Gasausstieg – Stadtrat-Brief #5/2025
Sitzung vom 13. März 2025 – die Themen: Energie- und Klimastrategie; Erdgas; Verkehrsgarten, ÖV für Kids; Belpmoos, Reitschule, Racial Profiling. Ratsmitglied der Woche: Franziska Geiser (GB).
Manchmal debattiert der Stadtrat sogar dann episch und engagiert, wenn er kaum etwas damit bewirken kann. So geschehen an der Ratssitzung vom Donnerstag, als er sich fast zwei Stunden lang mit der Energie- und Klimastrategie 2035 des Gemeinderats beschäftigte.
Es handelt sich um den Umsetzungsplan. Mit ihm will die Stadt die Ziele ihres Klimareglements erreichen – also Netto-Null bis 2045. Die Strategie sei «eines der bedeutendsten Dokumente dieser Legislatur», sagte SP-Stadtrat Chandru Somasundaram. Allerdings konnte der Stadtrat diese Vorlage nur zustimmend oder ablehnend zur Kenntnis nehmen, jedoch nicht mehr verändern.
Das hinderte das Parlament nicht daran, über 20 Änderungsanträge zu diskutieren, die jedoch für die Regierung nicht bindend sein werden. Aufschlussreich war die Debatte trotzdem – weil sie ein klares Bild zeichnete, wie der im November neugewählte Stadtrat sich in den nächsten vier Jahren bei klima- und energiepolitischen Umsetzungsfragen verhalten wird.
Mirjam Roder (GFL) brachte es auf den Punkt. Die Strategie sei «ein gutes Rezeptbuch, aber jetzt müssen wir schauen, wie damit gekocht wird». Und nicht alle kochen gleich. Esther Meier (GB) wollte mehr Schärfe. Die Strategie sei in entscheidenden Punkten – etwa dem Zeitpunkt des Gasaustiegs – der Dringlichkeit der Klimakrise nicht angepasst. Roger Nyffenegger (GLP) forderte mehr Tempo beim Solarausbau, Ingrid Kissling-Näf (SP) wünschte sich nicht nur staatliches Handeln, sondern Engagement von Zivilgesellschaft und Wirtschaft.
Alexander Feuz (SVP) hingegen sah in der Klimastrategie ein Werk der Bevormundung, «gegen das die SVP als einzige bürgerliche Partei Kante gibt». Wobei Thomas Hofstetter (FDP) ebenfalls scharfe Kritik übte: «Zu viel Ideologie» sei in die Klimastrategie eingekocht worden, und völlig ausgeblendet habe die Stadtregierung den Dreiklang der Nachhaltigkeit, zu dem auch die Wirtschaftlichkeit gehöre.
Der neue Umweltminister Alec von Graffenried (GFL) machte Mut. Die Klimakrise sei «kein übermächtiges Problem», Lösungsideen seien da. Und die Tatsache, dass in der rot-grünen Stadt Bern erst elf Prozent der Dächer mit Solarpanels belegt seien, könne man auch als ungenutztes Potenzial für einen schnellen Ausbau sehen.
Politisch richtig interessant wurde es beim Abstimmungsmarathon zu den 20 Anträgen. In dreien davon forderte die GB/JA!-Fraktion einen verbindlichen Termin für den Ausstieg aus dem Erdgas – das Jahr 2035. Weil SP und GFL nicht mitmachten, scheiterten die Anträge. Eine Gruppe von Klimastreik Bern, die vor dem Rathaus eine sehr kleine Demonstration veranstaltet hatte, kritisieren SP- und GFL-Stadträt*innen in einer Mitteilung, weil sie «Wahlversprechen brechen». Der Ton in der Klimapolitik ist auch innerhalb von Rot-Grün hitzig.
Franziska Geiser (49) sitzt seit 2021 für das Grüne Bündnis (GB) im Stadtrat. Sie ist Lehrerin und arbeitet als Dozentin für Deutsch an der Pädagogischen Hochschule (PH Bern). Sie ist Co-Präsidentin der GB/JA!-Fraktion.
Warum sind Sie im Stadtrat?
Ich bin vor vier Jahren unverhofft nachgerutscht und habe nach anfänglicher Irritation gemerkt, wie schön das ist, in kleinen Schritten und gemeinsam mit Verbündeten Bern gerechter und grüner zu machen.
Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?
Ich liebe meine Fraktion und scheue den Kontakt zu anderen Ratsmitgliedern. In dieser Legislatur werde ich aber das Gespräch über die Parteigrenze hinaus wagen und meine Bekanntheit steigern – versprochen!
Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?
Dass wir klimapolitisch in den letzten vier Jahren nicht weit gekommen sind, beschäftigt mich sehr.
Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?
Lokalpolitik ist keine Egoshow – stolz bin ich vor allem auf unsere Zusammenarbeit in der Fraktion und punktuell in parteiübergreifenden Bündnissen: Wir bringen immer wieder Anliegen durch: für den Ausbau der Schulsozialarbeit, für eine bessere Unterstützung der Kulturschaffenden und den Erhalt des Kulturbüros, für die Bekämpfung von Armut, für mehr günstigen Wohnraum, für den Ausbau der Grundrechte und mehr Mitbestimmung für die Berner Bevölkerung etwa.
Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?
Schwer zu sagen. Seit vielen Jahren lebe ich in der Schosshalde – kein herausragender Stadtteil, kein Mensch geht da freiwillig hin. Zum Glück habe ich die besten Nachbar*innen ever!
