Steht die US-Demokratie vor dem Aus?
Donald Trump gewinnt die Präsidentschaftswahl und unser Kolumnist fragt sich, was mit einer Demokratie passiert, die von einem Teil ihrer Bürger*innen abgelehnt wird.
Es war keine schlaflose Nacht, ich war nur erkältet und bin immer wieder von den Halsschmerzen aufgewacht. Um halb drei habe ich aufgegeben und bin aufgestanden, um mir einen Tee mit Honig zu machen. Eben nur schnell nachschauen, ob es schon Ergebnisse gab? Oder lieber nicht? Es gab noch keine.
Dann trank ich den Tee in kleinen Schlucken, bis die halbe Stunde zum ersten Exit Poll um war. Es sah nicht gut aus. Kamala Harris hatte 25 Stimmen, Trump schon über 100. Aber das lag bestimmt nur an der Reihenfolge, in der in den verschiedenen Staaten die Wahllokale geschlossen wurden, dachte ich mir. Kein Grund zur Besorgnis, alles war noch okay.
Ich war mir diesmal auf eine irrationale Weise sicher, dass alles gut gehen würde. Es würde knapp, aber gut ausgehen, dachte ich. Es wäre eine Erleichterung, wenn Trump verlieren würde. Wenn wir aufhören könnten, über ihn zu reden. Auch wenn mir klar war, dass er noch Monate danach die Ergebnisse anzweifeln würde. Wie er es angekündigt, ja, wie er es schon vor vier Jahre getan hatte. Waren es nur die Halsschmerzen, die mich um fünf nicht schlafen liessen? Oder wollte ich endlich Gewissheit haben?
Ein Sieg, der uns alle angeht
Beim Frühstück war dann alles gelaufen. An solchen Tagen ist es ein Glück, Kinder zu haben, die von all dem noch nicht viel verstehen. Ausser dass «der Blödmann» eben gewonnen hat, wie Trump von meinen Töchtern bezeichnet wird. Fünf Sekunden später geht es dann wieder um die Kita und den Laternenumzug am nächsten Tag.
Es ist aber nicht nur ein Segen. Weil man daran denken muss, dass das eben doch die Welt ist, mit der die Kleinen irgendwie werden zurechtkommen müssen, wenn sie gross sind. Auch wenn wir hier in unserem beschaulichen Bern leben und man sich auf dem Weg von der Migros zur Gelateria so leicht einreden kann, dass uns das alles nichts angeht.
Es geht uns aber etwas an. Gerade wenn die Kleinen kleine Mädchen sind.
Déjà-vu. 2016 war das doch alles auch schon so. Nur dass ich damals keine Kinder hatte. Ich erinnere mich noch daran, wie eine US-Kollegin an der Uni am Tag nach der Trump-Wahl geweint hat. Wie ich dachte, dass die Welt untergehen würde. Erst die Brexit-Abstimmung, dann Trump, schlimmer kann es doch nicht werden. Das dachte ich damals.
Und doch kam es nicht ganz so schlimm. Oder jedenfalls anders. Es kam Corona, dann die Inflation, der Krieg in der Ukraine. Aber die Checks and Balances haben funktioniert. Ich bin mir nicht sicher, ob sie diesmal funktionieren werden.
Trump ohne Erwachsene im Raum
Reg dich nicht so auf, werden manche Leute sagen. Nichts ist so heiss, wie es gegessen wird. Aber leider: doch. Mit Trump ist alles heisser, als es gegessen wird. Wenn wir etwas aus seiner ersten Amtszeit gelernt haben, dann dass man alles, was er sagt und ankündigt, wörtlich nehmen muss. Und für die kommenden vier Jahre verheisst das nichts Gutes.
Im Gegensatz zu 2016 kann niemand mehr sagen, dass Trump sich vom Amt wird temperieren lassen. Oder dass die «Erwachsenen im Raum» seine schlimmsten Impulse einhegen werden. Es wird diese Erwachsenen nicht mehr geben. Jetzt schon ist klar, dass Trump sich mit Loyalist*innen umgeben wird. Man wird diesmal einen Plan haben im Weissen Haus. Und: Man wird sich moralisch im Recht glauben bei der Umsetzung des Plans. Der Wähler*innen-Auftrag ist diesmal unmissverständlich.
Ein Erfolg auf ganzer Linie
Der Ausgang der Wahl ist ja nicht knapp gewesen wie noch 2016. Trump hat alle Swing States gewonnen und die Mehrheit der Wähler*innen-Stimmen – etwas, das seit zwanzig Jahren keinem republikanischen Kandidaten gelungen ist. Die Republikaner*innen werden den Senat und wahrscheinlich auch das Repräsentantenhaus kontrollieren.
Genau das ist das Problem, mit dem ich mich seit dem Mittwoch letzter Woche herumschlage: Ich hätte einen knappen Trump-Sieg noch irgendwie verstehen können. Das Schockierende ist nicht, dass Trump die Wahl gewonnen hat, sondern wie eindeutig er gewonnen hat.
Dabei geht es mir nicht darum, die Harris-Kampagne als dermassen attraktiv darzustellen, dass man sich kaum vorstellen kann, wie Wähler*innen das Angebot, das ihnen von demokratischer Seite gemacht wurde, hatten ausschlagen können.
