«Tom kann mit allen»

Bestens vernetzt und trotz seiner erst 38 Jahre bereits ein politisches Urgestein – Tom Berger (FDP) wird neuer Berner Stadtratspräsident. Für seine Amtszeit fordert er mehr Respekt für Andersdenkende.

Tom Berger - Stadtratspräsidium 2025
Rathaus Bern
Bundesplatz
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© Danielle Liniger
Nicht im gewohnten Outfit: Tom Berger geht im feinen Zwirn an die Neujahrsfeier der Bundespräsidentin. (Bild: Danielle Liniger)

Er geht ans Schwingfest der Reitschule, konferiert mit dem Berner FDP-Establishment, war Wortführer der Nachtleben-Bewegung und wird nun höchster Stadtberner: Tom Berger tanzt auf vielen Hochzeiten, vereint Welten – und stösst mit seinem Gestaltungswillen manchmal an eigene Grenzen und die seiner Gegenüber. 

Ende Dezember im Polit-Forum Bern, dessen Geschäftsführer Tom Berger seit 2023 ist: Kurz vor Weihnachten seien die Batterien leer, sagt er, sein Blick wirkt glasig. Doch wenn er auf das anstehende Präsidialjahr im Stadtrat zu sprechen kommt, flackert ein Lächeln über sein Gesicht. Neue Aufgaben annehmen, vermitteln und sagen, wo es langgeht. Allesamt Fähigkeiten, die Berger schon anderswo unter Beweis gestellt hat. Und auf die es jetzt wieder ankommt, wenn es heisst, ein Gremium von 80 Personen zu leiten, das für hitzige Debatten bekannt ist. Eine «passende Rolle» für Berger sei das, sagt GB-Stadträtin Jelena Filipovic: «Tom kann mit allen.»

Bergers politisches Erweckungserlebnis war sein Engagement für das Berner Nachtleben: 2011 reichte der Verein Pro Nachtleben Bern, dessen Präsident Berger war, eine entsprechende Petition mit rund 11‘000 Unterschriften ein. Auch das Nachtleben-Konzept der Stadt Bern wurde vom Verein mitgeprägt. Berger fungierte in dieser Zeit als Bindeglied zwischen Bürgerlichen und linken Kreisen. «Wenn zehn Leute in einem Raum sitzen, die im Grunde das Gleiche wollen, es aber trotzdem harzt, braucht es Kompromisse», sagt er. In dieser Rolle des Brückenbauers sehe er sich. Ideologisches über Bord werfen, fokussieren, vorwärts gehen. 

Jahr des Respekts

Sein Motto für das Präsidialjahr: Respekt. Dabei denke er vor allem an den Respekt gegenüber Andersdenkenden und den Respekt vor demokratischen Grundwerten, sagt er. Und diesen Respekt sieht er derzeit in Gefahr – nicht nur in der Welt, sondern gelegentlich auch im Stadtrat und in der eigenen Partei. Denn der Freisinn dürfe sich noch häufiger für Chancengerechtigkeit und die Verteidigung von Grundrechten einsetzen, findet er. «Auch das ist Liberalismus», so Berger.

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Zunächst trat Berger noch als «Thomas» öffentlich in Erscheinung. Später ging er zu «Tom» über. (Bild: Danielle Liniger)

Das Motto liegt auch noch anders begründet: Berger gilt als jemand, der gerne die eigene Bubble verlässt. Menschen aus seinem Umfeld sagen, er setze sich gerne anderer Meinungen aus. Als Stadtratspräsident in spe hatte er dazu zum ersten Mal beim Neujahrsempfang der Bundesrätin am 15. Januar Gelegenheit. Die Kutsche teilte er mit SP-Vertreterin Valentina Achermann – auch der bürgerlich dominierte Berner Regierungsrat ist mit von der Partie.

Respekt gelte es aber auch den eigenen Grenzen zu zollen, so der künftige Stadtratspräsident. «Man muss offen darüber reden, wenn es zu viel wird», sagt er und meint damit auch sich selbst. Berger hat bereits viel angepackt. Bildung, Soziales, Sport und das Nachtleben: Themen, in denen er sehr dossierfest ist und die er mit «vollem Einsatz» vorantreibt, wie Wegbegleiter*innen sagen, darunter die Grünen-Grossrätin Brigitte Hilty Haller, die zuvor für die GFL im Stadtrat sass. Die beiden kennen sich seit acht Jahren, sie sei so etwas «wie mein politisches Mami», sagt Berger. Gemeinsam spiegeln sie Ideen, auch wenn sie politisch das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne haben. 

Wobei Tom Berger ohnehin schwerer politisch einzuordnen ist als viele seiner Ratskolleg*innen. Das sieht auch Hilty Haller so: «Er vertritt einen Liberalismus mit Herz», setze sich auch für soziale Themen und Chancengerechtigkeit ein. Eine Kombination, die heute im Freisinn eher selten anzutreffen ist, sowohl auf lokaler als auch nationaler Ebene.

