Stadtklima – Stadtrat-Brief #32
Sitzung vom 13. Juni 2024 – die Themen: Stadtklima-Initiative; Fischermätteli-Tram; Microsoft; Haus der Vereine; «Bern schaut hin»; Rücktritt; Ratsmitglied der Woche: Alexander Feuz (SVP).
Einstimmig zog der Stadtrat am Donnerstag den Gegenvorschlag der rot-grünen Stadtregierung zur ebenfalls aus rot-grünen Kreisen stammenden Stadtklima-Initiative vor. So viel Einigkeit für klimapolitische Anliegen – kann das wahr sein? Nein!
2022 reichte der Verein «Läbigi Stadt», in dem sich auch Politiker*innen von Rot-Grün-Mitte (RGM) engagieren, die Stadtklima-Initiative mit 6000 Unterschriften ein. Das Begehren legt quantitative Zielvorgaben fest. Etwa, wie viel öffentliche Strassenfläche die Stadt entsiegeln und wie viel Strassenraum sie in klimaangepasste Begegnungsorte umwandeln muss.
Die Initiative verlangt, was die rot-grüne Mehrheit in der Stadtregierung ohnehin auf der Agenda haben sollte. «Wir verfolgen die gleiche Stossrichtung wie die Initiative», bestätigte die zuständige Gemeinderätin Marieke Kruit (SP) im Rat. Aber man dürfe das Fuder nicht überladen: «Nur umsetzbare Massnahmen nützen etwas.» Also formulierte die Regierung einen Gegenvorschlag. Dieser besteht aus einem Klimaanpassungsreglement, das laut Kruit dem Schwammstadt-Konzept «noch besser Rechnung trägt», aber die quantitativen Ziele im Vergleich zur Initiative deutlich tiefer ansetzt.
Von links bis in die Mitte stiess das Reglement auf Zustimmung, nachdem etwa Irina Straubhaar (GLP) verlangt hatte, die quantitativen Ziele wieder etwas nach oben zu schrauben. «Guter Kompromiss», fand Jelena Filipovic (GB). «Ein echter Mehrwert im Vergleich zur Initiative», lobte Laura Binz (SP), Co-Präsidentin von «Läbigi Stadt». Nur Nora Joos (JA!) redete ihren linken Partner*innen ins Gewissen: Die Ernsthaftigkeit des Klimaproblems gehe «unter dem Deckmantel des RGM-Realismus» vergessen.
Um Schlimmeres zu verhindern, stimmten im Direktvergleich von Initiative und Gegenvorschlag auch FDP und SVP für Zweiteren. So kam die vermeintliche Einstimmigkeit zustande. Doch dann zeigte sich, dass das Politklima bezüglich Stadtklima doch nicht so mild ist. Es wurde hitzig und emotional.
Alexander Feuz, der seine SVP als «einzige grüne Partei in diesem Rat» bezeichnete, warf der politischen Gegenseite vor, Augenwischerei zu betreiben. Man opfere Grünflächen wie das Viererfeld, das Gaswerkareal oder den Springgarten und begnüge sich damit, hinterher «ein paar Bäumchen» zu pflanzen. Und Ursula Stöckli (FDP) bezichtigte RGM in einem flammenden Votum gleichzeitig der Machtarroganz und der Tatenlosigkeit. Seit über 30 Jahren sei RGM in der Mehrheit und brauche trotzdem eine Volksinitiative, um die Regierung zum Handeln zu bewegen. Zur Kaschierung der Passivität falle RGM nichts Besseres ein, als Reto Nause (Mitte) als einzigem Bürgerlichen in der Regierung die Schuld zu geben, sagte sie mit Verweis auf ein Interview in der «Hauptstadt»: «Was macht ihr eigentlich?», fragte Stöckli.
Gegen die Stimmen der FDP, die quantitative Zielvorgaben zur Entsiegelung laut Stöckli ablehnt, und der SVP hiess der Stadtrat den Gegenvorschlag gut. Den Vorschlag von Tom Berger (FDP), das beschlossene Klimaanpassungsreglement auf jeden Fall der Volksabstimmung zu unterbreiten, lehnte die rot-grüne Mehrheit ab. Das heisst: Wenn die Stadtklima-Initiative zurückgezogen wird, was wahrscheinlich ist, tritt das neue Reglement ohne Abstimmung in Kraft, sofern niemand das Referendum ergreift.
