalen Betreuungsgutschein-System bei. Ein Bericht kam zum Schluss, dass die externe Kinderbetreuung seither deutlich teurer geworden ist, vor allem für Familien mit tiefem Einkommen.
Deshalb schlug der Gemeinderat vor, diese Familien zusätzlich finanziell zu entlasten. Das neue Reglement sieht höhere Zuschläge für Familien mit tieferem Einkommen vor. Übersteigt das Einkommen allerdings 140’000 Franken pro Jahr, sollen Familien nicht mehr unterstützt werden. Bis anhin gibt es pauschale Zuschläge, unabhängig vom Einkommen.
Die geplante Umverteilung von einkommensstärkeren zu -schwächeren Familien führte im bürgerlichen Lager zu Kontroversen.
Eine Kommissionsminderheit verlangte eine Obergrenze von 160’000 statt 140’000 Franken. Dafür plädierte die Mitte. «Damit gehört man per Definition noch zum Mittelstand», sagte Lionel Gaudy. Wegen der hohen Steuerprogression seien solche Familien auch auf Unterstützung bei der Kinderbetreuung angewiesen.
Ein Teil der GLP/EVP-Fraktion unterstützte hingegen sogar den Antrag der SVP, ganz auf die Änderung zu verzichten. «Wir haben in der Fraktion grundsätzlich über die Einkommensabhängigkeit diskutiert», sagte Janina Aeberhard (GLP). Sie seien teilweise zum Schluss gekommen, dass Unterstützung in der Kinderbetreuung nicht vom Einkommen abhängig sein dürfe. Das schade insgesamt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
Ursina Anderegg (GB) fand es «interessant, dass die gleiche Ecke nun hohe Einkommen subventionieren will, die sonst immer sagt, die Stadt müsse sparen.» Sowieso könne man bei einem jährlichen Einkommen von 140’000 Franken nicht mehr vom Mittelstand sprechen.
«Hör zu, Ursina», konterte darauf Nik Eugster von der FDP. In seiner Fraktion hätte die Sache zu Diskussionen geführt, man habe sich aber trotzdem entschieden, den Vorschlag des Gemeinderates anzunehmen.
Nur die SVP war generell gegen die neuen Regelungen. «Wir finden den Status quo gut», sagte Ueli Jaisli. Aber die SVP wurde, wie so oft, überstimmt. Der Vorschlag des Gemeinderats setzte sich durch. Die Gesetzesänderung unterliegt dem fakultativen Referendum.
Der 68-jährige Holzkaufmann sitzt, mit Unterbruch von einem Jahr, seit 2004 für die SVP im Stadtrat.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Er bietet die Möglichkeit, sich auf kommunaler Ebene zu engagieren. Vor allem helfe ich gerne mit beim Verbessern der Lebensqualität für alle. Da ich eine handwerkliche Lehre als Zimmermann sowie eine kaufmännische Lehre absolviert habe, kann ich Anliegen auch von praktischer Seite gut vertreten.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Im Rat kennt man mich als Vertreter der SVP. Ich bin lösungsorientiert und kann Probleme sachbezogen, neutral und ohne Vorurteile gegenüber anderen Parteien vertreten. Mir ist wichtig, dass es um die Sache geht. Ausserhalb der Partei bin ich unter anderem Präsident vom Nordquartierleist Bern/Bümpliz, Weihnachtsbeleuchter von Bümpliz und organisiere Sportanlässe im Stadtrat.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Misserfolge gehören zum Leben. Nicht alles gelingt einem. Das Jammern betreffend den Mehrheitsverhältnissen aktuell im Rat ist kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken. Im Gegenteil, es gelingt doch ab und zu, dass wir überparteilich akzeptable Lösungen finden können. Bleiben wir dran!