Es stimmt wahrscheinlich, dass man sich nicht genügend um die konkreten Sorgen von Bürger*innen gekümmert hat, denen Beyoncé und Bruce Springsteen weniger wichtig als Benzin- und Lebensmittelpreise sind. Vielleicht war es ein Fehler, den Fokus der Kampagne auf die Gefahr zu legen, die von Trump für die Demokratie ausgeht, anstatt eine eigene politische Vision zu entwerfen.
Es geht mir auch nicht darum, dass ich nicht verstehen kann, wie attraktiv manche der politischen Positionen, für die Trump – mehr oder weniger diffus – steht, für viele US-Bürger*innen sind, auch wenn es sich dabei um Positionen handelt, die ich selbst ablehne. Ich kann verstehen, wenn jemand für die Einschränkung der Immigration, für Isolationsimus in der Aussenpolitik oder für eine restriktivere Abtreibungspolitik ist.
Rassismus, Sexismus und Demokratieverachtung
Kopfzerbrechen bereitet mir eher der unverhohlene Rassismus und Sexismus, mit dem Trump und seine Mitstreiter*innen für diese Positionen gekämpft haben. Und ihre völlig schamlose Verachtung von zentralen demokratischen Werten und Institutionen.
Trumps Kampagne war dominiert von seinem Versprechen, an seinen politischen Gegner*innen, die er als die «Feinde im Inneren» bezeichnet hat, Rache zu üben. Sie war durchsetzt von Visionen uneingeschränkter Machtausübung. Sie wurde unterstützt von Leuten wie Elon Musk, die keinen Hehl daraus machen, dass die unternehmerischen Visionen Einzelner für sie mehr zählen als demokratischer Dialog und Konsens. Und es war nicht nur ein schlechter Scherz, als Trump behauptet hat, dass er nichts dagegen hätte, wenn jemand auf Pressevertreter*innen schiessen würde.
Gepaart mit der Machtfülle, die Trump in den nächsten vier Jahren auf allen Ebenen – bis hin zum Obersten Gericht – zur Verfügung steht, laufen diese anti-demokratischen Impulse auf ein zentrales Wahlversprechen hinaus: Trump wird das demokratische System der USA aushöhlen, etappenweise und auf verschiedenen Ebenen, ganz wie Viktor Orbán aus der ungarischen Demokratie eine Autokratie gemacht hat. Genau diese hämisch vorgetragene Ankündigung hat offenbar auf weite Teile der US-Wähler*innenschaft attraktiv gewirkt.
Das ist es, was mir Kopfzerbrechen bereitet. Es bereitet mir Kopfzerbrechen, weil es auf die Frage hinausläuft, was man in einer Demokratie machen soll, in der ein Teil der Wähler*innen diese als Staatsform ablehnt.
Diese Frage geisterte schon in der Folge des ersten Trump-Siegs umher. Aber damals konnte man sagen, dass die Trump-Wähler*innen ihn nicht ganz ernst genommen haben, dass sie davon ausgegangen sind, dass er jemand ist, der zu rhetorischen Übertreibungen neigt und charakterlich gar nicht in der Lage ist, irgendwelche autokratischen Tagträume politische Realität werden zu lassen. Das alles lässt sich heute nicht mehr so leicht behaupten.
Trump erklärt sich von selbst
2016 konnte man sich noch an der ohnehin etwas arroganten Idee aufrichten, dass man den Wähler*innen nur besser erklären müsste, was für eine Gefahr Trump für die Demokratie darstellt, dann würden sie schon ihre Präferenzen ändern.
Die Situation heute ist anders: Der Anti-Demokrat Trump erklärt sich von selbst. Und für einen Teil seiner Wähler*innen scheint das nicht gegen, sondern für ihn zu sprechen. Diese Wähler*innen betrachten die Wähler*innen von Kamala Harris nicht als Diskussionspartner, sondern als Feind*innen. Sie freuen sich über einen Präsidenten, der für seine Amtshandlungen uneingeschränkte Immunität geniesst und Hinterzimmer-Deals mit Industrievertreter*innen abschliesst. Sie hätten gerne, dass kritische Medien mit Gerichtsprozessen überhäuft und so auf Linie gebracht werden.
Der Wert der Demokratie
Demokratie lebt allerdings davon, dass wir uns als gleichberechtigte Dialogpartner*innen verstehen. Dass wir einander trotz aller politischen Unterschiede mit einem Minimum an Respekt begegnen. Dass wir für Meinungs- und Pressefreiheit einstehen. Wenn nicht genügend Bürger*innen auf diese Weise denken, steht eine Demokratie vor dem Aus. Das Unbehagen, das ich seit letztem Mittwoch empfinde, ist darin begründet, dass ich den Gedanken nicht loswerde, dass man manchmal nichts dagegen machen kann.
Sollte das «grosse amerikanische Experiment» der US-Demokratie tatsächlich vor dem Scheitern stehen, wäre das auch für die Schweiz und alle anderen Demokratien der Welt alarmierend.
Es ist deshalb höchste Zeit darüber nachzudenken, was wir machen sollten, wenn die Demokratie für manche unserer Mitbürger*innen verzichtbar wird. Wenn sie sich mit einem autokratischen oder oligarchischen System arrangieren könnten, solange ihre nicht-politischen Bedürfnisse befriedigt werden. Wenn ihnen die Arbeit freier und kritischer Medien egal zu werden beginnt.
Es muss doch Mittel und Wege geben, sie vom Wert der Demokratie zu überzeugen. Oder?
Christian Budnik ist Philosoph. Er verbrachte seine ersten Lebensjahre in Polen, emigrierte dann mit seiner Familie nach Deutschland und lebt nun seit 15 Jahren in Bern.