Tamedias Berner Traumwoche

Der Zürcher Tamedia-Konzern wird in Bern noch stärker. Er erhält mit der Kulturagenda eine bezahlte Beilage. Und die Wettbewerbskommission verschafft ihm freie Fahrt im Oberland. Auf der Strecke bleibt die Vielfalt.

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Baut ihre Position in Bern weiter aus: Tamedia-Eingang am Dammweg in der Lorraine. (Bild: Danielle Liniger)

Der Tamedia-Konzern muss sich gerade fühlen, als werde ihm in Bern der rote Teppich ausgerollt. 

Zwar hat der Zürcher Verlag seit der Redaktionsfusion von Bund und Berner Zeitung einen angeschlagenen Ruf. Die Titel erscheinen nach wie vor individuell, aber inhaltlich sind sie weitgehend identisch. Das leistet der Wahrnehmung des Zürcher Konzerns als profitorientierter Monopolist Vorschub. Trotzdem konnte Tamedia ihre Berner Vormachtstellung diese Woche innert zweier Tage noch einmal ausbauen – mit sehr zuvorkommender Mithilfe von Berner Akteur*innen.

Traumdeal Nummer 1: Bezahlte Beilage für Tamedia

Am Montagabend hat die Vollversammlung des Vereins Berner Kulturagenda (BKA) mit einer Mehrheit von zwei Dritteln beschlossen, bei der Herausgabe ihrer kuratierten Veranstaltungsagenda weiterhin auf ein Printprodukt zu setzen. Die Zukunft der gedruckten BKA war unklar, weil  der Anzeiger Region Bern künftig nicht mehr gedruckt erscheint und damit als Trägermedium wegfällt. Als neue Partnerin hat die BKA Tamedia ausgewählt.

Allerdings: Für die BKA wird es teuer, ab 2024 einmal die Woche als Beilage von Bund und BZ zu erscheinen. Wie hoch der Preis ist, den Tamedia dafür in Rechnung stellt, ist bisher öffentlich nicht bekannt. Klar ist aber, dass der Verein BKA, ein Zusammenschluss aus 270 Berner Kulturveranstalter*innen, zusätzliche Mittel beschaffen muss. Voraussichtlich wird er dafür auch Stiftungen oder die öffentliche Hand anfragen.

Konkret bedeutet das: Es ist absehbar, dass Gelder von Stiftungen oder sogar vom Staat, die die lokale Kultur unterstützen sollen, an den grossen Tamedia-Verlag fliessen werden. 

«Bund/BZ erhalten die gedruckte Kulturagenda als bezahlte Beilage. Schön!», freute sich «Bund»-Chefredaktorin Isabelle Jacobi nach Bekanntgabe des BKA-Deals am Dienstag auf Twitter. Sie applaudiert damit dem wirtschaftlichen Support für Tamedia aus der Kulturszene der Grossregion Bern. 

Tamedia erhält zu günstigen Bedingungen in der Donnerstagsausgabe eine Agenda beigelegt – ein publizistisches Extra, das die beiden Berner Zeitungen einst noch selbst produziert hatten. Andererseits publiziert die Kulturredaktion von Bund/BZ heute ebenfalls am Donnerstag häufig ähnliche Vorschauen. Es wird interessant sein zu sehen, wie sie diese absehbare Doppelspurigkeit bereinigen wird.

Traumdeal Nummer 2: Fusion mit dem Oberland

Schon tags darauf  kam es in Bern noch besser für Tamedia. Bereits im Dezember 2022 hatte Tamedia angekündigt, dass sie die Berner Oberländer Medien (BOM) vollständig übernehmen wolle. Am Mittwoch teilte die Wettbewerbskommission (Weko) des Bundes mit, sie habe nichts dagegen einzuwenden. Damit ist die Übernahme beschlossen. BOM gibt das Thuner Tagblatt und den Berner Oberländer heraus. Mit dem Deal löst sich der letzte Rest Oberländer Eigenständigkeit im Tamedia-Universum auf.

Bis jetzt hielt Tamedia an BOM bloss 50 Prozent, die andere Hälfte gehörte dem Spiezer G. Maurer Verlag. Tamedia lieferte den Berner Oberländer Medien überregionale Inhalte und verantwortete Vermarktung, Druck und Logistik. In der lokalen Publizistik blieb BOM bisher aber eigenständig, weil Mitinhaber Konrad Maurer den Fuss in der Türe hatte. Mit dem am Mittwoch definitiv besiegelten Verkauf an Tamedia ist es damit jetzt vorbei.

Nach aussen bleibt zwar vermeintlich vieles, wie es ist. Die Titel werden auch künftig «Thuner Tagblatt» und «Berner Oberländer» heissen. Im O-Ton der Tamedia-Kommunikationsabteilung klingt das so: «Neu wird es eine Berner Redaktion an diversen Standorten geben, die für die Berner Zeitung, den Bund sowie das Thuner Tagblatt und den Berner Oberländer redaktionelle Inhalte herstellt. Die BZ- und Bund-Teams sind bereits seit Oktober 2021 eine Redaktion, nun stossen die Teams von TT und BO dazu.»

Ausgedeutscht bedeutet das aber: Die Berner Tamedia-Redaktion bereitet gerade ihre nächste Fusion vor, nach derjenigen der Lokalredaktionen von Bund und BZ im Herbst 2021. Publizistisch hat Tamedia im Kanton Bern nun definitiv freie Fahrt – bis ins Oberhasli und ins Simmental.