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Dass meine Motion «Ein Hallenbad für Jung und Alt fördert den Zusammenhalt» nach knapp 14 Jahren Realität wurde: Das Hallenbad Neufeld konnte im Herbst 2023 eröffnet werden. Das war nicht einfach, die baulichen Herausforderungen waren gross. Entsprechend kam es zu Fristverlängerungen. Aber das tat der Zielsetzung und der fristgerechten Fertigstellung keinen Abbruch. Nochmals ein grosses Dankeschön an alle, die dabei mitgeholfen haben.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Ich schätze alle Stadtteile. Die Summe aller ergeben die schöne Stadt Bern. Ich wohne im Stadtteil 6 (Bümpliz/Oberbottigen). Dort schätze ich die Vielfalt und die Lebensqualität von Stadt und Land. Das Zusammen von Mensch, Natur, Dorf und Stadt ist hier ein wunderbares Erlebnis.
Ansonsten ging es an dieser Sitzung vor allem ums Bauen:
- Gaswerkareal: Der Rat hat einen Baukredit über 23,4 Millionen Franken für provisorischen Schulraum auf dem Gaswerkareal einstimmig angenommen. Das Provisorium ist nötig, weil die Kirchenfeld-Schule ab Sommer 2025 saniert wird und die Sulgenbach-Schule voraussichtlich ab 2028. Deshalb sollen zwölf Klassen vorübergehend auf dem Gaswerkareal unterrichtet werden. Im Juni wird die Stimmbevölkerung über das Projekt befinden. Zu reden gab die nachbarschaftliche Beziehung mit dem Jugendzentrum Gaskessel. Weil der Bau des Schulprovisoriums auch eine neue Treppe von der Monbijoubrücke aus vorsieht, befürchtet der Verein Gaskessel zusätzliche Lärmbelastung und damit Beschwerden, wenn die neuen Wege auch von Nachtschwärmer*innen genutzt werden. Der Rat stimmte den Anträgen der GB/JA-Fraktion zu, die deshalb mehr Mitspracherecht für den Verein Gaskessel in der Ausgestaltung der Wegverbindungen forderte.
- Ausserholligen: Auch dem Rahmenkredit für die öffentliche Infrastruktur im Entwicklungsschwerpunkt Ausserholligen stimmte der Rat mit 63 Ja- zu 6 Nein-Stimmen zu. Die Vorlage ist mit 176 Millionen Franken «eine Riesenkiste», wie Maurice Lindgren (GLP) betonte. Die grosse Mehrheit im Rat ist jedoch, wie der Gemeinderat, überzeugt von der Wichtigkeit des stadtplanerischen Grossprojekts. Ziel der Stadt ist, dass sich das Gebiet im Westen Berns in den kommenden Jahren zu einem urbanen Zentrum mit vielfältigen Arbeits-, Wohn-, Bildungs-, Kultur- und Freizeitangeboten entwickelt. Auch dieses Geschäft kommt im Juni vors Volk.
- Wifag-Areal: Im Osten der Stadt soll ebenfalls gebaut werden: Auf dem Wifag-Industrieareal im Breitenrain will die Firma Mali International AG Wohnraum für 800 Menschen bauen. Entstehen sollen familienfreundliche Wohnungen, ein Drittel ist als preisgünstiger Wohnraum vorgesehen. Der Stadtrat nahm die Überbauungsordnung mit 62 zu 6 Stimmen an. Statt der geplanten 210 sollen aber angesichts der Klimakrise nur maximal 190 Parkplätze in der Tiefgarage entstehen dürfen, beschloss eine Mehrheit mit 53 zu 17 Stimmen. Auch über dieses Vorhaben entscheidet voraussichtlich im Juni die Stimmbevölkerung.
PS: Im Rat wurden drei Vorstösse zur Bekämpfung von Antisemitismus eingereicht. Eine Motion fordert eine Anlaufstelle für Antisemitismus. Linke wie auch bürgerliche Parteien unterstützen das Anliegen. Eine Interpellation verlangt entschiedeneres Handeln gegen Antisemitismus an Berner Schulen. Der Rat reagiert damit auf die Meldung jüdischer Eltern wegen antisemitischer Vorfälle an Berner Schulen. Und in einer zweiten Interpellation geht es um Bildungsangebote an Schulen. Sie spielt auf die Vergabe von «Stop Hate Speech»-Kursen an das israelkritische Magazin «Baba News» an.