Das diskutierte der Stadtrat weiter:
Erdgas: Weil ein Vorstoss zu diesem Thema traktandiert war, stürzte sich der Stadtrat praktisch ohne durchzuatmen in die nächste Gas-Debatte. Mit den praktisch gleichen inhaltlichen Fronten. Links-grün ohne SP, dafür mit GLP und EVP forderten eine Ausstiegsstrategie aus dem Erdgas mit Zwischenzielen und Terminen, die im Reglement des städtischen Energieversorgers Energie Wasser Bern (ewb) verankert werden sollten. Alec von Graffenried (GFL) argumentierte, das Anliegen sei faktisch umgesetzt. Die Stadt mit der Klima- und Energiestrategie, ewb mit dem darauf abgestimmten «Berner Weg zur Energiewende»streben den Gasausstieg per 2045 an. Realistischerweise sei es nicht schneller möglich, fossiles Erdgas komplett zu ersetzen. Ein wichtiger Aspekt: Das Gasnetz, das überflüssig wird, hat einen Buchwert von 180 Millionen Franken.
Verkehrsgarten: Sie sei irritiert darüber, sagte Sibyl Eigenmann (Mitte), dass die Velo-Hauptstadt Bern über keinen ganzjährig verfügbaren Verkehrsgarten verfüge, auf dem Kinder und Erwachsene in geschütztem Rahmen das sichere Velofahren erlernen können. Mit ihrer überparteilichen Motion, die genau das fordert, renne sie bei ihm offene Türen ein, sagte der zuständige Gemeinderat Matthias Aebischer (SP). Die Suche nach einem Areal sei «eine Kunst», sie laufe aber bereits. Der Rat erklärte die Motion für erheblich.
ÖV für Kids: Es kann angespannte Familienbudgets belasten, wenn Kinder für Musik, Sport oder Schule den ÖV benutzen müssen. Deshalb schlugen David Böhner (AL) und Matteo Micieli (PdA) in einem Postulat ein Gratis-Libero-Abo (Zone 101/102) für Kinder vor. Gemeinderat Matthias Aebischer (SP) fand das Anliegen «im Grundsatz richtig». Er plädierte jedoch dafür, angesichts der hohen Kosten (vier bis fünf Millionen Franken), Gratis-Abos nicht nach dem Giesskannenprinzip, sondern nach Einkommenssituation der Eltern auszugeben. Der Stadtrat nahm das Postulat an, die Regierung prüft nun das Anliegen vertieft.
Belpmoos: Der diskussionsfreudige Stadtrat liess sich in eine ausführliche Debatte zu zwei Interpellationen zur angedachten Freiflächen-Solaranlage im Belpmoos ein. Obschon in wenigen Wochen Motionen zum selben Thema ins Parlament kommen, bei denen es wirklich etwas zu entscheiden gebe, wie Ratspräsident Tom Berger (FDP) leicht grantig anmerkte. Das Thema ist für die Stadt relevant, weil sie im Belpmoos als Grundbesitzerin Baurechtsgeberin ist. Die inhaltlichen Fronten zeichneten sich klar ab: Bei Rot-Grün überwiegen Bedenken bezüglich Biodiversität und Greenwashing des Flughafens, Mitte-Rechts sieht das Potenzial für die Energiegewinnung.
Reitschule: Chancenlos war eine Motion, mit der die SVP angesichts der Gewaltprobleme vor der Reitschule den Einsatz von Überwachungskameras forderte. Auch Simone Richner (FDP) fand, eine gezielte Kameraüberwachung könnte «angesichts der Eskalation» sinnvoll sein. «Wer die Situation vor der Reitschule schönredet, handelt fahrlässig», sagt sie. Alec von Graffenried wies den Vorwurf des Schönredens zurück. Der Gemeinderat halte aber Kameras nicht für eine geeignete Lösung. Runde Tische mit allen Beteiligten und persönliche Präsenz des Gemeinderats seien zielführender.
Polizei: Nach 22.30 Uhr gingen im Rat kurz die Wogen hoch, als er ein Postulat der Alternativen Linken überwies. Der Gemeinderat muss prüfen, welche Folgen ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für Bern hat. Vor einem Jahr hatte der Gerichtshof die Schweiz verurteilt, weil er bei einer Verhaftung in Zürich Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe (Racial profiling) feststellte. Matteo Micieli (PdA) fand, die Kantonspolizei investiere viel zu wenig in die Ausbildung zu diesem Thema. Georg Häsler (FDP) sagte, die FDP sei klar gegen Racial profiling, aber der Generalverdacht gegen alle Polizist*innen störe ihn. Alec von Graffenried (GFL) hielt fest, es sei wichtig, dass der Verdacht, es könne zu Racial profiling kommen, «jederzeit ausgeräumt werden kann». Deshalb sei das auch ein Thema für die Stadt, auch wenn die Kantonspolizei für die Sicherheit in der Stadt zuständig sei.
PS: Die Stadtratssitzungen sind nicht der grosse Publikumsmagnet. Doch ab und zu tauchen hartgesottene Fans auf der Tribüne auf. Gleich zwei ehemalige Stadträte verfolgten das Tun ihrer Ex-Kolleg*innen gestern mindestens teilweise live. Raffael Joggi (AL), 2024 abgewählt, und Marcel Wüthrich (GFL), 2024 zurückgetreten, sassen einträchtig nebeneinander. Letzteren interessierte vor allem die Debatte zu den von ihm eingereichten Interpellationen zum Solarprojekt im Belpmoos.