Uni Bern Spezial

«Ich will nicht ewig studieren»

Tisona Kandiah (23) studiert Jus im letzten Semester. Sie finanziert sich mit zwei Jobs selbst, weil sie ihren Eltern gegenüber kein schlechtes Gewissen haben möchte. Teil 5 der «Uni-Protokolle».

Tisona Kandiah fotografiert am Freitag, 1. Maerz 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Zwei Jobs und ein Vollzeitstudium: Tisona Kandiah hat keine Zeit für Studi-Partys. (Bild: Simon Boschi)

«Menschen, die mich kennen, behaupten, ich argumentiere bei jeder möglichen Gelegenheit. Das stimmt wohl. Ich vertrete gerne einen Standpunkt und bin nicht zu schüchtern, um zu sagen, was ich denke und um mich für jemanden einzusetzen. Ein Jus-Studium lag da nahe. Ausserdem habe ich damit viele Möglichkeiten. Etwas zu studieren, «nur» weil es mich interessiert, ohne Jobaussichten, wäre für mich nicht in Frage gekommen. 

Unter der Woche bewege ich mich tagsüber in einem Dreieck von je 10 Minuten Fussweg zwischen meinen beiden Jobs und dem Uni-Hauptgebäude. Ich arbeite jeden Tag irgendwo: Meist vormittags als Sachbearbeiterin Recht beim Amt für Informatik und Organisation des Kantons Bern, über die Mittagszeit oder am frühen Abend als Empfangsassistentin in einer Anwaltskanzlei. Zusammen ergibt das ein Pensum von 60 Prozent. 

Wenn möglich lege ich meine Vorlesungen auf den Nachmittag. Ich bin nun im letzten Studienjahr und werde im Sommer meinen Master in Rechtswissenschaft abschliessen. Bisher habe ich jeweils gut 15 Stunden pro Woche ins Studium investiert, vor den Prüfungen mehr. Wie viel Zeit die Masterarbeit in Anspruch nehmen wird, kann ich noch schwer abschätzen.

«Uni-Protokolle»

Welche Menschen bevölkern die Uni, welche Lebensentwürfe prallen in den Fakultäten aufeinander? Die «Hauptstadt» hat fünf Studierende getroffen – in den «Uni-Protokollen» gewähren sie Einblicke in ihren Alltag, teilen Zweifel, Wünsche und Gedanken.

Das Studium trotz zwei Nebenjobs in der Regelstudienzeit von fünf Jahren abzuschliessen ist sportlich. Das machen nicht viele. Aber ich will nicht ewig studieren. Es ist mir wichtig, mein Leben selbst zu finanzieren – auch jetzt schon. Ich würde mich nicht wohl fühlen, wenn meine Eltern für mein Studium aufkommen müssten. Sie arbeiten beide im Gastgewerbe. Ich will weder meine Ausgaben rechtfertigen noch ihnen gegenüber ein schlechtes Gewissen haben. 

Wahrscheinlich liegt das auch an meiner Erziehung. Meine Eltern kommen aus Sri Lanka. Meine Geschwister und ich wurden dazu erzogen, auf die Familie und die Mitmenschen zu achten. Nicht bis zur Selbstaufgabe; aber ich finde auch nicht, dass das «Ich» immer an erster Stelle steht. Die hiesige Kultur ist individualistischer. Doch ich will diese beiden Positionen gar nicht gegeneinander ausspielen. Es ist mehr ein Anerkennen, dass meine Herkunft zu gewissen Unterschieden führt. Als Seconda lebe ich in zwei Kulturen; der Vorteil davon ist, dass ich die positiven Aspekte der asiatischen Erziehung sehen kann. 

Tisona Kandiah fotografiert am Freitag, 1. Maerz 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Tisona Kandiah träumt davon, ein eigenes Café zu führen. Doch nach dem Studium wird sie erst mal als Steuerberaterin arbeiten. (Bild: Simon Boschi)

Vom sogenannten Uni-Leben bekomme ich nicht viel mit. Studi-Partys sind am Donnerstagabend und ich muss meistens am Freitagmorgen arbeiten. Ein Grossteil meines Bachelorstudiums fiel auf die Pandemie. Statt an der Uni Mitstudent*innen kennenzulernen, habe ich die Vorlesungen von zu Hause aus verfolgt. 

Lange wollte ich die Anwaltsprüfung machen, aber damit wäre ich sehr an die Schweiz gebunden. Nun habe ich ab Oktober eine Stelle als Steuerberaterin bei der Unternehmensberatung Ernst & Young. Für mich ist das die Gelegenheit, in ein Grossunternehmen reinzuschauen. Der Job ist mit einer Ausbildung zur Steuerexpertin verbunden. Ich will auch nach dem Studium nicht aufhören, mich weiterzubilden. Nicht dass ich noch bequem werde. 

Meine beiden Geschwister und ich wohnen mit unseren Eltern in Steinibach bei Zollikofen. Solange das noch so ist, versuche ich, möglichst viel Zeit mit ihnen zu verbringen. Meine Love Language ist, für andere zu kochen oder zu backen – meine Geschwister müssen meine Kreationen dann essen. 

Mein ultimatives Ziel ist es, irgendwann ein Café oder einen Club zu führen. Oder beides kombiniert. Doch bevor ich das verwirklichen kann, will ich an einem komfortablen Punkt stehen in meinem Leben. Finanzielle Sicherheit ist mir wichtig.» 

Hauptstadt Flagge am Universitaets Hauptgebaeude fotografiert am Donnerstag, 29. Februar 2024 in Bern. (hauptstadt.be / Simon Boschi)
Die «Hauptstadt» an der Uni

Vom 4. bis zum 8. März gastierte die «Hauptstadt» an der Universität Bern. Die Redaktion verlegte ihren Standort für eine Woche ins Hauptgebäude und tauchte ins Uni-Leben ein.

Im Fokus steht die Universität nicht nur als Ort der Wissenschaft. Sondern als vielfältiger, dynamischer gesellschaftlicher Lebensraum in der Länggasse. Wir fragen auch: Wie muss man sich ein Student*innenleben – jenseits der Vorurteile – vorstellen? Und wie kommen Studierende in der Länggasse gastronomisch über die Runden?

Hier geht es zum thematischen Schwerpunkt.

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