«Ich entspreche nicht dem Bild, das viele von einem FDPler haben», sagt auch Berger über sich. In der Partei habe er «nicht nur Freunde» und sei auch schon angeeckt. Und das, obwohl die Berner Sektion bei weitem keine «Parkplatzpartei» mehr sei. Über die Jahre habe er aber gelernt, dass nicht alle mit einem einverstanden sein müssen. Eine, die diesen Prozess begleitet hat, ist Dolores Dana. Als Berger beim Freisinn Fuss fasste, war sie Präsidentin der FDP Stadt Bern. 

Mass und Mitte

«Mit seiner Art und Energie hat er Leute früher hin und wieder ‚überfahren‘. Ich habe ihm in der Anfangszeit beigebracht, strategischer und langfristiger zu denken», sagt Dana rückblickend. Heute sei Berger viel erfahrener und habe sich zu einem echten «animal politique» entwickelt. Der 38-Jährige sei sehr analytisch und könne sich Zahlen gut merken. Bei Wahlen wisse er genau, woher die Stimmen für ihn und seine Partei gekommen seien und welche Listenverbindungen sich auszahlen, so Dana. Sie schätze zudem seine Geradlinigkeit und dass er sich nicht für politische Ränkespiele hergebe.

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Stadtratspräsidentin Valentina Achermann und ihr Nachfolger Tom Berger auf dem Weg zum Neujahrsempfang. (Bild: Danielle Liniger)

Zu Beginn seiner Polit-Laufbahn musste Berger auch Niederlagen einstecken, mit einer Stadtratskandidatur für den Jungfreisinn scheiterte er 2012. «Als er dann 2016 gewählt wurde, rechnete er gar nicht mehr damit und war dementsprechend nicht einmal im Rathaus», erinnert sich Dana.

Heute blickt Berger auf acht Jahre Amtszeit im Stadtrat zurück. Da es in dem Gremium eine hohe Fluktuation gibt, gehört er zu den erfahrenen Mitgliedern. «Als ich 2020 in den Rat nachgerückt bin, habe ich ihn aufgrund seiner Dossierkenntnis bereits als Urgestein wahrgenommen», sagt Sibyl Eigenmann (Mitte). Berger, der auf den ersten Blick «nerdig» oder «eigenbrötlerisch» wirken könne, entpuppe sich als jemand, der am Menschen hinter einer politischen Botschaft interessiert sei, sagt Eigenmann. 

Rugby und Rennvelo

Berger sei wohl kein «Charmebolzen», wie es in der Politik viele gebe. Dafür könne er als guter Zuhörer punkten, findet Eigenmann. Ein guter Zuhörer zwar, der aber auch gerne das Gespräch sucht und erklärt. «Und das manchmal auch ungefragt – im Rat hat er deshalb den Spitznamen ‚Erklärbär‘ bekommen», sagt GB-Vertreterin Jelena Filipovic augenzwinkernd. Sie wird Berger 2026 als Stadtratspräsidentin nachfolgen. Sie sei gespannt, was sie im kommenden Jahr von ihm lernen könne, so Filipovic.

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Neujahrsempfangs der Bundespräsidentin oder Kulisse für einen Historienfilm? (Bild: Danielle LIniger)

Berger, der Grenzgänger zwischen den Milieus: In der Weihnachtszeit verkleidet er sich als Samichlaus in der Geflüchteten-Unterkunft im Viererfeld, er ist Präsident der Donatorenvereinigung des FC Breitenrain und übt sich beim Reitschul-Schwingfest im Hosenlupf.

Wechsel in die Kantonspolitik?

Auch beim Sporttreiben bleibt er dieser Vielseitigkeit, die wahlweise erfrischend oder überambitioniert wirken mag, treu: Erst war er jahrelang im Rugby aktiv, seit ein paar Jahren verschreibt er sich dem Rennvelofahren. «Für das eine war ich zu leicht, für das andere bin ich zu schwer», scherzt Berger. 2025 dürfte nicht viel Zeit bereithalten, um an der Rennvelo-Form zu arbeiten. Höchster Berner zu sein, bringt einige Termine mit sich. Neben dem Austausch mit dem kleinen und grossen Burgerrat steht für Berger auch die BEA-Eröffnung Ende April und eine 1. August-Rede auf dem Bundesplatz auf dem Programm.

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Wird er dereinst seinen Hut für höhere politische Ämter in den Ring werfen? (Bild: Danielle Liniger)

Dann mal eine Auszeit einlegen oder den Hut für die kantonalen Wahlen 2026 in den Ring werfen? «Es würde mich reizen, auf anderer Ebene zu politisieren», bestätigt Berger. Doch für den Moment gilt die ganze politische Aufmerksamkeit dem Präsidialamt: Dies wird am 23. Januar mit einer Feier im Progr eingeläutet. Ein Ort, der mit vielen seiner Themen zu tun habe: Nachtleben, Gastronomie und Bildung, sagt Berger. «Ausserdem habe ich als Schüler noch in der Turnhalle geturnt».

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