Alexander Feuz (Jahrgang 1964) sitzt seit 2011 im Stadtrat. Zuerst für die FDP, ehe er zur SVP wechselte. Feuz ist Rechtsanwalt. Im Rat ist er bekannt als wohl fleissigster Vorstossautor und Redner. Legendär sind seine ausschweifenden Voten zu vegetarischem «Körnerfrass» und Fleischvorlieben.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Im August vor vielen Jahren hatte ich die Chance, Einsitz in den Stadtrat zu nehmen. Es freut mich ausserordentlich, dass ich seither immer bestätigt wurde. Für das mir dabei entgegengebrachte Vertrauen danke an dieser Stelle der Wählerschaft und meiner Partei ganz herzlich. Ich politisiere gerne und leidenschaftlich. Debattieren und konstruktive Lösungen zu finden, liegt mir. Ich bin motiviert, dies weiterhin zu tun.
Warum kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Auch aus anderen Parteien wird mir attestiert, dass ich offen und transparent politisiere. Dabei sage ich immer klar und pointiert meine Meinung. Hart in der Sache, gemässigt im Ton. Vom Blatt lese ich nie ab. Ich esse und koche gern und schätze den kollegialen Austausch mit den Stadträten aus allen Parteien; dies auch nach den Sitzungen! Hier erreiche ich oft mehr als mit meinen flammenden Voten im Rat.
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Ich habe viele Niederlagen erlitten. Dazu stehe ich. Ich lasse mich davon auch nicht abschrecken. Wichtig ist mir, dass ich den Auftrag meiner Wähler in der Debatte engagiert und mit Überzeugung einbringe. Oft zeigt es sich, dass ich nachträglich doch recht hatte. Die von mir seit jeher bekämpfte Velobrücke wurde jedenfalls sistiert. Keinen Erfolg hatte ich damit, die Zerstörung wertvoller Grünräume zu verhindern (Viererfeld, Springgarten), obwohl die Ratsmehrheit eine grüne Stadt will.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Die Vorstösse und Anträge, die ich im Rat durchbrachte, verdanke ich geschickten Koalitionen. So konnte ich zusammen mit engagierten Stadträtinnen der SP, des GB und der freien Fraktion die geplanten BLS-Werkstätten in Riedbach verhindern. Ebenfalls gelang es mir, zusammen mit Stadträten aus anderen Fraktionen das überdimensionierte Projekt Goumoëns-Schulhaus zu redimensionieren und eine Stellvertretungsregelung in den stadträtlichen Sachkommissionen einzuführen.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Ich lebe mit meiner Familie im Stadtteil IV. Dort bin ich auch aufgewachsen. Die Nähe zur Natur gefällt mir ausserordentlich: Dählhözliwald, Elfenau, Manuelmatte und natürlich die Aare, wo ich mich treiben lassen kann, faszinieren und inspirieren mich. Ebenso liebe ich es, meine Zeit in der Altstadt zu verbringen, wo ich mich ebenfalls zuhause fühle und in guten Restaurants gerne kulinarisch verwöhnen lasse.