Verlust der Vielfalt

Für den journalistischen Output muss die Fusion nicht ausschliesslich negativ sein. Die lokal stark verwurzelten BOM-Redaktionen fielen im Lebensraum, über den sie schreiben, eher selten durch entschlossenes Nachhaken auf. Kritische Auseinandersetzungen mit Oberländer Themen entstanden schon in Vergangenheit oft in der Tamedia-Redaktion Bern – jüngst etwa die Enthüllungen über einen steinreichen omanischen Scheich mit Immobilienbesitz in Gstaad. Oder sie wurden von Journalist*innen publiziert, die nicht für Tamedia arbeiten – zum Beispiel in der «Republik» über die Ausbeutung eines Geschwisterpaars in einem Gstaader Chalet.

Das ändert jedoch nichts daran, dass die Fusion der Oberländer Medien mit Tamedia einen weiteren Verlust der Medienvielfalt bedeutet – und wahrscheinlich einigen Journalist*innen die Stelle kostet. 

Die BOM-Redaktionen in Interlaken und Thun werden neu der Bund/BZ-Chefredaktion in Bern unterstellt, wie Tamedia-Sprecher Philip Kuhn auf Anfrage bestätigt. Auf die Frage, ob bei den Oberländer Redaktionen ein Personalabbau absehbar sei, hält Kuhn fest: «In  welcher Form die neuen Ressorts mit der Berner Zentrale zusammenarbeiten, wird in den nächsten Wochen erarbeitet.» Der Sprecher ergänzt zudem: Man wolle die publizistische Qualität «nicht nur erhalten, sondern verbessern». Entscheidend sei zudem «eine Stärkung des digitalen Auftritts».

Die Angst vor dem unternehmerischen Risiko

Der flächendeckende Vorstoss von Tamedia im Kanton Bern erfolgte in den letzten 25 Jahren nach dem immergleichen Muster: Lokale Verleger verkauften ihre Anteile im Zweifelsfall lieber, als dem grossen Konkurrent die Stirn bieten zu wollen. 

Im Jahr 2000 stiess die Berner Zeitung, an der Tamedia damals zu 49 Prozent beteiligt war, ins Berner Oberland vor. Sie ging ein Joint Venture mit der neugegründeten BOM ein, in die sich mehrere Kleinzeitungen eingebracht hatten. Man wollte so «die Oberländer Presse in eine gute Zukunft führen».

2007 verkaufte BZ-Verleger Charles von Graffenried seine Anteile an Tamedia – auch mit der Idee, der BZ (und ab 2009 auch dem Bund) im Schoss von Tamedia eine sicherere Zukunft zu bieten. 2021 aber wurden Bund und BZ fusioniert. 

Und nun sagte BOM-Verleger Konrad Maurer noch vor wenigen Monaten bei der Ankündigung des Verkaufs an Tamedia, es sei seiner Familie «besonders wichtig, dass die Regionalredaktion in eine gute Zukunft geführt wird».

Das zeigt: Auch die Berner Verlage spielen zuverlässig mit beim immer kompletteren Vorstoss des Zürcher Konzerns. Grund muss die Angst sein, in einer Branche weiterhin unternehmerisches Risiko zu tragen, die in den letzten Jahren knallhart geworden ist. 

Ob bei Kultur oder im Oberland: Für Tamedia ist es eine gute Woche. Für die Medienvielfalt in Bern weniger.

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Diskussion

Unsere Etikette
Astrid Totaro-Teichmann
12. Mai 2023 um 18:34

Das Tamedia jetzt auch noch die Oberländer Zeitung aufkauft und wir eigentlich nur noch von einer einzigen "Meinungsquelle" erfahren, erinnert mich an autokratische Staaten, wo es auch mehrere Zeitungen gibt, aber immer nur dieselbe Meinung vertreten wird. Unsere demokratischen Grundregeln sind am schwinden...... und das freiwillig, ohne Verbote! Es ist nur noch zum Heulen!

Hanspeter Zaugg
11. Mai 2023 um 10:02

Der Schnöde Mamon hat wohl im Oberland lange genug gezüngelt

Der Mauer Verlag wurde schwach.

was da gerade abgeht int himmelschreiend und in keiner weise zu verstehen.

Beatrice Müller
11. Mai 2023 um 09:27

Danke für die spannende Aktualisierung der Geschichte der Medienkonzentration auf dem (Medien)platz Bern. Und jetzt noch das Geschäft mit der Kulturagenda - krass: Wie beschrieben lässt sich die Tamedia jetzt für einen Inhalt bezahlen, der noch vor ein paar Jahren ein selbstverständlicher Bestandteil einer klassischen Tageszeitung war. Das Trauerspiel nimmt kein Ende.

Ruedi Muggli
11. Mai 2023 um 05:57

Danke für diese Information - in den Tamedia-Blättern wird man darüber nur beschönigende Werbesprüche lesen. Die Familien von Graffenried und Maurer zeigen, dass der Markt nicht für Medienvielfalt steht, sondern vielmehr für Einheitsbrei.

Priska Friedli
10. Mai 2023 um 20:18

Dass die BKA mit Tamedia zusammenspannt, ist schlicht unverständlich.