Unterschriftensammeln – Stadtrat-Brief #4/2025

Sitzung vom 27. Februar 2025 – die Themen: Direkte Demokratie, Verkehrsmonster, Guisan-Platz, Felsenau, Garderoben, Entsorgung, Partizipation. Mitglied der Woche: Béatrice Wertli (Mitte).

Stadtrat-Brief
(Bild: Silja Elsener)

Die direkte Demokratie beginnt, lange bevor das Abstimmungscouvert ins Haus flattert. Zum Beispiel beim Unterschriftensammeln für eine Volksinitiative. 

In der Stadt Bern dürfen Sammler*innen aber nicht immer und überall mit ihren Unterschriftenbögen losziehen. Gerade da, wo sich viele Leute tummeln, ist das Sammeln eingeschränkt: An grossen Veranstaltungen oder Märkten. Wer dort auf Unterschriften-Jagd gehen will, muss bei der Stadt eine Bewilligung einholen. Und die wird aus Sicherheitsgründen jeweils nicht erteilt. 

GB-Stadträtin Lea Bill kommentierte an der Sitzung von Donnerstag: «Die Ausübung demokratischer Rechte muss Priorität haben». Sie forderte zusammen mit weiteren Rät*innen aus SP und GFL mit einer Motion, dass die Stadt das Unterschriftensammeln mit bis zu drei Personen grundsätzlich erlaubt, auch an Veranstaltungen. Mit einer weiteren Motion forderten sie dasselbe für das Verteilen von politischen Flyern.

Zustimmung für die Forderung kam von links – und von ganz rechts. «Die SVP-Fraktion begrüsst die Überweisung beider Motionen», überraschte Bernhard Hess (SVP) den Saal. Er selbst habe wegen der Streichelzoo-Initiative gerade wieder am eigenen Leib erfahren, wie umständlich das Unterschriftensammeln in Bern sei. Das sei einer direkten Demokratie unwürdig.

Den zuvor von Chantal Perriard (FDP) geäusserten Befürchtungen, dass auf dem Breitenrainplatz vor Wahlen plötzlich am gleichen Tag «vier Parteien mit je zehn Leuten» Passant*innen mit ihren Flyern behelligen würden, entgegnete Hess zur Belustigung der Sozialdemokrat*innen: «Wir wissen alle, wie schwierig es ist, nur schon zwei, drei Helfer zu mobilisieren. Die Sozis sind vielleicht noch die einzigen, die das hinkriegen.»

Der Gemeinderat stellte sich gegen die Motionen. «Das Unterschriftensammeln ist für eine direkte Demokratie von grosser Wichtigkeit und soll möglichst unkompliziert möglich sein», sagte Stadtpräsidentin Marieke Kruit (SP). Man müsse aber auch Sicherheitsrisiken berücksichtigen, Fluchtwege müssten etwa offen bleiben. Die Regierung wäre bereit gewesen, die Motionen als Postulate entgegenzunehmen, was die Motionär*innen aber ablehnten. 

Mit Erfolg, wie sich herausstellte: Der Stadtrat überwies beide Vorstösse mit deutlicher Mehrheit. Damit ist nun der Gemeinderat gefragt. Er muss das entsprechende Reglement anpassen, damit sich Sammler*innen jeder politischer Couleur künftig freier in der Stadt bewegen können.

Beatrice Wertli, Mitte fotografiert am Donnerstag, 13. Februar 2025 in Bern. (VOLLTOLL / Manuel Lopez)
Ratsmitglied der Woche: Béatrice Wertli

Béatrice Wertli (49) sitzt seit Juni 2024 im Stadtrat und präsidiert die Fraktion der Mitte-Partei. Sie gehörte bereits von 2009 bis 2013 dem Stadtparlament an, damals für die CVP. Wertli arbeitet als Kommunikationsspezialistin, Beraterin und Verwaltungsrätin.

Warum sind Sie im Stadtrat?

Das Rathaus ist für mich die Fankurve der Stadt Bern. Hier treffen sich Menschen, die Bern lieben – egal, von welcher politischen Partei. Ich bin im Stadtrat, weil er mir die Freude an der Politik zurückgegeben hat. Lokalpolitik ist real, das wahre, volle Leben – gleich nebenan! Ob es um Schulen, Ghüdersäcke, Tramlinien oder Kinderbetreuung geht – das Leben der Bernerinnen und Berner ist unser Abendprogramm. Ich brenne dafür, aktiv mitzugestalten und Bern für alle lebenswert zu machen. Hier kann ich mit Vorstössen, Voten und Diskussionen den Alltag und die Zukunft unserer Stadt prägen. Kurz gesagt: Ich bin im Stadtrat, weil ich zmitts drin sein will – im Herzen von Bern und seiner Politik.

Wofür kennt man Sie im Rat – auch ausserhalb Ihrer Partei?

Man kennt mich im Rat als Teamplayerin. Ich schätze den interfraktionellen Diskurs und fördere ihn. Ich lege grossen Wert auf Kommunikation, um breit abgestützte Lösungen zu finden. Darüber hinaus bin ich für mein Engagement im Bereich Sport und Vereine bekannt: Ich mache mich stark für bessere Rahmenbedingungen und eine zeitgemässe Infrastruktur – und für mehr Anerkennung der Freiwilligenarbeit. Und ich höre, dass mir nachgesagt wird, dass ich sehr viel Energie hätte…

Welches ist Ihr grösster Misserfolg im Rat?