Und das diskutierte der Rat weiter:
Fischermätteli: Bus oder Tram? Die Wogen gingen über eine Stunde lang hoch, die politischen Fronten verschwammen: Grünliberale und Mitte argumentierten mit SP und GB, die GFL mit FDP und SVP. Der Tramast Nummer 6 ins Fischermätteli sei so schwach frequentiert, dass er die Angebotskriterien des Kantons nicht erfülle, sagte Michael Ruefer (GFL). Eine Umstellung auf einen E-Bus-Betrieb wäre kein ÖV-Abbau, sondern eine Flexibilisierung. Trotzdem befürwortet der Gemeinderat einen Kredit von 42 Millionen Franken (Anteil Stadt: 15,7 Millionen Franken) für die Sanierung der Gleisanlagen. Tanja Miljanović (GFL) kritisierte, es sei «unverantwortlich», eine schlecht ausgelastete Tramverbindung neu zu bauen und erst noch eine Verschlechterung der Situation für Velofahrer*innen in Kauf zu nehmen. Das Geschäft müsse verschoben werden, bis klar sei, wie es mit den Tramlinien im Stadtzentrum weitergehe. Timur Akçasayar (SP) gab zurück, dass mit der Gleissanierung auch die Abwasseranschlüsse im Mattenhof erneuert werden. Bei Verzögerungen bestehe die Gefahr, dass «das Quartier plötzlich in der eigenen Scheisse sitzt». Irina Straubhaar (GLP) betonte das Gesamtsystem: Die Fischermätteli-Linie sei wichtig, weil sie dereinst mit dem Ostermundigen-Tram verknüpft werde und im Stadtzentrum keine Wendemanöver mehr nötig seien. «Denkt hier auch jemand an die Steuerzahlenden?», fragte hingegen Simone Machado (GaP). Weil der Stadtrat die Vorlage mit 44 zu 19 Stimmen guthiess, kann sich der stimmberechtigte Teil der Steuerzahlenden an der Volksabstimmung vom 22. September äussern.
IT: Mit sehr grossem Mehr hiess das Parlament die Erneuerung von Lizenzen des IT-Giganten Microsoft für die digitalen Arbeitsplätze und die Server der Stadtverwaltung gut. Es geht um zwei Kredite für zusammengezählt knapp sieben Millionen Franken. Matteo Micieli (PdA) und Halua Pinto de Magalhães (SP) kritisierten, dass sich die Stadt einem Monopolisten ausliefere.
Haus der Vereine: Eine Motion der äussersten Linken, die der Gemeinderat abschreiben wollte, sorgte für einen erneuten Emotionsschwall. Am Ursprung des Vorstosses stand die Idee, im Ringhof in der Lorraine ein Haus der Vereine einzurichten, sobald die Kantonspolizei das Gebäude verlässt. Inzwischen ist aber klar, dass der Kanton das Gebäude weiternutzt. Aus Kapazitätsgründen lehnt es die Stadtregierung aber ab, die Verwaltung nach weiteren Häusern suchen zu lassen. In diesem Punkt regte sich heftiger Widerspruch im Rat: Noch Anfang Mai, als in einer Partizipationsmotion ein Haus der Bewegungengefordert wurde, habe sich die Regierung offen zeigt. Jetzt werde ein ähnliches Anliegen einfach abgelehnt. «Das ist widersprüchlich», schimpfte Paula Zysset (Juso). Gemeinderat Michael Aebersold (SP) entgegnete leicht enerviert, es sei «einfach, ständig neue Sachen zu bestellen». Er müsse auch an die Ressourcen denken. Seine RGM-Mehrheit blieb streng mit ihm und behielt diesen Teil der Motion aufrecht.
Sexualisierte Gewalt: In einer von links bis zur FDP abgestützten Motionhatten Frauen Sensibilisierungsmassnahmen gegen sexualisierte Gewalt verlangt. Die Stadt reagierte. Im Frühjahr 2023 lancierte sie das Meldetool «Bern schaut hin». Ein Jahr später gibt es bei der Anlaufstelle 750 Meldungen. «Ich habe nur lobende Worte, die Motion ist vollständig erfüllt», sagte Mirjam Roder (GFL). «So macht Politik Freude, gerne weiter so», ergänzte Jelena Filipovic (GB).
PS: Die Rochade auf den Stadtratssitzen geht weiter: Am Donnerstag absolvierte Marcel Wüthrich (GFL) nicht ohne Wehmut seine letzte Stadtratssitzung. Für ihn rückt Christoph Leuppi nach. Ratspräsidentin Valentina Achermann (SP) sagte, sie rechne damit, dass in den nächsten Wochen weitere Rücktritte dazukommen. Immerhin konnte sie auch eine Ankunft vermelden: GLP-Stadträtin Salome Mathys wurde Anfang Woche Mutter von Carlotta Franca.