«Wir sind keine billigen Arbeitskräfte»

Bei der Umsetzung der Pflegeinitiative will der Kanton Bern Quer- und Späteinsteigenden mehr Lohn bezahlen. Nötig wäre aber eine generelle Erhöhung des Ausbildungslohnes, finden Pflegestudierende.

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Harter Job am Spitalbett: Pflegestudierende werden in ihren Praktika so schlecht entschädigt, dass es meist nicht zum Leben reicht. (Bild: Marco Frauchiger)

Wunden versorgen, Infusionen verabreichen, Körperpflege durchführen, Notfallsituationen bewältigen – all dies unter Zeitdruck. Und vor allem für wenig Lohn. So sieht ein Praktikumsalltag einer Pflegestudierenden aus, sagt Leonie Voirol. Sie absolvierte die Ausbildung an der Berner Fachhochschule (BFH) und ist seit kurzem neu diplomiert. «Ohne mein Umfeld hätte ich das Studium finanziell nicht stemmen können und hätte abbrechen müssen», sagt sie.

Um solche Abbrüche zu verhindern und mehr Abschlüsse zu generieren, will der Kanton Bern die Anzahl der Abschlüsse diplomierter Pflegefachpersonen steigern. Damit will er im Rahmen der Pflegeinitiative den Pflegenotstand bekämpfen. Geplant sind Lohnmassnahmen für Quer- und Späteinsteigende ab 27 Jahren, die sich das Pflege-Studium nicht leisten können. An der Berner Fachhochschule sollen dafür 15 Plätze zur Verfügung stehen, an der Höheren Fachhochschule 25 Plätze.

Die Einschränkung der Plätze im Förderprogramm stossen jedoch bei Verbänden und Studierenden auf Unverständnis. Beide hatten sich vom Kanton mehr erhofft.

«Das Problem ist, dass sich weit mehr Studierende das Studium mit den aktuellen Ausbildungslöhnen nicht leisten können», sagt Manuela Kocher, Präsidentin der Berner Sektion des Schweizer Berufsverband für Pflegefachpersonal (SBK). Denn die Studentinnen und Studenten an der Berner Fachhochschule bekämen während der Unterrichtszeit trotz der vollen Auslastung keinen Lohn, sondern nur während der Praktika.

Die Studierenden der Höheren Fachhochschule erhielten zwar auch während der Unterrichtszeit Ausbildungslohn, doch dieser sei teilweise so niedrig, dass es trotzdem zum Leben nicht reiche. Es brauche daher generell höhere Löhne für Auszubildende in der Pflege, nicht nur für Spät- oder Quereinsteigende, so Kocher.

Der Nebenjob belastet zusätzlich

Auch Gabriel Perez sieht grösseren Handlungsbedarf als die geplanten Massnahmen. Er hat seit kurzem seine Ausbildung an der BFH abgeschlossen. Dass die Plätze für das Förderprogramm beschränkt sind und nicht auch jüngeren Personen zur Verfügung stehen sollen, versteht er nicht.

Perez ist Quereinsteiger und war zu Beginn des Studiums jünger als 27. «Viele Studierende leben bereits selbständig und müssen ihren Lebensunterhalt allein bestreiten, auch wenn sie jünger als 27 sind», sagt er.  Der Stundenplan sei bereits eine Beschäftigung von 100 Prozent, sodass ein Nebenjob eine grosse Belastung darstelle.

Auch für Leonie Voirol war der Leistungsdruck belastend. Nebst der Unterstützung ihrer Eltern arbeitete sie während dem Vollzeitstudium 40 Prozent zusätzlich als Pflegeassistentin, um über die Runden zu kommen.

Doch nicht nur der Kanton, auch die Betriebe müssten mehr für die Studierenden tun, sind sich die befragten Pflegerinnen und Pfleger einig. Die Studierenden an der BFH verdienten alle sehr unterschiedlich in den Praktika, da die Betriebe unterschiedliche Löhne zahlen würden. «Die Studierenden werden von der BFH eingeteilt, daher haben sie nur wenig Einfluss darauf, in welchem Betrieb sie arbeiten und was sie schlussendlich verdienen», so Perez. Die einzige Gemeinsamkeit: Es reicht nicht zum Leben. Es brauche daher angemessene und einheitliche Löhne für die Pflegenden in Ausbildung. 

Einfluss auf Ausbildungsqualität

Ein angemessener Lohn bedeute für die befragten Pflegenden auch Wertschätzung für ihre Leistungen. Denn die Situation in den Praxisorten ist teilweise sehr herausfordernd, wie sie aus Erfahrung wissen. So führte die Covid-19 Pandemie in den letzten Jahren zu einer enormen Arbeitsbelastung, die auch die Studierenden zu spüren bekamen.

Gemäss einer Umfrage des SBK und Swiss Nursing Students von 2023 waren die Studierenden mit 12-Stunden-Schichten konfrontiert, wurden über ihren Kompetenzen eingesetzt und wurden nicht genügend betreut. Die fehlende Begleitung der Studierenden und die hohe Arbeitsbelastung sind aufgrund des steigenden Mangels an diplomierten Pflegefachpersonen weiterhin Realität. 

Den Pflegestudierenden ist besonders wichtig: «Wir sind keine billigen Arbeitskräfte», sagt Gianna Wohler, die auch an der BFH studiert hat. Studierende der BFH ohne spezifische Vorbildung müssen nach der Abgabe der Bachelorarbeit ein zehnmonatiges, abschliessendes Praktikum absolvieren, das sogenannte «Zusatzmodul B». Es soll als eine Art geschützter Rahmen fungieren, um den Einstieg in den Beruf zu unterstützen. «Allerdings arbeitet man je nach Praxisort nach kurzer Zeit wie eine diplomierte Pflegekraft für einen Bruchteil des Lohnes», sagt Wohler, die das Zusatzmodul B absolvieren musste.

Auch Silvan Coppex, der bald das Zusatzmodul B bei der Spitex abschliesst, trägt trotz seines Status als Studierender bereits viel Verantwortung. Er ist aber die glückliche Ausnahme von der Regel: Die Spitex vergütet seine Leistungen mit dem Lohn einer diplomierten Pflegefachperson. «Vielen ist gar nicht bewusst, was wir Studierenden in dem Beruf leisten», ist Coppex überzeugt. Denn trotz Spät-, Nacht- und Wochenenddiensten während der Ausbildung wurden die Studierenden dafür bisher nicht entschädigt. 

Die fehlenden Schichtzulagen werden auch von Manuela Kocher kritisiert. Doch hier gibt es bereits einen Schritt in die richtige Richtung. Mit dem Lohn im Mai werden den Studierenden der Tertiär-Stufen im Inselspital zum ersten Mal Schichtzulagen ausbezahlt. «Dieser Schritt ist schon lange überfällig», sind sich die befragten Pflegekräfte einig. «Wir warten darauf, dass weitere Betriebe dem Beispiel folgen.» 

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