Das Budget ist mein politischer Groundhog Day – jährlich grüsst das Murmeltier… Jedes Jahr wache ich auf, und es fühlt sich an, als würden wir die gleiche Finanzdebatte führen, nur ohne Bill Murray und leider auch ohne Happy End. Es ist, als würden wir versuchen, einen Pudding an die Wand zu nageln – frustrierend, aber ich gebe nicht auf!

Worauf sind Sie stolz bei Ihrer Ratsarbeit?

Ich bin stolz auf meine Erfolge bei der Einführung von Kita-Betreuungsgutscheinen und der positiven Entwicklung des Egelsees, wo wir den Werkhof durch ein lebendiges Café ersetzt haben. Zudem freue ich mich sehr über meine Wahl zur zweiten Vizepräsidentin des Stadtrats, was mir die Möglichkeit gibt, aktiv an der Gestaltung unserer Stadt mitzuarbeiten und voraussichtlich 2027 den Rat zu präsidieren.

Welches ist Ihr liebster Stadtteil und warum?

Mein liebster Stadtteil ist meiner – rund um den Egelsee. Dort wohne ich in einem schönen Quartier, das alles bietet, was man braucht. Mit dem Aufwachsen meiner Kinder habe ich das Gebiet immer besser kennengelernt und beim Joggen entdecke ich es noch weiter. Der Egelsee steht für Gemeinschaft und Lebensqualität. Er verkörpert das, was ich an Bern so liebe: eine lebendige Nachbarschaft mit vielfältigen Möglichkeiten für alle.

Diese Themen waren ebenfalls wichtig:

  • Verkehrsmonster: Der Gemeinderat erhält länger Zeit, um seine Haltung zur «Verkehrsmonster»-Initiative darzulegen. Der Stadtrat gewährte ihm mit 52 zu 4 Stimmen eine Fristverlängerung um sechs Monate bis Ende Juli. Die Volksinitiative des Vereins Spurwechsel verlangt, dass sich die Stadtregierung gegen nationale Strassenprojekte einsetzt, die Mehrverkehr verursachen. Die Initiant*innen wollen primär den Ausbau des Autobahnanschlusses Wankdorf bekämpfen, genannt «Spaghetti-Teller». Eigentlich hätte der Gemeinderat bis Ende Januar zur Initiative Stellung nehmen müssen. Er verlangte aber eine Fristverlängerung, weil er nach dem Nein zum nationalen Autobahnausbau im November 2024 zuerst die weiteren Entwicklungen auf Bundesebene abwarten müsse, so die Begründung. Die Haltung des Gemeinderates zur Initiative ist nicht unerheblich: Falls er ihr zustimmt, wird es keine Volksabstimmung geben. In der alten Konstellation vor den Wahlen im letzten November hatte sich der Gemeinderat hinter den Ausbau des «Spaghetti-Tellers» gestellt. Unklar ist aber, wie es in seiner neuen Zusammensetzung aussieht.
  • Guisan-Platz: Die Tram-Haltestelle Guisanplatz kann voraussichtlich neu gebaut werden. Der Stadtrat hat einen Kredit von 3,6 Millionen Franken einstimmig genehmigt. Künftig soll die Tramwendeschlaufe nur noch an Veranstaltungen genutzt werden, sodass der Verkehr flüssiger laufen kann. Auch die Sicherheit für Velofahrende und Fussgänger*innen soll verbessert werden. Die Bauarbeiten sollen 2026 beginnen.
  • Felsenau: Der Zugang zur RBS-Station Felsenau wird saniert. Dafür hat der Stadtrat einen Kredit über 1,13 Millionen Franken einstimmig genehmigt. Treppe und Lift, die zur Haltestelle führen, sind in schlechtem Zustand. Das ist laut Gemeinderat Matthias Aebischer (SP) auf Baumängel zurückzuführen, die der Kanton zu verschulden hat, als er den Zugang 2004 bauen liess. Weil aber die Garantiefrist von zehn Jahren abgelaufen ist, muss die Stadt nun die Sanierung berappen. Das kritisierte Tanja Miljanović (GFL): «Die Stadt soll nicht ständig für Versäumnisse des Kantons herhalten müssen.» Die Arbeiten sollen bereits diesen Sommer beginnen.

 

  • Garderoben: Auf dem Sportplatz Steigerhubel sollen zwei neue Team-Garderoben, eine Trainer*innen-Garderobe sowie ein Frauen-WC entstehen. Der Stadtrat hat dafür einstimmig einem Kredit von 2,36 Millionen Franken zugestimmt. Man war sich einig: Die Erweiterung ist auf der stark ausgelasteten Sportanlage dringend nötig. 
  • Entsorgung: Schliesslich darf sich die Stadt Bern auch noch ein neues Hakenfahrzeug für 850’000 Franken kaufen. Der Lastwagen mit Kranarm dient zum Leeren von unterirdischen Kehrichtsammelstellen. Das ausrangierte Dieselfahrzeug soll mit einem elektrisch betriebenen ersetzt werden. Der Rat stimmte dem Kredit mit 49 Ja- zu acht Nein-Stimmen zu.

PS: Wusstest du, dass du im Stadtrat eine Forderung stellen kannst, auch wenn du keinen Schweizer Pass hast? Das ist möglich mit der sogenannten Partizipationsmotion. Eine solche musste bis anhin von mindestens 200 volljährigen ausländischen Personen unterschrieben sein. Gestern hat der Stadtrat die Hürden dafür gesenkt: Neu sollen sich auch Asylsuchende und Ukrainer*innen mit Status S daran beteiligen dürfen, und es braucht nur noch 100 Unterschriften. Die Motion von Matteo Micieli (PdA) wurde mit 72 zu 17 Stimmen bei vier Enthaltungen angenommen.

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